Vieles ist noch unklar - unter anderem der konkrete Preis, den Liberty Steel zahlen will. Es folgt eine Übersicht zu den wichtigsten Fragen:
IST EINE KONSOLIDIERUNG DER SCHWERINDUSTRIE NÖTIG?
Manager und viele Experten sagen ja. "In Europa haben wir Produktionskapazitäten von 210 Millionen Tonnen", sagt etwa McKinsey-Partner Benedikt Zeumer. "Die Nachfrage liegt aber nur bei 155 Millionen Tonnen. Aus diesem Grund sind wir in einer Situation, in der die Industrie sich verändern muss. Andernfalls erhalten sie Strukturen aufrecht, die keiner mehr braucht." Die Arbeitnehmer von Thyssenkrupp oder Konkurrent Salzgitter sehen aber nicht ein, dass sie dafür die Zeche zahlen sollen. Insbesondere in China werde viel zu viel Stahl produziert, der im Ausland die Märkte überschwemme.
KOMMT ES ZU EINEM BIETERRENNEN?
Das käme Thyssenkrupp sicher gelegen, hatte der Konzern im Fall des Elevator-Verkaufs den Preis doch so auf über 17 Milliarden Euro in die Höhe getrieben. Aber danach sieht es nicht aus: Stahl ist einfach derzeit nicht so heiß begehrt. Bis auf Liberty hat sich keiner aus der Deckung gewagt. Gespräche hat Thyssenkrupp Insidern zufolge auch mit dem schwedischen Stahlhersteller SSAB geführt. Auch der indische Konzern Tata - mit dem Thyssen eine Fusion der europäischen Stahlsparten schon ausgehandelt hatte, die dann am Einspruch der EU-Wettbewerbsbehörden scheiterte - dürfte sich das Geschäft weiter anschauen. Die chinesische Baosteel gilt ebenfalls als Interessent, sorgt sich Insidern zufolge aber über mögliche Widerstände in Deutschland gegen eine Übernahme durch ein chinesisches Unternehmen. Der russische Severstaal hat abgewunken.
WAS BLEIBT VON THYSSENKRUPP - DER ANFANG VOM ENDE?
Schon durch den Verkauf der Aufzugssparte haben mehr als 50.000 Mitarbeiter den Konzern mit zuvor rund 160.000 Beschäftigten verlassen. 20.000 Mitarbeiter hat Thyssenkrupp in den zur Disposition gestellten Geschäften des Bereichs Multi Tracks. Mit einem Verkauf der Stahlsparte gingen weitere 27.000 Jobs aus dem Konzern heraus. "Thyssenkrupp ohne Stahl ist wie ein Wohnzimmer ohne Sofa", warnte stets der frühere Betriebsratschef Wilhelm Segerath.
Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz lässt beim Stahl keine Tabus gelten und setzt auf den Werkstoffhandel, Industriekomponenten wie Wälzlager für die Windindustrie und Autoteile. "Man hat den Eindruck, Thysssenkrupp befindet sich bereits mitten in der Abwicklung", sagt Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzgemeinschaft für Wertpapierbesitz (DSW). Er fordert mehr Klarheit, wohin die Reise gehen soll.
WIE HOCH SIND DIE HÜRDEN DER WETTBEWERBSHÜTER?
Mit Thyssenkrupp Steel Europe würde Liberty zur Nummer Zwei in Europa werden - was Thyssenkrupp heute schon ist. Nach einem Zusammenschluss kämen die Unternehmen auf einen Marktanteil von geschätzt 14 Prozent hinter ArcelorMittal mit 25 Prozent. Die EU-Kommission dürfte deshalb genau hinschauen. Die Überschneidungen seien aber nicht so groß wie bei Thysenkrupp und Tata Steel Europe, erklären die Analysten von Jefferies. Dies gelte insbesondere für die Produkte Automobil- und Verpackungsstahl. Hier hatte die EU-Kommmission bei der geplanten Fusion der europäischen Stahlgeschäfte von Thyssen und Tata die größten Probleme gesehen und den Merger 2019 untersagt.
WIE WURDE LIBERTY ZUM STAHLRIESEN?
Liberty Steel ist in Kontinentaleuropa weitgehend unbekannt. Sanjeev Gupta, Chef des Liberty-Steel-Eigentümers GFG Alliance, ist im Vergleich zu dem über 200 Jahre alten Thyssenkrupp-Konzern erst seit kurzer Zeit im Stahlgeschäft unterwegs. 1992 gründete er zunächst eine Handelsgesellschaft. Die Stahlsparte gewann in den vergangenen Jahren durch Zukäufe gehörig an Größe. Der heute 49-jährige Manager schlug bei Geschäften von Tata Steel 2017 ebenso zu wie ein Jahr später bei Weltmarktführer ArcelorMittal, als dieser nach dem Erwerb der italienischen Ilva diverse Geschäfte aus Wettbewerbsgründen abstoßen musste. Heute ist Liberty Steel der viertgrößte Stahlkonzern Europas, hat Geschäfte in den USA, Asien und Australien und beschäftigt rund 30.000 Mitarbeiter.
rtr