Khalid Al Falih hatte erklärt, dass der Wüstenstaat seine November-Förderung - auf expliziten Nachfragewunsch seiner Kunden - von 10,6 mbd im Oktober auf "über 10,7 mbd" angehoben habe. Im Kontext der aktuellen "Angebotsüberschuss-Debatte" und der Markterwartung hinsichtlich einer unmittelbar bevorstehenden OPEC+-Förderkürzung im Rahmen des anstehenden Produzenten-Treffens in Wien (6./7.12) waren derlei produktive "Leuchtturmzahlen" Saudi-Arabiens natürlich äußerst kontraproduktiv für den Preis.
Da sich US-Präsident Donald Trump erst kürzlich bei Saudi-Arabien zunächst öffentlichkeitswirksam per Twitter für die sinkenden Rohölpreise bedankt hatte und später noch überraschend deutlich erklärte, dass die USA trotz der Fragen aufwerfenden Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi ein "unverbrüchlicher Partner" Saudi-Arabiens bleiben werden, keimten Spekulationen darüber auf, dass Washington bei der saudischen Produktionsdimensionierung nun zumindest vorerst ein gewichtiges Wort mitzusprechen habe.
Das außenpolitische Umfeld ist sehr wechselhaft, mit beständig wechselnden Kooperationen und Abhängigkeiten, ein sehr gutes Umfeld für allerlei Gerüchte, deren Wahrheitsgehalt sich nur selten bestimmen lässt. Sicherlich hat die Khashoggi-Affäre ihre Spuren hinterlassen. Aber es erscheint nur wenig wahrscheinlich, dass saudischen Produktionsentscheidungen von nun an nur noch nach zustimmendem Kopfnicken aus Washington getroffen werden.
Die "Khashoggi-Affäre" hat den saudische Kronprinz Mohammed Bin Salman (MBS) außenpolitisch beschädigt und daher auch innenpolitisch angreifbar gemacht. Damit könnte MBS für Washingtons insgesamt wichtiger geworden sein. Dies dürfte insbesondere deshalb gelten, weil Saudi-Arabiens Thron-Anwärter zur innenpolitischen Absicherung gegen eine gerade wieder etwas Morgenluft schnuppernde und sich einende Anti-MBS-Bewegung einen engeren Schulterschluss mit den USA anstreben wird. Eine größere "US-Rücksichtnahme" Saudi-Arabiens bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass der Rohölpreis nun massiv absturzgefährdet wäre.
Um das Staatsbudget von Saudi-Arabien wird hauptsächlich durch Öleinnahmen finanziert. Daher benötigt Saudi-Arabien für eine nachhaltige Finanzierung der geplanten staatlichen Ausgaben einen Rohölpreise von rund 70 US-Dollar. Dies gilt umso mehr, wenn man die zuletzt beschlossenen Ausgabenvorhaben der kommenden zehn bis 15 Jahre ("Vision 2030") und die zwischen August 2014 und August 2018 von 731 auf 500 Mrd. US-Dollar geschrumpften Währungsreserven im Blick hat.
US Präsident Trump strebt wohl aus zwei Gründen niedrige Rohölpreise an: Unterstützung der Weltkonjunktur, um mehr strategischen Manövrierraum für seine teilweise konfliktäre Handelspolitik zu haben. Niedrige Ölpreise dämpfen die Inflation und damit auch den Zinsanhebungspfad der amerikanischen Zentralbank, (Fed), die aus Sicht von Trump die Zinsen zu aggressiv anhebt. Bei dieser "So-niedrig-wie-möglich-Strategie" darf er aber die Interessen der heimischen Rohöl-Wirtschaft nicht aus den Augen verlieren. Denn ungeachtet der massiven Kostenreduktionen im Niedrigpreis-Zeitintervall von Ende 2014 bis zum dritten Quartal 2017, benötigen die Schieferöl-Unternehmen in den USA zur Aufrechterhaltung ihrer aktuellen Produktionsdynamik WTI-Rohölpreise von mindestens 55 bis 65 US-Dollar. Diese korrespondieren im gegenwärtigen "Brent-WTI-Spread-Umfeld" von etwa 10 US-Dollar mit Brent-Rohölpreisen von 65 bis 75 US-Dollar. Die Kombination eines makroökonomisch gebotenen "so niedrig wie möglich" mit einem mikroökonomisch notwendigen "so hoch wie nötig" lässt unseres Erachtens darauf schließen, dass die USA auf mittlere Frist mit einem Brent-Rohölpreis von 65 bis (maximal) 75 US-Dollar leben können.
Was steht vor diesem Hintergrund nun für das anstehende Wiener-Treffen des OPEC+-Bündnisses an? Saudi-Arabien dürfte einen Kürzungsvorschlag unter diversen Nebenbedingungen vorantreiben. Dabei darf der saudische Kürzungsbeitrag nicht zu hoch ausfallen. Zum einem um die USA nicht ernsthaft zu verprellen, zum anderem um die Belastungen für andere Mitgliedsländer moderat ausfallen zu lassen. Zudem sollte sich Saudi-Arabien - gerade nach dem überraschenden OPEC-Austritt des Langfrist-Mitglieds Katar - bei der Kompromisserarbeitung stärker um die anderen "Kleinproduzenten" bemühen. Entsprechend dürfte die kumulierte Reduktion der OPEC+-Fördermenge (in Relation zum November-Wert) bei rund 1,0 mbd liegen. Dies könnte ausreichen, um den Brent-Rohölpreis in die "US-kompatible" Preisregion von 65-75 USD zu hieven.
Stefan Bielmeier ist Chefvolkswirt der DZ-Bank.