Sie zählt zu den besten Fondsmanagern für europäische Nebenwerte: Stéphanie Bobtcheff lenkt für die französische Gesellschaft La Financière de l’Echiquier zwei Portfolios, die Anlagechancen bei kleinen und mittleren Unternehmen suchen. Wie aussichtsreich die sogenannten Small und Mid Caps dieses Jahr sind, verrät sie im Interview.
€uro am Sonntag: Frau Bobtcheff, wird 2021 ein gutes Jahr für europäische Nebenwerte?
Stéphanie Bobtcheff: Ja, davon bin ich überzeugt. Im Zuge der wirtschaftlichen Erholung in Europa dürften Small und Mid Caps besonders profitieren. Und das aus verschiedenen Gründen. Die kleineren Unternehmen in Europa sind mit ihrem Geschäft stark auf den Heimatkontinent ausgerichtet. Ein starker Wirtschaftsaufschwung hierzulande nach dem Ende der Covid-Krise würde diese Firmen überproportional antreiben. Des Weiteren gelten Small und Mid Caps als konjunktursensibler und zyklischer als Large Caps. Auch das sollte ihnen bei einer Konjunkturerholung in die Karten spielen. Zugleich werden kleinere Werte als risikobehafteter wahrgenommen. In einem Risk-on-Umfeld aber, in dem Anleger größere Wagnisse eingehen, greifen sie auch häufiger zu Small Caps.
Also eine gute Unterstützung für Nebenwerte vonseiten des Makro-Umfelds …
So ist es. Zusätzlich erwarten wir hohe Nettomittelzuflüsse in dieses Marktsegment. 2019 haben wir Anteilsrückgaben im Wert von mehr als zehn Milliarden Euro bei Small- und Mid-Cap-Fonds gesehen. Auch 2020 standen unterm Strich Abflüsse von sieben Milliarden Euro. Erst gegen Ende des vergangenen Jahres kam es wieder verstärkt zu Zuflüssen. 2021 sollte dieser Trend anhalten.
Was macht Sie so optimistisch?
Der Blick in die Vergangenheit. Bisher war es häufig so: Wenn Sie in einem Jahr Nettomittelabflüsse bei Small- und Mid-Cap-Fonds bei gleichzeitig solider Wertentwicklung der Portfolios gesehen haben, gab es im Jahr darauf Zuflüsse in das Segment. 2019 war so ein Jahr: Der Small- und Mid-Cap-Markt zeigte eine starke Performance, zugleich flossen den Fonds in hohem Maße Mittel ab. 2020 wäre also wieder mit Zuflüssen zu rechnen gewesen. Doch die Corona-Krise vereitelte das. Sie sorgte für ein Umfeld, in dem Nebenwerte vielen Anlegern zu riskant und zu wenig liquide waren.
Unterm Strich war die Wertentwicklung von Small und Mid Caps 2020 aber nicht schlecht.
Sie war sogar mehr als zufriedenstellend. Deshalb erwarten wir dieses Jahr wieder Nettomittelzuflüsse - und in der Folge eine starke Performance der Nebenwerte. Ebenfalls unterstützend auf die Anlageklasse dürfte sich das Geschehen bei Übernahmen und Fusionen auswirken. Denn diese spielen sich häufig im Segment der Small und Mid Caps ab. Dort gibt es viele Unternehmen, die sich in schnell wachsenden Nischen tummeln und interessant sind für Industrieunternehmen oder Private-Equity-Firmen. 2020 hat sich bei Fusionen und Übernahmen aus nachvollziehbaren Gründen wenig ereignet. Wir erwarten deshalb dieses Jahr dort verstärkte Aktivitäten.
Inwiefern beeinflusst die Sektorrotation von Wachstumstiteln hin zu zyklischen Werten auch die Small und Mid Caps?
Die Nebenwerte sind von dieser Entwicklung genauso erfasst worden wie die Standardwerte. Ich denke aber, dass sich die Outperformance der zyklischen Aktien im Lauf des Jahres abschwächen wird und sich die Titel mehr im Gleichschritt mit Wachstumsaktien entwickeln.
Das käme auch Ihren Small- und Mid-Cap-Fonds entgegen, oder?
Richtig, unsere Nebenwerte-Portfolios sind eindeutig auf Wachstumswerte ausgerichtet. Wir denken, das ist die einzige Möglichkeit, um langfristig eine überdurchschnittliche Wertentwicklung zu erzielen. In puncto Wachstum achten wir besonders auf unternehmensspezifische Treiber - wenn das Wachstum sozusagen inhärent ist und kaum von externen Faktoren abhängt. Der Großteil unserer Portfolios ist in Qualitätswachstumsfirmen investiert.
Gibt es Titel in Ihrem Fonds Echiquier Agenor SRI Mid Cap Europe, die Sie 2021 für besonders aussichtsreich halten?
Ja, zum einen Neoen, einen französischen Erzeuger von erneuerbaren Energien, zum anderen den italienischen Diagnosespezialisten Diasorin. Beide Aktien sind weit von ihren Höchstständen des vergangenen Jahres entfernt. Wir denken, dass es sich lohnt, diese Aktien jetzt genauer zu betrachten. Denn von den Strategien beider Unternehmen sind wir nach wie vor überzeugt.
Erläutern Sie das bitte näher.
Neoen hat kürzlich seine Pläne bis zum Jahr 2025 bekannt gegeben, die sehr ambitioniert klingen. Um die Stromerzeugung bis auf zehn Gigawatt auszubauen, plant das Unternehmen eine Kapitalerhöhung. Die Aktie haben wir seit dem Börsengang 2018 im Portfolio. 2020 haben wir unsere Position dann stark reduziert, weil der Titel sehr teuer geworden ist. Seit Anfang dieses Jahres hat sich die Aktie deutlich verbilligt. Zum einen aus Bewertungsgründen, aber auch wegen der angekündigten Kapitalerhöhung. Diese Gelegenheit haben wir wahrgenommen und unsere Position wieder aufgestockt.
Und was ist mit Diasorin?
Diasorin hatte ein fantastisches Jahr 2020, da das Unternehmen Covid-Tests anbietet. Jetzt fokussiert sich der Markt auf 2022 und 2023 und ist wohl zu dem Schluss gekommen: In der Post-Corona-Welt fällt für die Italiener ein erheblicher Teil des Umsatzes weg, Vorsicht. Diasorin wurde bisher als "Covid-Unternehmen" wahrgenommen. Mit fortschreitenden Impfungen scheinen das Unternehmen und seine Produkte weniger interessant zu sein. Das sehen wir anders. Wir sind von einem weiterhin wachsenden Diagnostikmarkt überzeugt. Zudem hat Diasorin eine interessante Akquisition auf dem Gebiet der sogenannten Multiplex-Molekulardiagnostik angekündigt. Ein Bereich, von dem wir überzeugt sind, dass er den Rückgang bei Covid-Tests in den kommenden Jahren kompensieren kann.
Echi. Agenor SRI MC Europe: In diesem Portfolio versammelt Stéphanie Bobtcheff europäische Wachstumswerte mit mittlerer Marktkapitalisierung. Bei der Analyse berücksichtigt sie Nachhaltigkeitskriterien.