Simons studierte an der Eliteuniversität MIT (Massachusetts Institute of Technology) in Boston Mathematik. Er lebte nach der Devise "Work hard, play hard", spielte oft bis spät in die Nacht Poker und fuhr dann mit seinen Freunden in ein Nachtcafé, wo sie jeweils für 1,25 Dollar Hühnchen aßen und mathematische Probleme diskutierten. Immer mit dabei: Isadore Singer und Warren Ambrose, die beide später in den USA brillante Karrieren als Mathematiker machen sollten. Simons rückblickend: "Es war ein tolles Leben."

1958 schloss er am MIT mit dem Bachelor ab, zog dann nach Berkeley, Kalifornien, wo er mit einer Arbeit über die "Transitivität holonomischer Systeme" - einer These über die Geometrie multidimensionaler Räume - promovierte. Schon früh entwickelte er ein Faible für die Börse: In Berkeley begann er mit Rohstoffen zu handeln, er investierte das Geld, das er und seine Frau als Hochzeitsgeschenk erhalten hatten, in Sojabohnen und strich einen Gewinn von 500 Dollar ein.

Von 1961 bis 1964 lehrte er als Professor in Harvard. Er hielt immer noch Kontakt zu seinen beiden Pokerkumpels Edmundo Esquenazi, einem Kolumbianer, und Jimmy Mayer. Mit Mayer hatte er 1958 mit einem italienischen Lambretta-Motorroller einen abenteuerlichen Trip von Boston nach Bogotá unternommen. Jetzt taten sich die drei Freunde zusammen, um ihre gesamten Ersparnisse in eine kolumbianische Firma zu investieren, die Vinylbodenfliesen herstellte.

Simons begann sich in Harvard zu langweilen. Er wechselte ins Forschungszentrum des Institute for Defense Analyses (IDA), eine Denkfabrik des amerikanischen Verteidigungsministeriums, wo er sich mit der Entschlüsselung von gegnerischen militärischen Codes beschäftigte. Es war die Zeit des Vietnamkriegs. Als General Maxwell Taylor, der damalige Leiter des IDA und Ex-Kommandeur der US-Streitkräfte, in einem Interview mit der "New York Times" den Krieg verteidigte, heftete Simons an die Pinnwand des Instituts eine Notiz, in der er für einen schnellen Abzug der US-Truppen plädierte. Simons wurde daraufhin von General Taylor gefeuert.

Zehn Jahre lang war er anschließend Dekan der mathematischen Fakultät der Universität von New York. Sein Investment in die kolumbianische Fliesenfirma hatte sich inzwischen als hochprofitabel erwiesen. Simons und seine Partner investierten 1974 die Gewinne, rund 600 000 Dollar, in Rohstoffe. Innerhalb von sieben Monaten wurden daraus sechs Millionen - vor allem weil sich in dieser Zeit die Zucker-Futures verdoppelt hatten.

Raketeningenieure im Einkaufszentrum



Simons hatte jetzt plötzlich viel Geld. Er beschloss, sich selbstständig zu machen und, ermuntert durch seine frühen Erfolge als Spekulant, in die Finanzbranche zu wechseln. Er gründete zusammen mit Gleichgesinnten den Renaissance-Technologies- Fonds mit Sitz in einem Einkaufszentrum in Setauket, einem kleinen Nest an der Nordküste von Long Island im Bundesstaat New York. Er stellte keine Börsianer oder Wirtschaftswissenschaftler mit prestigeträchtigen MBAs ein, sondern Leute, die für ihn die Märkte vermessen konnten: Mathematiker, Astrophysiker, Raketeningenieure, Spracherkennungsspezialisten oder Statistiker. Einige von ihnen warb er vom Forschungszentrum des Pentagons, seiner früheren Arbeitsstätte, ab.

"Ich habe immer gesagt, das Erfolgsgeheimnis von Renaissance besteht darin, dass sie keine MBAs einstellten", behauptet ein früherer Manager des Fonds.

Die von Simons’ Team entwickelten mathematischen Modelle erlaubten es Renaissance, ungewöhnliche minimale Kursdifferenzen zu erkennen und sie auszunutzen. So konnten Optionen im Sekundentakt ge- und verkauft werden. Die Wissenschaftlertruppe von Renaissance erfasste riesige Datenmengen, die von den Finanzmärkten generiert wurden, und überprüfte sie mit ständig weiterentwickelten, hochkomplizierten Programmen auf Korrelationen zwischen Aktien, Anleihen, Derivaten sowie anderen Finanzinstrumenten und suchte damit im Datenstrom nach Signalen für Preistrends.

Diese Trends können Monate, Wochen, Tage oder nur Minuten dauern. Die Suche kann beispielsweise eine Aussage darüber ergeben, ob ein Futures-Kontrakt auf Palladium steigen oder fallen wird.

Der Erfolg war atemberaubend: Simons Flaggschifffonds Medallion, der mithilfe dieser Handelsalgorithmen weltweit an allen Finanz- und Rohstoffmärkten agiert, von Sojabohnen-Futures bis zu französischen Staatsanleihen, brach alle Rekorde. Rund 45 Prozent Rendite im Jahr hat der Fonds laut "Wall Street Journal" seit Ende der 80er-Jahre durchschnittlich erzielt. Im Jahr 2000, als der Aktienmarkt abstürzte, erzielte Medallion einen Gewinn von sagenhaften 98,5 Prozent. Er überstand auch die jüngste Finanzkrise, als viele Hedgefonds in schwere See gerieten, und schloss das Krisenjahr 2008 mit einer Rendite von 80 Prozent ab. Heute verwaltet der Fonds ein Vermögen von geschätzten zehn Milliarden Dollar.

Bei Medallion verlässt man sich nicht auf das Wissen und den Instinkt menschlicher Händler, die Deals werden auf der Basis von Computerprogrammen automatisch gesteuert. Solche Fonds nennt man Quants. Manchmal hält Medallion einzelne Werte nur für einen Sekundenbruchteil, manchmal aber auch für mehrere Wochen. Die Algorithmen, das Herzstück der Programmsteuerung, gehören zu den bestgehüteten Erfolgsgeheimnissen der Wall Street. Daher weiß niemand so richtig, was Renaissance eigentlich tut und wie es seine Milliardengewinne macht. Simons hat zugegeben, dass er sogar überprüfen ließ, ob es in bestimmten Märkten einen Zusammenhang zwischen dem Wetter und den Aktienkursen gibt.

Diese Gesetze der Finanzmärkte stellen nach Aussage Simons’ eine ganz besondere Herausforderung dar. Sie hätten, im Gegensatz zu den Gesetzen von Physik oder Chemie, die Tendenz, sich im Laufe der Zeit zu verändern. "Man kann die Bahn eines Kometen viel einfacher berechnen als den Kurs der Citigroup-Aktie. Aber es ist natürlich finanziell attraktiver, den Aktienkurs vorauszusagen als die Kometenbahn."

Auch die Putzfrauen verdienen mit



Der Medallion-Fonds ist seit 1993 für externe Investoren geschlossen. Er verwaltet jetzt nur noch das Geld von rund 85 Mitarbeitern. "Von den Managern bis zu den Putzfrauen sind alle am Ergebnis beteiligt." Sie bezahlen dafür eine jährliche Managementgebühr von fünf Prozent und 36 Prozent auf die Gewinne - verglichen mit zwei und 20 Prozent bei anderen Hedgefonds. Für die "normalen" Investoren hat Simons zwei weitere Fonds eingerichtet - den auf Aktien spezialisierten RIEF, der seine Positionen in der Regel mehrere Monate hält, und den RIFF, der in Rohstoffe investiert. Diese Fonds haben sich deutlich schlechter entwickelt als der Medallion.

Über 200 Angestellte arbeiten inzwischen für Renaissance in Setauket. Ein Drittel davon hat einen Doktortitel. Weitere 100 Angestellte sitzen in Manhattan, San Francisco, London und Mailand.

Simons, in zweiter Ehe verheiratet, ging 2010 als Multimilliardär in den Ruhestand. Er wolle mehr Zeit für seine Wohltätigkeitsstiftungen haben - mit seinem Privatvermögen unterstützt er die Autismusforschung, mathematische Studien und internationale Gesundheitseinrichtungen. Und er wolle mehr Zeit auf seiner Jacht verbringen. Er besitzt eine 68-Meter-Superjacht, mit der er auf den Weltmeeren kreuzt. Er hat sie - wen wundert’s - nach dem berühmten griechischen Mathematiker Archimedes benannt.

PEB