Bei den Ermittlungen geht es nicht mehr nur um Bilanzfälschung und Marktmanipulation, sondern auch um Betrug, wie eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft München sagte. Es war bereits die zweite Razzia innerhalb von vier Wochen.

Die Ermittlungen richten sich nun auch gegen die beiden noch amtierenden Vorstandsmitglieder Alexander von Knoop und Susanne Steidl, wie die Behörde erklärte. Zudem gebe es mögliche weitere Tatverdächtige. Insgesamt zwölf Staatsanwälte, 33 Polizisten und weitere IT-Fachleute seien mit Kollegen aus Österreich an den Durchsuchungen beteiligt gewesen. Wirecard sowie der neue Chef James Freis und Insolvenzverwalter Michael Jaffe kooperierten. Von Wirecard war keine Stellungnahme zu erhalten. Auch Brauns Anwalt war nicht erreichbar. Der Anwalt von Marsalek lehnte einen Kommentar ab.

Die während der New-Economy-Zeit gegründete Wirecard wickelt Zahlungen zwischen Händlern und Kunden ab und hat damit angeblich in den vergangenen Jahren viel Geld verdient. Nachdem in der Bilanz ein Loch von 1,9 Milliarden Euro aufgetaucht war, musste Wirecard vergangene Woche Insolvenz anmelden. Das Geld wurde auf Treuhandkonten in Asien vermutet, wo es aber nicht zu finden war. Nun steht der im Leitindex Dax gelistete Zahlungsabwickler vor der Zerschlagung. Jaffe zufolge gibt es bereits einige Interessenten für das Kerngeschäft und bestimmte Sparten. Insidern zufolge gehören Finanzinvestoren dazu, aber auch Konkurrenten wie die französische Worldline.

BEREITS MEHRERE INTERESSENTEN FÜR WIRECARD-TEILE


Die Gläubiger gaben grünes Licht für die Mandatierung von spezialisierten Investmentbanken, die sich um den Verkauf der einzelnen Firmenteile kümmern sollen, wie Jaffe sagte. Die US-Tochter Wirecard North America, die Wirecard 2016 übernommen hat, stellte sich bereits selbst zum Verkauf. Die Tochter sieht sich als finanziell unabhängig von der insolvent gegangenen Wirecard AG. Bisher sind außer der Muttergesellschaft kaum Tochterfirmen in die Insolvenz gegangen. Weitere Anträge sind Jaffe zufolge jedoch nicht auszuschließen.

Ziel des Insolvenzverfahrens sei es, den Geschäftsbetrieb zu stabilisieren, erklärte Jaffe. Das gelte für die Abwicklung von Kreditkartenzahlungen - etwa für Visa und Mastercard - und für alle übrigen, davon unabhängigen Geschäftsbereiche. "Dazu werden intensive Gespräche mit Kunden, Handelspartnern und den Kreditkartenorganisationen geführt." Auch die Geschäfte bei der - noch nicht insolventen - Wirecard Bank liefen weiter. Die BaFin hat dort einen Sonderbeauftragten eingesetzt, damit kein Geld an die AG abfließt. Gegen das Abwandern von Kunden ist die Behörde jedoch machtlos. Die Allianz nahm die gemeinsam mit Wirecard entwickelte Smartphone-App für mobiles Bezahlen vom Markt.

BAFIN-CHEF VERTEIDIGT SICH IM BUNDESTAG


Der Bilanzskandal, der den gesamten deutschen Finanzmarkt erschüttert und wegen dem Investoren Milliarden verloren haben, war auch Thema im Bundestag - allerdings hinter verschlossenen Türen. Teilnehmern zufolge verteidigte BaFin-Chef Felix Hufeld seine Aufsichtsbehörde erneut gegen die Kritik, sie habe bei der Kontrolle versagt. Alles sei rechtmäßig abgelaufen. Ein Knackpunkt ist, dass die Wirecard AG nicht als Finanzunternehmen sondern als Technologie-Holding eingestuft wurde, damit stand sie nicht im Fokus der BaFin, sie war nur für die Kontrolle der Wirecard Bank zuständig. Hufeld betonte vor dem Finanzausschuss einer BaFin-Sprecherin zufolge, alle bisherigen Entscheidungen zu diesem Thema seien in Konsens mit den beteiligten Institutionen Deutsche Bundesbank und EZB getroffen worden.

Die Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) forderte Konsequenzen für die BaFin. "Die Frage ist doch, was eine Aufsicht für die Anleger wert ist, wenn sie im Falle ihres Versagens keine Konsequenzen tragen muss", erklärte DSW-Hauptgeschäftsführer Marc Tüngler. Dass die Behörde per Gesetz ein Haftungsprivileg genieße, sei den Anlegerschützern bereits seit langem ein Dorn im Auge. "Die Causa Wirecard zeigt erneut anschaulich, wie antiquiert und vor allem falsch diese Freistellung ist."

Wirecard steht jetzt auch auf Mauritius im Visier der Aufsichtsbehörden. Die Zentralbank des Landes und die Finanzaufsicht untersuchen, ob es sogenanntes "Round-Tripping" gegeben habe, erklärten die beiden Ämter in einer gemeinsamen Mitteilung am Mittwoch. Man wolle jeden möglichen Verstoß gegen regulatorische Anforderungen ans Licht bringen.

Bei "Round Tripping" wird der Umsatz aufgebläht, indem Überweisungen zwischen einzelnen Konzerngesellschaften hin- und hergeschoben werden, ohne dass echte Geschäfte dahinter stehen. Eine Untersuchung einer Anwaltskanzlei in der Wirecard-Niederlassung in Singapur 2019 zeigte, dass diese Praxis dort angewandt wurde. Wirecard bestritt seinerzeit Fehlverhalten.

rtr