Selbst auf Vorstandsebene ist die Krawatte schon seit Jahren auf dem Rückzug. Mit der Pandemie hat der Trend zu legerer Kleidung den Turbo gezündet. Anzug und Abendgarderobe ade, her mit der Jogginghose. Jetzt aber, da die Präsenz am Arbeitsplatz wieder gewünscht ist, Theater öffnen, Familienfeiern in größerem Rahmen stattfinden, beginnt die Rückkehr zur Normalität nicht selten mit dem fragenden Blick in den Kleiderschrank: Was ziehe ich an? Für Modekonzerne wie Hugo Boss, Hennes & Mauritz (H&M) oder Inditex ist die Antwort wichtig. Branchenexperten erwarten Nachholbedarf bei sogenannter formal wear: eine Rückkehr zur strengeren Kleiderordnung. Der Trend zu lockeren Outfits und vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten sei aber intakt.
Doch derzeit bewegt die Branche noch mehr: Seit Jahren wächst der Onlinehandel. Nach Zahlen des Bundesverbands für E-Commerce und Versandhandel hat sich der Umsatz des Modehandels über das Internet in Deutschland von 2013 bis 2020 auf gut 21 Milliarden Euro mehr als verdoppelt. Auch hier haben die Restriktionen des stationären Handels in der Pandemie den Trend verstärkt. Laut den Konsumforschern der GfK stieg der Umsatz im Bereich Online-Fashionhandel im ersten Quartal 2021 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 41 Prozent. Besonders nachgefragt war bequeme Kleidung wie Loungewear oder Hoodies.
On- und offline wächst zusammen
Zwar dürfte sich das Online-Shopping nach Öffnung der Innenstädte wieder reduzieren und ein gewisser Nachholbedarf im stationären Handel zu beobachten sein, sagt Petra Dillemuth, GfK-Expertin im Bereich Fashion. Allerdings sei auch zu erwarten, dass sich der Einkauf über das Internet auf ein deutlich höheres Niveau einpendeln werde als vor Corona. Online und offline seien in Zukunft kaum mehr zu trennen.
Ganz neu ist das für Modehändler nicht. Hugo Boss etwa verzeichnet seit 14 Quartalen in Folge zweistellig steigende Online-Umsätze. Für die Metzinger heißt es schon länger nicht mehr on- oder offline. Das Unternehmen setzt auf die Verschränkung beider Vertriebskanäle und baut das Onlineportfolio aus: im vergangenen Jahr um 32 Märkte. Allein im ersten Quartal 2021 wurde die Präsenz von hugoboss.com auf weitere zwölf Länder ausgeweitet.
Ähnlich agieren auch die Konkurrenten Inditex und mit etwas Verspätung H & M. Die US-Modekette GAP dagegen steuert einen anderen Kurs. Sie hat angekündigt, alle Läden in Großbritannien und Irland zu schließen und nur noch über das Internet zu verkaufen.
Bei Hugo Boss steht seit Juni Daniel Grieder an der Spitze des Konzerns. Der Schweizer war zuletzt Chef der Modemarke Tommy Hilfiger. Er soll dem Konzern zu neuem Glanz verhelfen. Grieder gibt sich ambitioniert. Es gebe keinen Grund, dass Hugo Boss weniger umsetzen könne als Tommy Hilfiger, hatte er in einem Interview vor seinem Amtsantritt in Metzingen gesagt. Am Ende seiner fünfjährigen Amtszeit solle der Modekonzern mit rund fünf Milliarden Euro mehr als doppelt so viel erlösen wie heute.
Dazu wird es nicht genügen, den Onlinehandel weiter auszubauen. Die Marke Boss Woman trägt derzeit nur etwa zehn Prozent zum Umsatz bei. Das wäre eine der Stellschrauben, an denen der neue Chef drehen könnte. Er wird sich zudem mit dem Trend zu Nachhaltigkeit auseinandersetzen müssen, der auch die Modebranche erfasst. Der Anteil sogenannter Responsible Styles an der Kollektion liegt in diesem Jahr bei rund 25 Prozent, Tendenz steigend.
Im grünen Kleid
Inditex, der in Deutschland vor allem durch die Modekette Zara bekannte größte Modekonzern Europas, hat sich weitgehend von der Pandemie erholt. 98 Prozent der zum Konzern gehörenden Läden sind wieder geöffnet, wenn auch noch mit Einschränkungen. Mit einem Nettogewinn von 421 Millionen Euro schaffte Inditex in dem von Februar bis April laufenden Quartal die Rückkehr in die Gewinnzone und lag mit dem Ergebnis über den Schätzungen der Analysten. Stark aufgestellt sind die Spanier beim Onlinegeschäft. Im vergangenen Jahr erwirtschaftete Inditex fast ein Drittel seines Umsatzes über das Internet. Zum Vergleich: Der Anteil am Umsatz bei Hugo Boss lag 2020 bei elf Prozent. In Sachen gesellschaftlicher Verantwortung und Nachhaltigkeit zählt Inditex ebenfalls zu den Vorreitern der Branche. Bis 2025 sollen die für alle acht Konzernmarken verwendeten Baumwoll- und Polyesterstoffe zu 100 Prozent aus nachhaltig angebauter Baumwolle oder recycelbar sein.
Auch die schwedische Bekleidungskette H & M ist zurück in den schwarzen Zahlen. In den drei Monaten bis Ende Mai verdiente der Konzern vor Steuern umgerechnet 355 Millionen Euro. Experten rechnen allerdings damit, dass vermehrt Rabattaktionen notwendig werden, um Lagerbestände abzubauen. Ganz überstanden ist die Krise für H & M also noch nicht. Immerhin greifen die Maßnahmen, um Kosten zu senken: Mietverträge wurden neu ausgehandelt, Personalkosten reduziert und Konditionen mit Zulieferern überarbeitet.
Mit Helena Helmersson an der Spitze, die den Konzern seit 2020 leitet, sind die Schweden auf der Suche nach neuen Erlösquellen. So plant das Unternehmen die Expansion der Secondhand-Tochter Sellpy in weitere 20 Länder. Helmersson muss es vor allem gelingen, die Versäumnisse der Vergangenheit beim Ausbau des E-Commerce nachzuholen. Lange hatten die Schweden kaum ins Onlinegeschäft investiert. So kam man bei der Kernzielgruppe, den jungen Käufern, etwas aus der Mode.
INVESTOR-INFO
Inditex
Comeback erfolgreich
Europas größter Modekonzern ist zurück in der Gewinnzone und liegt in der jüngsten Zeit beim Umsatz wieder über dem Vergleichsniveau des Vor-Covid-Jahres 2019. Stark aufgestellt ist Inditex im Onlinehandel mit positiven Auswirkungen auf die Margen. Die angepeilten Ausschüttungen in diesem Jahr von zweimal 35 Euro-Cent und die grundsätzlich starken Dividenden machen die Aktie zusätzlich attraktiv.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 35,00 Euro
Stoppkurs: 23,90 Euro
Hugo Boss
Mit neuem Schwung
Die Aktie der Metzinger hat den Corona- Rückschlag hinter sich gelassen. Der neue Konzernchef steht gleich vor mehreren Herausforderungen: Er muss die Chancen in der Region Asien, insbesondere in China, nutzen, den Onlinehandel weiter stärken und das Segment Damenbekleidung ausbauen. Überall hat Hugo Boss Potenzial, das seit Jahren weitgehend brachliegt. Für Anleger mit Risikotoleranz ist die Aktie aber ein Kauf.
Empfehlung: Kaufen
Kursziel: 55,00 Euro
Stoppkurs: 39,00 Euro
Hennes & Mauritz
Nicht völlig erholt
Die Schweden sind munter auf der Suche nach neuen Erlösquellen. Mit der Expansion der Secondhand-Tochter Sellpy bedient H & M den Nachhaltigkeits-Boom und den Trend zum Sparen von Ressourcen. Andererseits hat man sich sträflich lange Zeit gelassen, den Onlinehandel ansprechend auszubauen. Der Umsatz war trotz Besserung zuletzt noch deutlich unter Vorkrisenniveau, der Aktienkurs liegt aber bereits klar darüber. Halten.
Empfehlung: Beobachten
Kursziel: 22,50 Euro
Stoppkurs: 17,20 Euro