Das Jahr fängt ja gut an. In den USA wird das Kapitol gestürmt, Frankreich vermeidet mit Mühe und Not, dass die Lichter ausgehen - also den sogenannten Blackout, in Neuseeland wird die Notenbank gehackt und die großen, teils wie Oligopole agierenden Techunternehmen Twitter, Facebook, Amazon und Apple haben unisono ein neues Betätigungsfeld gefunden: die Zensur. "Sie betätigen sich politisch, wenn sie bestimmen, welche Inhalte entfernt, welche Inhalte zugelassen und welche betont werden sollen", kommentiert das "Wall Street Journal". Das Ganze allerdings ohne Mandat. Auch der russische Oppositionspolitiker Alexei Nawalny übt Kritik: Die von Twitter verhängte Sperre des amerikanischen Nochpräsidenten Donald Trump ist für ihn ein "Präzedenzfall, den die Feinde der Redefreiheit ausnutzen werden". Denkwürdige Worte in denkwürdigen Zeiten. Und alles schwer zu verdauen.

Wie bemerkenswert die Zeiten sind, sieht man auch an den Märkten. Das Börsenjahr hat gut angefangen. So gut, dass sich der Schweizer Vermögensverwalter Pictet in einer Marktanalyse in die Welt der Mythologie begibt: 2021 werde zum "Jahr des Phönix", steht da zu lesen. Nach der Rezession des vergangenen Jahres komme es jetzt zu einem Wiederaufleben der Konjunktur. Wie Phönix aus der Asche sozusagen. Die Weltwirtschaft sollte sich demnach erholen und die Unternehmensgewinne sollten wieder steigen.

Schwer zu (er-)tragen


Das kann man so stehen lassen. Allerdings sollte man gleichzeitig nicht vergessen, dass der mythische Vogel dazu verdammt ist, immer wieder der Sonne zu nah zu kommen. Also, Achtung. Gleichzeitig hat der Phoenix viel Ballast aufgepackt bekommen, wodurch das Fliegen vermutlich nicht ohne Trudeln und Turbulenzen ablaufen wird. Belastend ist beispielsweise die Verschuldung, die immens zugenommen hat. Überall auf dem Globus. Egal ob Haushalte, Regierungen oder Unternehmen. Und nicht alle Länder sind gleich gut aufgestellt, wenn es darum geht, die im Verlauf der Corona-Krise aufgelaufenen Kosten zu tragen. Von abzutragen ganz zu schweigen.

Auch politisch wird sich vieles ändern. Angefangen mit den USA. Geht man davon aus, dass Joe Biden wie geplant am 20. Januar die Amtsgeschäfte übernimmt, wird spannend sein, wie er künftig die China-Politik gestaltet. Werden die Handelshemmnisse wieder abgebaut? Oder kommt es durch das Vorpreschen der EU zu neuerlichen Verstimmungen mit der Volksrepublik (siehe auch Seite 20)? Das von der Europäischen Union mit China beschlossene Abkommen soll für mehr Sicherheit und Transparenz bei Investitionen sorgen. Ein europäisches Unternehmen könnte demnach künftig freier entscheiden, ob eine neue Fabrik in China über ein eigenes Tochterunternehmen oder ein Gemeinschaftsunternehmen mit einem chinesischen Partner entwickelt werden soll. "Theoretisch jedenfalls", kommentiert der Geldverwalter DWS in einer Analyse.

Minus ergibt Plus


Um es noch einmal zusammenzufassen: 93 Prozent der Volkswirtschaften auf dem Globus verzeichneten 2020 ein Konjunkturminus. Bei gut der Hälfte davon waren es minus sechs Prozent oder mehr. Und trotzdem haben DAX, Dow und Co neue Rekordhochs erreicht. Ganz klar wegen des Eingreifens der Politik und der Notenbanken - und wegen der Unmenge an Kapital, das dadurch in die Finanzmärkte geflossen ist. Denkwürdige Zahlen in denkwürdigen Zeiten.

Martin Blümel ist leitender Redakteur bei BÖRSE ONLINE und Autor des Börsenblogs www.bluemelstaunt.com