Grass mischte sich stets in aktuelle Diskussionen ein. Der Deutsche Kulturrat nannte Grass einen "Seismographen der Gesellschaft". SPD-Chef Sigmar Gabriel sagte, seine Partei verliere einen "engen Freund und Ratgeber". Bundespräsident Joachim Gauck kondolierte der Witwe Ute Grass. Ihr Ehemann habe mit seiner Kunst die Menschen bewegt, begeistert und zum Nachdenken gebracht, schrieb Gauck. "Wir werden Ihren Mann nicht vergessen."

Weltruhm erlangte der am 16. Oktober 1927 in Danzig in einer Kaufmannsfamilie geborene Grass mit dem 1959 erschienenen Roman "Die Blechtrommel". Das von Volker Schlöndorff 1979 verfilmte Buch über den kleinwüchsigen Oskar Matzerath, der die Blechtrommel schlägt und mit seiner Stimme Glas zerspringen lassen kann, gewann einen Oscar. Neben der "Blechtrommel" bilden "Katz und Maus" und "Hundejahre" die Danziger Trilogie.

Grass' Werke, darunter "Der Butt" und "Die Rättin", wurden in viele Sprachen übersetzt. Häufig behandelte er die Zeit des Zweiten Weltkrieges. Aber auch aktuelle politische Ereignisse verarbeitete der Schriftsteller. So inspirierte ihn eine Asien-Reise zu dem Werk "Kopfgeburten oder die Deutschen sterben aus". Neben Romanen und Erzählungen wie dem "Treffen in Telgte" und "Unkenrufe" schrieb Grass Gedichte und Theaterstücke. 1999 erhielt er den Nobelpreis für Literatur für sein Lebenswerk.

In dem autobiografisch geprägten Buch "Beim Häuten der Zwiebel" von 2006 schildert Grass seine Erinnerungen. Kurz zuvor machte er öffentlich bekannt, dass er im Herbst 1944 als 17-Jähriger zur Waffen-SS eingezogen worden war. Dass dieser kritische Geist, der mit seinen Landsleuten oft hart ins Gericht ging, mehr als 60 Jahre lang diese Mitgliedschaft verschwiegen hatte, sorgte in Deutschland für Aufsehen.

Der wortgewaltige und oft unbequeme Grass mischte sich häufig in die Politik ein. So sorgte er vor einiger Zeit mit einem Israel-kritischen Gedicht, das er in einer Tageszeitung veröffentlichte, für Irritationen. Noch vor drei Jahren bemängelte er in einem Gedicht mit dem Titel "Europas Schande" den Umgang der internationalen Geldgeber mit dem pleitebedrohten Griechenland in der Schuldenkrise.

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"DIE SPD VERDANKT GRASS VIEL"

Grass engagierte sich für die SPD und machte Wahlkampf für Willy Brandt. Er eckte aber auch bei den Sozialdemokraten immer wieder mit seinen Auffassungen an. So wandte er sich gegen eine hastige Wiedervereinigung und wünschte sich stattdessen einen Staatenbund der alten Bundesrepublik und der DDR, um dem Osten Deutschlands Zeit zu geben, sich demokratisch und wirtschaftlich zu festigen. SPD-Chef Gabriel erklärte, die deutsche Sozialdemokratie verliere einen langjährigen Wegbegleiter. "Die SPD verdankt Günter Grass viel." Seit seiner legendären Freundschaft mit Willy Brandt sei Grass ein Ratgeber und Wahlkämpfer der Sozialdemokratie gewesen. Mit seinem literarischen Werk habe er "unser Land verändert, im besten Sinne aufgeklärt".

Auch Gauck würdigte Grass als einen "streitbaren und eigenwilligen politischen Geist, der Auseinandersetzungen und Kritik nicht fürchtete". "In seinen Romanen, Erzählungen und in seiner Lyrik finden sich die großen Hoffnungen und Irrtümer, die Ängste und Sehnsüchte ganzer Generationen."

Bundestagspräsident Norbert Lammert hob Grass' politisches Engagement hervor. "Er scheute keine noch so heftige Kontroverse, im Gegenteil, er suchte sie, wo er sie für notwendig erachtete. Das machte ihn zu einer Instanz in der politischen Debatte, die zuweilen störte und manchmal auch verstörte."

Mit großer Trauer reagierte auch der Autor Salman Rushdie. Auf Twitter würdigte er Grass als einen wahren Giganten, als Quell der Inspiration und Freund. "Schlage für ihn die Trommel, kleiner Oskar."

Reuters