An der Börse lassen sich mit vielen verschiedenen Vorgehensweisen Erfolge erzielen. Allerdings führen auch viele Anlageansätze oftmals ins Abseits. Meistens ist das dann der Fall, wenn Emotionen den Entscheidungsprozess beeinflussen. Wer sich selbst dabei ertappt, den Kauf und Verkauf von Aktien zu sehr von der eigenen Stimmungslage abhängig zu machen, sollte versuchen, das zu vermeiden. Weil es menschlich ist, dass beim Thema Geld die Emotionen hochkochen, ist es allerdings nicht einfach, sich von einer (schlechten) Gewohnheit zu lösen.
Doch zum Glück gibt es Hilfsmittel. Gemeint ist damit die Charttechnik. Neben komplizierten gibt es durchaus einfache Ansätze. Einer davon besagt, genau die Aktien zu kaufen, die gerade neue 52-Wochen-Hochs aufgestellt haben. Nicht wenige Anleger haben allerdings Hemmungen, ausgerechnet auf bereits gut gelaufene Titel zu setzen. Kein Wunder, denn eine der bekanntesten Börsenlehren besagt, dass man Aktien am besten zu niedrigen Kursen kauft und sie zu hohen Kursen verkauft. In Studien hat sich aber gezeigt, dass es sich sehr wohl lohnen kann, gezielt auf bereits gut gelaufene Titel zu setzen.
Im weiteren Sinne gehören Kaufentscheidungen, basierend auf neuen 52-Wochen-Hochs, zu den Momentum-Strategien. Es werden also die Titel mit bereits bestehender Kursdynamik favorisiert. Wie gut das funktioniert, zeigen langfristige Performance-Auswertungen der BNP Paribas zu diversen Anlagestilen.
Demnach war es in Europa in den vergangenen 20 Jahren so, dass mit Momentum-Aktien (gezeigt als MMT-Balken im Chart auf Seite 41) mit die besten Ergebnisse erzielt wurden. Der Stoxx Europe 600 Index konnte da nicht mithalten. Noch vorteilhafter fällt die Bilanz in den USA aus (siehe Grafik auf Seite 42). Die Daten von BNP Paribas zeigen, dass Momentum unter den Anlagestilen sogar am besten abgeschnitten und den S & P 500 Index deutlich hinter sich gelassen hat. Das Ganze funktioniert im Grunde auch in die andere Richtung - also bei Aktien mit frischen 52-Wochen-Tiefs auf weiter fallende Kurse zu setzen.
The trend is your friend
Börsenexperten begründen das Phänomen der guten Bilanz von 52-Wochen-Hoch-Strategien mit verschiedenen Argumenten. Für uns am überzeugendsten ist ein ganz schlichter Ansatz. Und zwar sind steigende Kurse ein Indiz dafür, dass Anlegerinteresse an einem Titel vorhanden ist. Sehr oft liegt das an einer guten aktuellen Nachrichtenlage rund um das betreffende Unternehmen. Die Grundidee lautet dann, es ist wahrscheinlicher, dass sich ein bestehender Kurstrend, zumindest zunächst, weiter fortsetzt, als dass er kurzfristig plötzlich endet oder sich gar ins Gegenteil verkehrt.
Aus unserer Sicht lassen sich die Anlageergebnisse zusätzlich verbessern, wenn man neben neuen 52-Wochen-Hochs noch weitere Auswahlkriterien berücksichtigt. So ist es in der Regel sinnvoll, sich auf Aktien zu konzentrieren, deren Aufwärtstrend schon länger als ein Jahr Bestand hat. Am besten lässt sich ein langfristiger Aufwärtstrend erkennen - oder im Idealfall stellt ein 52-Wochen-Hoch gleichzeitig ein neues Rekordhoch dar. Darüber hinaus sollten Anleger darauf achten, dass weitere potenzielle Kurskatalysatoren vorhanden sind. Im Verhältnis zu den Wachstumsaussichten und der Unternehmensqualität sollte die Bewertung vertretbar sein. Wichtig ist es zudem, konsequent die Reißleine bei jenen Titeln zu ziehen, bei denen sich ein 52-Wochen-Hoch als Fehlsignal herausstellt. Dies kann natürlich immer wieder vorkommen.
Wer sich strikt an diese Vorgehensweise hält, wird feststellen, dass am Ende nicht allzu viele Aktien übrig bleiben. So gibt es am deutschen Aktienmarkt selbst nach dem starken Kursaufschwung der vergangenen Wochen nur eine überschaubare Zahl an Aktien mit neuen 52-Wochen-Hochs. Laut unserer Datenbank können damit unter mehr als 1000 Titeln gerade einmal 28 Werte aufwarten. In vielen dieser Fälle handelt es sich um kaum liquide Nebenwerte. Wir haben uns deshalb rund um den Globus auf die Suche nach kaufenswerten Aktien gemacht, die dem skizzierten Strickmuster entsprechen. Am Ende des Ausleseprozesses blieben sechs Titel übrig, die unserer Meinung nach besonders aussichtsreich sind.
Europäische Verpackungsspezialisten
Auf dem deutschen Kurszettel ist die Zahl der Aktien mit 52-Wochen-Hochs überschaubar. Die Titel des Düsseldorfer Unternehmens Gerresheimer zählen dazu. Sie erreichten am 22. Juni mit 84,10 Euro sogar ein neues Schlussrekordhoch. Das bedeutet, dass die Anteilscheine des gerade in den Stoxx-Europe-600-Index aufgestiegenen MDAX-Mitglieds aus einem Seitwärtstrend ausgebrochen sind, der seit Mitte 2015 gültig war. Die Chancen stehen dadurch gut für einen Ausbau des langfristigen Aufwärtstrends, der Ende März 2009 bei 13,24 Euro seinen Ursprung hat. Operativ kommt das Unternehmen relativ gut durch die Corona-Krise. Der Produzent von Verpackungen aus Glas und Kunststoff für die Pharma-, Kosmetik- und Lebensmittelindustrie gilt als Profiteur der Pandemie. Gerresheimer stellt unter anderem Fläschchen für Impfstoffe her.
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Mit Mayr-Melnhof Karton läuft es auch in Österreich für einen Verpackungsspezialisten gut. Die Wiener stellen Kartons und Kartonverpackungen für Konsumgüter des täglichen Bedarfs her. Im Mai-Bericht zum ersten Quartal hieß es, die Auslastung sei insgesamt gut. Einen Jahresausblick gab der Vorstand zwar nicht, aber die vor mehr als 100 Jahren gegründete Gesellschaft, die seit Jahrzehnten Marktführer ist, strebt auch weiterhin höchstmögliche Kontinuität an. Die Börse belohnte dies am 23. Juni mit einem neuen Rekordhoch auf Schlusskurs-Basis von 137,40 Euro. Wie bei Gerresheimer ist dadurch auch hier ein mittelfristiger Seitwärtstrend zu Ende gegangen. Der seit Anfang 1996 bestehende langfristige Aufwärtstrend wurde wieder aufgenommen.
In Asien setzen wir ebenfalls auf ein Duo aus einer Branche. Einer dieser beiden Werte ist Tencent. Die chinesische Gesellschaft mit Beteiligungen in den Bereichen Streaming, Gaming, E-Commerce, Online-Payments und Automobile hat vom jüngsten Lockdown sogar profitiert, wie sehr starke Quartalszahlen bewiesen. Aus Sicht der DZ Bank ist dieser Titel langfristig aufgrund des einmaligen Ökosystems besser aufgestellt als jedes andere chinesische Internetunternehmen vergleichbarer Größe. Das sehen offenbar andere Marktteilnehmer genauso. Der Aktienkurs ist am 23. Juni mit 497,40 Hongkong-Dollar auf eine neue Bestmarke marschiert. Der seit Januar 2018 bestehende Seitwärtstrend ist somit zu den Akten gelegt und der im Juni 2004 bei 0,68 Hongkong-Dollar eingeleitete Aufwärtstrend wurde wieder aufgenommen.
"Internet für jedermann" lautet seit der Gründung im Jahr 1995 der Slogan von GMO Internet. Der in den Bereichen Internet-Infrastruktur, Onlineanzeigen und Medien, Internet-Finanzierung und Krypto-Assets tätige japanische Internetdienstleister sieht sich gut aufgestellt, um auch in einem Coronavirus-Umfeld zu bestehen. In den vergangenen fünf Jahren stieg der Umsatz um 12,4 Prozent per annum, und der Gewinn je Aktie wuchs um gut acht Prozent per annum. Der jüngste Quartalsbericht fiel überzeugend aus, und Analysten sehen das Ergebnis je Aktie auch in diesem sowie im kommenden Geschäftsjahr wachsen. Der Aktienkurs ist gerade mit viel Schwung auf den höchsten Stand seit dem vierten Quartal 2005 gestiegen. Der mehrjährige Aufwärtstrend ist somit völlig intakt.
Videospiele liegen im Trend
Hervorragend sieht das Chartbild bei Electronic Arts aus. Das amerikanische Unternehmen, bekannt etwa für "Command & Conquer" oder "Need for Speed" zählt zu den weltweit größten Herstellern von Videospielen. Die Aktien erlitten 2018 einen herben Rückschlag, doch inzwischen ist die Notiz wieder auf den höchsten Stand seit August 2018 vorgestoßen. Das Rekordhoch von 148,93 US-Dollar vom Juli 2018 ist wieder in Reichweite gerückt. Ein Sprung über diese Hürde wäre ein prozyklisches Kaufsignal. Die Videospielebranche gilt als Coronavirus-Profiteur. Schließlich hatten sehr viele Menschen während des Lockdowns reichlich Zeit zum Spielen. Dazu passt, dass der Analystenkonsens Electronic Arts von 2019/20 bis 2023/24 einen Anstieg beim Gewinn je Aktie von 4,81 auf 8,34 US-Dollar zutraut.
Vertex nicht zu stoppen
Noch mehr Wachstumsdynamik verspricht Vertex Pharmaceuticals, zumindest wenn die Analysten mit ihren durchschnittlichen Schätzungen recht behalten. Diese erwarten von 2019 bis 2024 beim Ergebnis je Aktie eine Verbesserung von 5,33 auf 15,27 US-Dollar. Das entspricht fast einer Verdreifachung. Der US-Konzern ist ein Spezialist für die Entwicklung kleinmolekularer Arzneimittel zur Behandlung von schweren Erkrankungen mit Schwerpunkt auf Virusinfektionen, Entzündungen, Autoimmunkrankheiten und Krebs. Zusammen mit starken Profitabilitätskennzahlen macht das den Biotechkonzern zu einem Liebling der Börsianer. Der Kurs notiert auf Rekordniveau und ist seit 1998 um das 87-Fache gestiegen.