Der Tag der Deutschen Einheit sorgt an der Börse für lange Gesichter. Der DAX verliert etwa ein Prozent und unterschreitet die Marke von 15.100 Punkten. Schlimmer erwischt es Energie- und Versorger-Aktien. Insbesondere die Windkraft-Branche leidet im Feiertagshandel überdurchschnittlich. Analysten sind mittelfristig dennoch optimistisch für Vestas, Nordex und Co.
Die Aussicht auf anhaltend hohe Zinsen der Notenbanken der USA und der EU setzt dem europäischen Energiesektor zu. Der Branchenindex büßte am Dienstag zeitweilig über zweieinhalb Prozent ein. Betroffen sind Analysten zufolge vor allem investitionsintensive Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien.
"Viele bestehende Verträge in der Offshore-Wind-Branche sind unter der Annahme dauerhaft niedriger Zinsen und billiger Industriemetalle verhandelt worden", erklärte Peter Garnry, ein Manager beim dänischen Online-Broker Saxo. "Deswegen haben die höheren Zinsen und Rohstoffpreise die Rahmenbedingungen für den Sektor drastisch verändert."
Auf beiden Seiten des Atlantiks belasten derzeit auch die steigenden Anleiherenditen die Kurse. Fallende Preise, noch weiter steigende Zinserwartungen und wenig Anleger-Interesse am sonst "sicheren Hafen" angesichts schwelender Rezessionsrisiken sprechen aktuell gegen die Branche, erklärte Analyst Sam Arie von der Schweizer Großbank UBS.
Windkraftanlagen-Hersteller besonders unter Druck
So fielen die Aktien der dänischen Windpark-Betreiber Ørsted und Vestas jeweils um über fünf Prozent. UBS-Experte Arie verwies auf die fragile Stimmung, auch aufgrund des jüngsten Kurseinbruchs bei Orsted angesichts von Problemen mit Windturbinen in Küstengewässern. Die Debatten in etlichen Ländern über das Zurückfahren umweltfreundlicher Politikmaßnahmen seien ebenfalls nicht gerade hilfreich.
Auch die Titel des portugiesischen Windenergie-Spezialisten EDP Renovaveis bröckelten um 3,4 Prozent ab. In Deutschland gaben die Papiere des Hamburger Solar- und Onshore-Windpark-Betreibers Encavis auf Xetra mehr als sechs Prozent nach (siehe Chart). Im MDax ebenfalls schwach notierten die Aktien des Windturbinen-Herstellers Nordex mit einem Abschlag von 4,5 Prozent.
Im schwächelnden DAX zählten die Versorger RWE und Eon sowie der Energietechnikkonzern Siemens Energy mit Kursabschlägen von 2,8 bis vier Prozent zu den größten Verlierern. Letzterer leidet zudem schon seit Monaten unter immer weiter steigenden Kosten für technische Probleme mit Windturbinen der Tochter Siemens Gamesa.
Etwas besser hielt sich der Solarkonzern SMA Solar mit minus 1,4 Prozent. Im SDax verloren die Titel des Encavis-Konkurrenten Energiekontor 3,8 Prozent. Auch der Brennstoffzellen-Anbieter SFC Energy zählte mit minus 2,7 Prozent zu den klaren Verlierern.
Die Papiere international tätiger Energie-Konglomerate mit großen Ökostrom-Geschäften wie Engie und Iberdrola verloren zwischen 2,5 und 3,7 Prozent.
JPMorgan sagt "Aufstocken"
Außer Eon haben die Aktien auch seit Jahresbeginn an Wert verloren, teilweise sogar drastisch. Dagegen können die wichtigsten europäischen Aktienindizes trotz der jüngsten Schwäche für 2023 immer noch Gewinne vorweisen. Die Marktstrategen von JPMorgan sehen indes nach der Korrektur gute Chancen, von ihnen ohnehin empfohlene Positionen in der Energiebranche aufzustocken. Das Team um Mislav Matejka argumentiert damit, dass die US-Anleiherenditen möglicherweise kurz vor ihrem Höhepunkt stehen, und sich zudem das regulatorische Umfeld für Versorger verbessern sowie die Unsicherheit weichen wird. Die Bewertungen seien merklich attraktiver geworden, so die Experten. Und mittelfristig bleibe das Thema Erneuerbare Energien eine große Triebfeder.
Auch UBS-Experte Arie sieht Grund zur Hoffnung. Irgendwann sollten die Anleiherenditen nicht mehr weiter steigen, vielleicht sogar zurückgehen und so zu einer umgekehrten Entwicklung bei den Rohstoffpreisen führen. Dann könnte aus dem Gegenwind seitens der Konjunktur 2024/25 Rückenwind werden. Die Marktstrategen der UBS prognostizierten für das kommende Jahr weiterhin Rezessionsrisiken und sinkende Leitzinsen. Außerdem sehe er nach Gesprächen auf einer hauseigenen Branchenkonferenz kaum Hinweise dafür, dass die fundamental positiven Bedingungen für Erneuerbare Energien nicht mehr gegeben seien.
Einschätzungen zu Windkraft-Aktien
Die US-Investmentbank Goldman Sachs hat das Kursziel für Vestas heute leicht von 260 auf 259 Dänische Kronen gesenkt, aber die Einstufung auf "Buy" belassen. Aktuell notiert die Vestas-Aktie bei gut 147 Kronen. Der Windturbinen-Hersteller könnte bei Anlagen an Land Marktanteile von Siemens Energy gewinnen, schrieb Analyst Ajay Patel in einer aktuellen Branchenstudie. Vestas hält er im Sektorvergleich für am besten positioniert.
Das Kursziel für die Siemens-Tochter senkte Patel von 25,90 auf 24,70 Euro, hält die Papiere aber weiterhin für kaufenswert. Für das Geschäftsjahr 2022/23 rechnet der Analyst für Siemens Energy mit einem Umsatz von 32,2 Milliarden Euro und einem Verlust vor Sonderfaktoren von 2,7 Milliarden Euro. Die Einstufung für Nordex beließ Patel auf "Neutral" mit einem Kursziel von 15 Euro.
Das US-Analysehaus Bernstein Research hat die Einstufung für Vestas auf "Outperform" heute mit einem Kursziel von 250 Dänischen Kronen belassen. Ein Analystenteam um die Expertin Deepa Venkateswaran beschäftigte sich in einer Studie mit den Chancen der Energiewende. Das Fazit: Es gebe bereits deutliche Fortschritte in allen beteiligten Sektoren, doch die Regularien blieben ein bremsendes Thema. Im Energiesektor seien die Kosten für erneuerbare Energien erheblich gestiegen und hätten so die Fortschritte der letzten fünf Jahre zunichte gemacht.
Deutlich skeptischer ist das Analysehaus Jefferies für Vestas gestimmt. Vor Zahlen zum dritten Quartal (08.11.12) von 238 auf 206 Dänische Kronen gesenkt. Die Einstufung bleibt jedoch ebenfalls auf "Buy". Der Windanlagenbauer navigiere aktuell gut durch schwierige Gewässer, schrieb Analyst Lucas Ferhani am Montag. Dank einer Entspannung in den Lieferketten und sich verbessernder Margen rechnet der Experte mit starken Auslieferungen. Zudem geht der Fachmann von einem starken Auftragseingang aus, was für deutlich mehr Transparenz mit Blick auf die Unternehmensziele für 2025 sorgen sollte.
BÖRSE ONLINE ist ebenfalls vorsichtig optimistisch, rechnet bei der Branche mit einer baldigen Bodenbildung. So könnten mutige Anleger angesichts des angeschlagenen Börsenumfelds kleinere Positionen bei RWE, Eon und auch Nordex aufbauen. Die Bewertungen sind auch bei den dänischen Windkraft-Spezis Vestas und Orsted verlockend günstig. Doch könnten insbesondere Ørsted-Aktien (derzeit auf tiefstem Stand seit 2017) noch etwas weiter fallen.
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(Mit Material von Reuters und dpa-AFX)