Interviewtermin im noblen Hotel Falkenstein im Taunus: Max Otte kommt etwas zu spät. Er war zuvor als Gastredner bei einem Finanzdienstleister aufgetreten und mit derart vielen Fragen bestürmt worden, dass er überziehen musste. Das passiert oft in diesen Monaten. Kein Wunder - der Professor hatte den Crash an den Finanzmärkten und die folgende Rezession in Grundzügen vorhergesagt. Otte ist kein Hasardeur oder Dampfplauderer. Er wirkt im Gespräch nachdenklich, abwägend, fast scheu. Erfolgsautor Max Otte hat die Krise vorhergesagt. Jetzt rät der Wissenschaftler zum Einstieg in Aktien, empfiehlt Gold und Ackerland als Absicherung - und hält sich selbst exakt an diesen Anlagemix.
BÖRSE ONLINE: Herr Otte, sind Sie an einem Sonntag geboren?
MAX OTTE: Tut mir leid, da muss ich passen. Warum fragen Sie?
Der Volksmund sagt, dass Sonntagskinder Glück haben. Und Sie hatten das Glück, mit Ihrem Buch "Der Crash kommt" richtig zu liegen.
Nein, nein, nein! Mein Buch ist das Ergebnis langer, akribischer Arbeit, das hat mit Glück nichts zu tun. Das kann man auch daran sehen, dass ich normalerweise kein Crash-Prophet bin, sondern ein Optimist.
Aber dieses Mal war ich überzeugt davon, dass es zu einem dramatischen Einbruch kommt. Das musste förmlich aus mir heraus.
Jetzt aber mal im Ernst: Kein Wirtschaftsguru hat diese Entwicklung vorhergesehen, von Alan Greenspan über zahlreiche Nobelpreisträger bis hin zu sehr namhaften deutschen Gelehrten. Warum wusste ausgerechnet ein Fachhochschulprofessor aus Worms alles besser?
Vielleicht, weil ich das richtige Fundament habe. Das spreche ich 95 Prozent der theoretischen Ökonomen ab, weil sie sich in die Mathematik verliebt und die Realität vergessen haben. Mein Hintergrund ist dagegen die politische Ökonomie. Da geht es immer um das Zusammenspiel von Menschen und damit um soziale Phänomene.
Das klingt zunächst vernünftig, dürfte aber die meisten Ökonomen noch längst nicht überzeugen. Warum tanzen Sie so aus der Reihe?
Ich bin der Auffassung, dass die Lehren der Geschichte viel wichtiger sind als komplexe Modelle, und habe mich schon seit Mitte der 80er-Jahre mit Krisen beschäftigt.
Dann habe ich mich, inspiriert von Kollegen, zusätzlich mit Verschuldung auseinandergesetzt. Da war es kein weiter Weg zu den USA, wo immer mehr Kredite aufgetürmt wurden. Dort ist ein extrem fragiles Kartenhaus entstanden.
Wenn Sie unten einige Karten - Stichwort Subprime-Verträge - herausziehen, dann bricht alles zusammen. Das war mir klar.
Nachdem Sie so gut in Vorhersagen sind, wissen Sie sicherlich, wie es mit der Krise weitergeht.
Das weiß ich nicht.
Jetzt enttäuschen Sie uns.
Meinetwegen. Aber es hängt viel davon ab, was die Politik macht. Und das ist extrem schwer abzuschätzen.
Sie haben aber doch sicher ein Szenario entwickelt.
Ja, mehrere. Erstens eine Weltwirtschaftskrise wie 1929. Das wäre der schlimmste Fall. Ganz unwahrscheinlich ist er nicht, denn viele Probleme wie das Verschuldungsniveau sind größer als damals.
Nummer zwei nenne ich das Japan-Szenario.
Eine schleichende Depression, wir schmieren nicht so richtig ab, kommen aber auch nicht wieder voran wie eben Japan seit Anfang der 90er. Das halte ich für sehr wahrscheinlich. Denn wir pumpen immer mehr Geld in das Finanzsystem, tun aber nichts, um den Müll zu entsorgen.
Was sollten wir denn tun?
Man müsste meines Erachtens einige Banken abwickeln, beispielsweise Zombie- Institute wie die Hypo Real Estate.
Das klingt alles wenig erhebend. Haben Sie gar nichts Optimistisches mehr zu bieten?
Es gibt ein drittes Szenario. Das fände ich am besten. Zwei Jahre scharfe Rezession mit steigender Arbeitslosigkeit, und dann kommt Inflation. In diesem Fall würden sich schlechte Vermögenswerte von selbst entwerten. Wenn wir jedes Jahr eine Inflationsrate von zehn Prozent haben, werden immer mehr schädliche Papiere vernichtet.
Zudem regt die Inflation zum Geldausgeben an. Schön wäre es, wenn die Notenbanken dann gleichzeitig das Gelddrucken langsam zurückfahren würden.
Positiv ist diese Vorstellung aber auch nicht.
Unter hoher Inflation würden viele leiden, beispielsweise die Rentner.
Bei jedem Szenario müssen bestimmte Gruppen draufzahlen. In diesem Falle ist klar, dass Rentner zu den Verlierern gehören würden. Aber man muss bedenken, dass es der Mehrheit zurzeit ziemlich gut geht. In den vergangenen Jahren haben vor allem junge Leute und schen im besten Berufsalter sowie Mittelständler geblutet. Für die müsste dringend etwas getan werden.
Politiker scheuen Lösungen, bei denen es solch klare Verlierer gibt. Halten Sie deshalb das Japan-Szenario für wahrscheinlich?
Ja, das Unterlassen und das Verstecken ist einfacher, als aktiv etwas zu tun.
Wenn Sie im Sachverständigenrat säßen, könnten Sie der Regierung solche Wahrheiten direkt nahebringen. Wären Sie gern ein solcher Wirtschaftsweiser?
Um Himmels willen, nein. Ich bin finanziell unabhängig und nehme auch keine Regierungsaufträge an.
Sie fordern in Ihrem Buch eine Steuer auf Finanzgeschäfte.
Die SPD will die als Tobin- Steuer bekannte Abgabe nur auf Aktien.
Finden Sie das gut?
Es wäre ein Anfang, aber ich fände eine umfassende Steuer besser. Warren Buffett fordert das auch, und der ist wie ich Erzmarktwirtschaftler.
Man sollte das so weit wie möglich fassen. Das Beste wäre sowieso eine internationale Kapitaltransaktionssteuer.
Wollen Sie partout Aktieninvestments verhindern?
Nein. Wer eine Aktie wirklich will, kauft sie auch, wenn sie ein Prozent teurer ist. Wichtiger ist: Solch eine Steuer hätte die Finanzkrise möglicherweise verhindert, weil sie den schnellen Handel verlangsamt.
Die Haltedauer ist bei Aktien in den vergangenen 40 Jahren erheblich geschrumpft.
Wie steht es mit Ihren eigenen Aktienengagements?
Ich fühle mich momentan wie ein Junge im Süßwarenladen, wenn die Verkäuferin und die Eltern nicht da sind. Ich rate allen:
Kauft Aktien! Je nach Neigung sollten es 20 bis 70 Prozent des liquiden Vermögens sein. Ich persönlich liege derzeit sogar bei etwa 80 Prozent. Aktien sind Realvermögen, sie sind krisensicherer als Anleihen.
Denken Sie an die Hyperinflation 1923 oder die Währungsreform 1948, als sich die ach so sicheren Anleihen des Deutschen Reiches in Luft auflösten. Ich glaube, dass Aktien binnen der kommenden zehn Jahre Cash und Anleihen deutlich schlagen werden.
Mit Ihrem Aktienoptimismus lagen Sie schon einmal daneben. Im Jahr 2000 brachten Sie ein Buch mit dem Untertitel "Wie Sie mit Aktien alle 5 Jahre Ihr Vermögen verdoppeln" auf den Markt. Kennen Sie irgendjemanden, der das geschafft hat?
Nein, diese Aussage war sicherlich zu optimistisch.
Der Untertitel war der ausdrückliche Wunsch des Verlags, und den kann man kaum ablehnen. Mittlerweile heißt es nur noch "Wie Sie mit Aktien ein Vermögen aufbauen".
Welche Papiere empfehlen Sie konkret?
Nestlé, Henkel, Coca-Cola, Beiersdorf, Inbev und Procter & G amble. Solche Konsumgütertitel sind inflationsgeschützt.
Wenn es zur Inflation kommt, werden diese Unternehmen auch ihre Preise erhöhen können. Pharmawerte halte ich ebenfalls für sehr interessant. Berkshire Hathaway, die Holding von Warren Buffett, ist ebenfalls einen Blick wert. Und wer es ein bisschen offensiver mag, kann gerne den einen oder anderen Zykliker ins Portfolio nehmen, beispielsweise BMW oder Porsche. Bei den Small Caps finde ich Sixt gut, auch wenn die derzeit leiden.
Erich Sixt ist ein guter Unternehmer. Generell würde ich Firmen bevorzugen, in denen ein langfristiger Eigner am Ruder ist - wiederum Beiersdorf, außerdem Celesio, United Internet und Bechtle. Wir haben in Deutschland eine Menge solcher Unternehmen. Auch deswegen liebe ich deutsche Aktien.
Sie gelten auch als Goldfan. Warum?
Physisches Gold halte ich für sehr wichtig.
Ich bin auch nicht der Meinung, dass Gold schon zu teuer ist. Es ist das bedeutendste alternative Investment in der Krise, zehn Prozent Anteil am liquiden Vermögen können durchaus angebracht sein. Außerdem bin ich in einer Asset-Klasse engagiert, die vielen nicht zugänglich ist, Agrarland. Ich besitze zehn Hektar in der Pfalz, das entspricht etwa 20 Fußballfeldern.
Feld, Weide, Wiese. Anders als bei Wohnimmobilien stehen Sie da die kommenden 30 Jahre auf der richtigen Seite, denn die Schere zwischen zunehmender Weltbevölkerung und abnehmender Agrarfläche öffnet sich immer weiter.
Stehen Sie selbst in Gummistiefeln auf dem Acker?
Noch nicht, aber ich könnte mir das als Hobby vorstellen. Mein Vater war Landwirt, bevor er Lehrer wurde. Und mein Großvater hatte einen Hof. Dort habe ich Teile meiner Kindheit verbracht.
Ist die Landwirtschaft auch eine Absicherung für den Fall, dass sich die Krise extrem zuspitzt mit Zuständen wie in der Nachkriegszeit?
Diesen Gedanken gibt es in der Tat. Ich halte solch ein Szenario für unwahrscheinlich, aber ganz ausschließen kann ich es nicht.
Verstehen wir es recht: Sie haben zwei persönliche Vorsorgestrategien, Aktien, wenn es gut läuft, und Kartoffeln, wenn alles zusammenbricht?
So kann man es sagen.