Wie bunte Legosteine türmen sich seit Wochen tonnenschwere Container am drittgrößten Frachthafen der Welt in der chinesischen Küstenstadt Ningbo-Zhoushan. Seit Anfang August ist einer der Terminals geschlossen, weil ein Mitarbeiter positiv auf Corona getestet wurde. Für den Hafen bedeutet das den Ausnahmezustand. Auch in anderen Häfen der Welt stauen sich derzeit die Container. Der Grund: Die globale Nachfrage nach Konsumgütern ist seit Herbst vergangenen Jahres ungebrochen hoch. Die Folge: Vorprodukte wie Halbleiter oder chemische Grundstoffe sind knapp. Das bedeutet Chaos für die Industrie in Deutschland und anderswo: Fließbänder bleiben stehen, Ladenregale mancherorts leer.
Doch für die Frachtschiffbranche ist die Situation ein Segen - trotz Warteschlangen an den Häfen. "Aufgrund der Corona-Krise wurden viele Medizinprodukte transportiert, zum Beispiel Masken und Schutzanzüge. Auch die hohe Nachfrage nach Konsumgütern in Europa und den USA kurbelt den Markt an", sagt Burkhard Lemper, Geschäftsführer des Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik (ISL) und Professor für Maritime Wirtschaft an der Hochschule Bremen. Lange Zeit war die Branche gebeutelt, bei den Frachtpreisen herrschte aufgrund von Überkapazitäten Flaute. Seit der Pandemie hat sich das Blatt gewendet: Die Umschlagszahlen sind nach Daten des ISL Monthly Port Monitor in einigen Häfen um 50 Prozent höher als vor einem Jahr, insbesondere an der US-Westküste.
Die Frachtpreise haben sich zum Vorjahr auf einigen Strecken sogar versechsfacht, sagt Lemper. Das gilt vor allem für die meistbefahrenen Strecken des Welthandels, so etwa die zwischen China und Europa. Auch die Tramp-Reedereien, also Unternehmen, die Schiffe an andere Werften verchartern, profitieren von der Situation. Denn die Charterraten sind derzeit auf dem höchsten Niveau seit zehn Jahren.
Transportpreise steigen
Mit einer derartigen Aufholjagd hatten die Container-Reeder jedoch nicht gerechnet. Zu Beginn der Krise schraubten sie ihre Kapazitäten herunter. Darum herrschen heute Engpässe. Das lässt die Transportpreise und die Einnahmen für die Frachtschiffunternehmen steigen. "Entsprechend legten die Aktien dieser Unternehmen seit Anfang des Jahres im Durchschnitt um mehr als 210 Prozent zu - eine Entwicklung, die sich in Anbetracht der Situation noch weiter fortsetzen könnte", sagt Ulrich Stephan, Chefanlagestratege für Privat- und Firmenkunden der Deutschen Bank. "Hohe Frachtraten dürften die Margen von Container-Reedereien stärken", fügt Stephan hinzu. Solange Container und Schiffe knapp sind, die Nachfrage aber ungebrochen hoch ist, dürften Container-Reedereien für Anleger ein chancenreiches Investment sein.
Auch Experten für maritime Wirtschaft sehen die Aussichten mittelfristig rosig. "Für das Jahr 2021 rechnen wir für die Branche mit einem Transportmengenplus von sieben bis neun Prozent verglichen zum Vorjahr, den Basiseffekt mit eingerechnet", sagt ISL-Chef Lemper. Bis die Branche die Engpässe auffangen kann, dürfte es noch dauern. "Die Reedereien haben enorm viele neue Schiffe bestellt, um die Knappheit aufzufangen. Allerdings werden die meisten davon erst zwischen 2023 und 2025 ausgeliefert", erklärt Experte Lemper. Die Bauplätze auf den Werften seien ausgebucht.
Überkapazitäten sind ein Risiko
Sobald der Nachholeffekt nach der Pandemie wieder abflaut und die damit verbundene Konsumnachfrage nachlässt, könnte der Boom ein Ende haben. "Überkapazitäten könnten die Container-Reedereien dann sogar belasten," warnt Deutsche-Bank-Chefanlagestratege Ulrich Stephan.
Wie zyklisch die Schifffahrtsbranche ist, zeigte sich in den Krisenjahren vor der pandemiebedingten Trendwende. Die Krise begann mit der Lehman-Pleite im Jahr 2008. Zuvor ging es der Branche gut - die wachsende Weltbevölkerung, die voranschreitende Globalisierung und der wirtschaftliche Aufstieg Chinas bescherten den Schifffahrtsunternehmen hohe Frachtraten und hohe Gewinnmargen. Reedereien waren oft ausgebucht und ließen während des Booms immer mehr Schiffe bauen, viele davon durch steuerbegünstigte Schifffonds oder Kredite finanziert - bis es irgendwann eine Überkapazität an Schiffen gab. Mit Beginn der Finanzkrise brach der Welthandel ein, viele Containerschiffe wurden obsolet. Die Frachtraten sanken, und die Containerschiff-Branche stürzte in die Krise.
Solche Überkapazitäten könnten auch auf den jetzigen Boom folgen, warnen Experten. "Marktteilnehmer können davon ausgehen, dass die gute Einnahmesituation noch bis Mitte 2022 anhalten wird", sagt Lemper. "Darüber hinaus könnte es unsicherer werden, denn sobald keine Angebotsknappheit mehr herrscht, sinken die Frachtpreise."
Ein weiteres Risiko liegt im Umweltaspekt. "Die Container-Schifffahrt ist heute alles andere als umweltfreundlich, was dem Sektor ESG-orientierte Investments vorenthält", sagt Finanzprofi Stephan. Die geplante Integration des Sektors in das CO2-Emissionshandelssystem könnte die Gewinnmargen europäischer Reeder drücken, warnt der Anlagestratege, und unter Umständen für reduzierte Frachtvolumina sorgen.
Dass der Umweltschutz jetzt schon ins Geld geht, zeigt das Beispiel der weltgrößten Container-Reederei A.P. Møller- Mærsk: Die Dänen bestellten soeben acht neue Containerriesen, die statt herkömmlichen Treibstoffs umweltfreundliches Methanol verbrennen - für 175 Millionen Dollar pro Stück.
INVESTOR-INFO
Hapag-Lloyd
Deutsches Flaggschiff
Die Hamburger verzehnfachten ihre Gewinne im ersten Halbjahr wegen stark steigender Frachtraten auf gut 2,7 Milliarden Euro. Im Schnitt zogen die Preise um 46 Prozent auf rund 1.600 US-Dollar je Container an. Kürzlich hob Hapag-Lloyd die Jahresprognose an, erwartet wird ein Betriebsgewinn (Ebit) zwischen 6,2 und 7,9 Milliarden Euro. Deutschlands größte Reederei erlebte seit Herbst 2020 eine Rally, inzwischen hat das Papier etwas konsolidiert. Riskant.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 220,00 Euro
Stoppkurs: 165,00 Euro
A.P. Møller-Mærsk
Skandinavischer Koloss
Mit über 700 Containerschiffen sind die Dänen die weltgrößte Containerschiff-Reederei. Bis zum Jahr 2030 will Mærsk klimaneutral unterwegs sein. Schon jetzt überzeugen die Gewinne: Das Unternehmen verdoppelte 2020 den Bruttogewinn auf rund vier Milliarden Euro. Auch im ersten Halbjahr 2021 lief es für die Skandinavier gut. Die Bewertung ist noch moderat, die Aktie aber nominell recht teuer und somit etwas sperrig zu handeln.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 2.700,00 Euro
Stoppkurs: 2.180,00 Euro
Cosco Shipping
Günstige Chinesen
Cosco ist mit einer Flotte von nahezu 500 Schiffen der viertgrößte Reeder der Welt. Das Unternehmen ist eine Tochter der China Ocean Shipping Company. Der Konzern mit Hauptsitz in Peking konnte seinen Bruttogewinn 2020 - ähnlich wie die Konkurrenz - von umgerechnet rund 16 Milliarden auf 24,3 Milliarden Euro stark steigern. Die Eigenkapitalquote ist mit 16 Prozent vergleichsweise niedrig. Die Aktie ist wegen der Informationslage riskant, die Bewertung aber moderat.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 2,00 Euro
Stoppkurs: 1,15 Euro