Erst wenn die Flut zurückgeht, siehst du, wer nackt geschwommen ist." Mit dieser Metapher umschreibt Investorenlegende Warren Buffett die Tatsache, dass sich in wirtschaftlichen Krisenzeiten zeigt, welche Unternehmen wirklich auf einem finanziell soliden Fundament stehen. Auf die Corona-Pandemie bezogen bedeutet das: Je heftiger der globale konjunkturelle Einbruch ausfällt, desto stärker wird die Feuerprobe für Geschäftsmodelle und Firmenbilanzen.

Qualitätssiegel 1: Die Bilanz


Die aktuelle Erholungsphase nach dem März-Crash täuscht nicht darüber hinweg, dass die meisten Branchen in diesem Jahr enorme Umsatz- und Gewinneinbußen verkraften müssen. Hendrik Leber, geschäftsführender Gesellschafter von Acatis Investment, geht davon aus, dass sich die gesundheitlichen Schäden der Corona-Pandemie kontrollieren lassen. Sehr schwere Zeiten erwartet er dagegen in ökonomischer Hinsicht: "Mich macht es vor allem unruhig, dass viele Firmen noch nicht verstanden haben, wo sie sich nach der ersten Schockstarre infolge von Corona befinden", sagt der Vermögensverwalter. Umso wichtiger sei der Blick auf die langfristige Ertragskraft.

In Europa zählt Leber zu den Veteranen unter den Value-Investoren. Sie ermitteln die Substanz von Firmen über bilanzielle Kennziffern wie hohe Kapitalrückflüsse, hohe Eigenkapitalquote, Dividendenausschüttung oder niedrige Verschuldung. Hinzu kommt der Ertragswert, also die Berechnung der künftigen, auf die Gegenwart abgezinsten Gewinne. "Eine unserer Kernfragen ist: Was waren die historischen operativen Margen und welcher Unternehmenswert ergibt sich, wenn sich diese wieder an diese Wertniveaus entwickeln?", erläutert Hans-Peter Schupp, Mitbegründer und Portfoliomanager der Fondsboutique Fidecum. "Als nächster Schritt stellt sich die Frage, ob diese Rentabilität durch irgendwelche Strukturbrüche gefährdet ist. Der dritte und finale Schritt ist dann die genaue Bilanzanalyse."

Qualitätssiegel 2: Marktführerschaft


Ebenso wichtig in der Value-Analyse ist die Profitabilität des Geschäftsmodells. "Hohe und wachsende Kapitalrenditen durch strukturelle Wettbewerbsvorteile sind für unsere Titelauswahl essenziell", sagt Frank Fischer, Vorstand und Investmentchef der Fondsgesellschaft Shareholder Value Management. Dazu müssen diese Firmen um ihr Geschäftsmodell herum sogenannte Burggräben aufgebaut haben, also über hohe Markteintrittsbarrieren verfügen. Außerdem müssen sie in nachhaltig wachsenden Märkten aktiv sein. Eine möglichst große Sicherheitsmarge, also die Differenz zwischen aktuellem Börsenwert und dem berechneten Substanzwert, ist dann der Orientierungspunkt für Value-Investoren, um Ausverkaufssituationen für den Einstieg zu nutzen.

Dabei gibt es reichlich Spielraum für Interpretationen, wann eine Aktie unter diesen Voraussetzungen günstig bewertet ist. "Je nachhaltiger sich Margen steigern lassen, desto höher kann die Bewertung sein, die Value-Investoren in Kauf nehmen", ist Fischer überzeugt. Auch darüber, welche Branchen Value-Aktien bieten, gibt es bei den Anlageexperten unterschiedliche Auffassungen. Einig sind sie sich aber, dass das aktuelle Marktumfeld bessere Opportunitäten bietet als die letzten Jahre. "Mit dem jüngsten Kurseinbruch ergibt sich wieder ein enormes Aufwärtspotenzial, wie wir es zuletzt 2008 hatten", sagt Hans-Peter Schupp.

Wenn die Börsen boomen, bestimmen in erster Linie Wachstumskennziffern die Kaufentscheidungen der meisten Anleger, ergänzt durch Momentum-Indikatoren nach dem Motto "Was nicht läuft, ist schlecht; was steigt, ist gut." Diese Vorzeichen haben sich geändert. Jetzt schlägt die Stunde der Antizykliker, die Positionen in Qualitätsfirmen aufbauen, wenn die Märkte am Boden sind. Sie lassen sich auch dann nicht aus der Ruhe bringen, wenn der Kurs nach dem Kauf nicht gleich anspringt. "Value Investing, das heißt Freude haben am Stress anderer Leute", beschreibt Acatis-Experte Leber seine Anlagephilosophie. Wer danach handelt, sollte langfristig viel Freude mit den sechs Aktien haben, die wir auf den folgenden Seiten vorstellen.

Allianz: Mit Sicherheit ein solides Investment


Bei der Dividendenpolitik hat der Versicherungskonzern seine Standfestigkeit in Zeiten von Corona untermauert. Für die Online-Hauptversammlung am 6. Mai wurde die Ausschüttung von 9,60 Euro je Aktie bestätigt. Ebenso wie andere Versicherer hat die Allianz damit dem von der europäischen Versicherungsaufsicht Eiopa geforderten Dividendenverzicht eine Absage erteilt. Im Gegenzug will das DAX-Schwergewicht das laufende Aktienrückkaufprogramm von 1,5 Milliarden Euro nach der Hälfte der Summe erst einmal stoppen. Angesichts der Unsicherheiten für das Jahr 2020 wird sich das Management am 12. Mai bei der Präsentation der Quartalszahlen noch nicht allzu weit aus dem Fenster lehnen. Das gilt auch für die für 2021 angestrebte Zielmarke von 93 Prozent bei der Schaden-Kosten-Quote, einer wichtigen Profitabilitäts-Kerngröße der Versicherer. In diesem Jahr droht auf der Umsatzseite am ehesten Gefahr bei den Prämieneinnahmen etwa in der Reise- oder Kreditversicherung sowie auf der Schadenseite durch Insolvenzen oder Veranstaltungsausfälle.

Bilanziell ist die Allianz stabiler aufgestellt als zur Finanzkrise vor einem Jahrzehnt. Die Finanzmittel haben sich 2019 gegenüber dem Vorjahr von 17,2 auf 21,1 Milliarden Euro erhöht. Die Verbindlichkeiten wurden um ein Drittel auf 14,8 Milliarden Euro heruntergefahren. Die aktuelle Bewertung lässt dem Aktienkurs Luft nach oben, wenn man sich die Wachstumsziele bis 2021 vor Augen hält. Um fünf Prozent soll der Konzerngewinn jährlich im Schnitt zulegen. Mit den 8,4 Prozent vom Vorjahr hat die Allianz gut vorgelegt. Die Aktie bleibt ein Basisinvestment unter den DAX-Werten. Sie notiert unter ihrem Buchwert.

Alphabet A: Finanzstarker Internet-Allrounder


Der US-Technologiekonzern bringt sich mit eigenen Lösungen zur Bewältigung der Corona-Krise ein. Eine zusammen mit Apple entwickelte Schnittstelle für Corona- Warn-Apps, mit denen sich auf Smartphones der Kontakt mit infizierten Personen nachverfolgen lässt, wurde in der Vorwoche freigegeben. Beim jüngsten Quartalsergebnis hat der GoogleKonzern noch besser als erwartet abgeschnitten. Der Umsatz der Konzernmutter Alphabet kletterte um 13 Prozent auf 41,2 Milliarden US-Dollar. Weil die Nutzer in Zeiten der Ausgangsbeschränkungen noch mehr Youtube-Videos ansehen, stiegen die Werbeerlöse der Videoplattform gegenüber 2019 von drei auf vier Milliarden US-Dollar. Der Konzerngewinn zog um 2,6 Prozent auf 6,7 Milliarden US-Dollar an. Für die nächsten Monate stellt sich Alphabet auf härtere Zeiten ein.

Um neue Kunden zu gewinnen, stellt das Unternehmen etwa eine kostenlose Version des Videokonferenzsystems Google Meet allen Nutzern zur Verfügung. Die große Unbekannte für die Geschäftsentwicklung über die nächsten Quartale ist, wie sich die Werbeeinnahmen als weiterhin größte Einnahmequelle entwickeln werden. Das entsprechende Wachstum hat sich im ersten Corona-Monat März bereits in den einstelligen Prozentbereich abgeschwächt. Demgegenüber steht die Vielzahl von Geschäftsfeldern als größte Stärke. Dazu hat das Unternehmen satte 117 Milliarden US-Dollar an Barreserven auf der hohen Kante, um jederzeit investieren zu können. Die Aktie hat zuletzt Boden gutgemacht. Im Verhältnis zum erwarteten Gewinnwachstum, das nach dem für 2020 erwarteten Rücksetzer wieder auf 20 Prozent steigen soll, ist sie moderat bewertet.

Intel: Unterschätzter Halbleiterchampion


Die Intel-Aktie steht seit Jahren im Schatten von Internet-Überfliegern wie Amazon und Alphabet. Das Geschäft ist stärker von Marktzyklen geprägt - und hier zog die Nachfrage zuletzt von verschiedenen Seiten an. Der steigende Bedarf an Datenspeichern in Rechenzentren, der anhaltende Boom bei Cloud-Datenspeichern sowie mehr Videokonferenzen und der Ansturm auf Notebooks angesichts weltweiter Ausgangsbeschränkungen wegen der Corona-Pandemie bescherten Intel ein starkes Auftaktquartal 2020. Der Umsatz schnellte um 23 Prozent auf 19,8 Milliarden US-Dollar nach oben. Auf der Gewinnseite verbuchte Intel ein sattes Plus von 42 Prozent auf 5,7 Milliarden US-Dollar. Finanziell ist Intel ein Kraftpaket. Im letzten Quartal belief sich der freie Cashflow auf 14 Milliarden US-Dollar. Damit wäre das Unternehmen in der Lage, seine Nettoverschuldung von zuletzt 20 Milliarden US-Dollar innerhalb von 18 Monaten zu begleichen. Bleibt als größter Unsicherheitsfaktor der vage Geschäftsausblick für die nächsten Quartale.

Branchenexperten gehen davon aus, dass Kunden wegen des Booms bei Videokonferenzen und Streamingdiensten ihren Bedarf an Mikroprozessoren durch größere Bestellungen schon gedeckt haben. Hier droht also in den nächsten Monaten geringere Nachfrage. In der niedrigen Bewertung sind diese Risiken für das operative Geschäft eingepreist. Für die Aktie sprechen der Substanzwert der Firma und das Überraschungspotenzial im operativen Geschäft, sollte die Nachfrage bald wieder deutlich anziehen. Auch in der Dividendenpolitik sticht Intel unter den US-Hightechs hervor. Seit 1999 wurde kein einziges Mal die Dividende gekürzt. Wir erhöhen Ziel- und Stoppkurs.

Mayr-Melnhof Karton: Mit Alltagsprodukten eine starke Rendite


Für den österreichischen Hersteller von Recyclingkartons und Faltschachteln ist die Corona-Krise bislang in zweierlei Hinsicht positiv verlaufen. So schaffte die Aktie zum einen die Rückkehr in den Wiener Leitindex ATX. Zum anderen profitiert das operative Geschäft davon, dass immer mehr Verbraucher Waren und Produkte im Internet bestellen, die in Kartons verpackt und zugestellt werden. Das gilt auch für Lebensmittel und fertig gekochte Mahlzeiten. So hat Mayr-Melnhof Karton etwa ein Produkt im Programm, das aufgrund der Innenbeschichtung den problemlosen Transport von Essen ermöglicht. Für 2020 sieht sich das Unternehmen laut Vorstandschef Wilhelm Hörmanseder gut gewappnet: "Wir sind voll gebucht und werden auch voll beliefert." Ziel sei es, bei Umsatz und Gewinn die Rekordwerte aus dem Vorjahr zu erreichen. 2019 legte Mayr-Melnhof beim Umsatz um neun Prozent auf über 2,4 Milliarden Euro zu. Der operative Gewinn auf Ebitda-Basis zog um mehr als 20 Prozent auf 389,4 Millionen Euro an.

Auch die Umsatzrendite hat die Gesellschaft in den letzten Jahren kontinuierlich auf zuletzt 7,5 Prozent gesteigert. Der freie Cashflow stieg um die Hälfte auf 180 Millionen Euro. Zusammen mit der strammen Eigenkapitalquote von 62 Prozent ist die Wiener Firma also auch dann gut gerüstet, falls es in den nächsten Quartalen nicht optimal laufen sollte. Dank dieser starken Bilanz kommen die Aktionäre in den Genuss einer für 2019 deutlich angehobenen Dividende von 3,60 Euro je Aktie. Wie stabil das Geschäft ist, zeigt ein Blick in die Vergangenheit. Auch während der Finanz- und Eurokrise schrieb Mayr-Melnhof in keinem einzigen Quartal Verluste.

Sanofi: Steigende Margen nach Konzernumbau


Mit ihren stabilen Cashflows und Dividenden gelten Pharmafirmen als defensiver Rückhalt für Anlegerdepots. Aber auch unter Wachstumsaspekten hat die Branche wieder an Attraktivität gewonnen, nachdem die Konzerne ihre Geschäftsfelder verschlankt haben und mit neuen Medikamenten wieder Milliardenumsätze generieren. Sanofi hat diesen Wandel 2019 vollzogen. Zu den neuen Gewinntreibern zählt Dupixent. Das seit 2017 zur Behandlung von Atopischer Dermatitis zugelassene Antikörper-Medikament verdoppelte im ersten Quartal 2020 seine Erlöse auf 776 Millionen Euro. Erhält das Mittel die Zulassung auch in anderen Indikationen, könnte Dupixent, so schätzen Experten, jährliche Spitzenumsätze von bis zu zehn Milliarden Euro in die Kasse spülen.

Das jüngste Quartalsergebnis untermauert die Trendwende. Während der Umsatz um 6,6 Prozent auf neun Milliarden Euro vorankam, kletterte der Konzerngewinn um 15,9 Prozent auf gut zwei Milliarden Euro. Der freie Cashflow verdoppelte sich auf 1,6 Milliarden Euro. Für 2020 erwartet Sanofi ein Gewinnplus von fünf Prozent. Neue Arzneien gegen Krebs, Multiple Sklerose und genetische Erkrankungen können in Zukunft die Ertragskraft beschleunigen. In der Bekämpfung von Covid-19 ist Sanofi mit zwei Arzneien, die das Coronavirus blockieren, und mit zwei Impfstoffen im Rennen. Die beiden Impfstoffe könnten frühestens Ende 2021 den Sprung auf den Markt schaffen. Weil für die globale Eindämmung der Pandemie die Impfung von Milliarden Menschen notwendig ist, werden auch Nachzüglerprodukte gefragt sein. Mit einem 2021er-KGV von 12,9 ist die Aktie im Branchenvergleich günstig bewertet.

Secunet: Gewinnschub mit digitalen Türstehern


Die Secunet-Aktie hat in den letzten drei Monaten gegen den Markttrend um mehr als 15 Prozent zugelegt. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Essen bietet Produkte und Dienstleistungen für die Datensicherheit - und ist hier in Geschäftsfeldern mit strukturellem Wachstum unterwegs. Ende März verzeichnete Secunet einen Auftragsbestand von 115,2 Millionen Euro - ein Rekordbetrag, der 40 Prozent über dem Vorjahreswert liegt.

Ganz dick im Geschäft ist die Firma bei der deutschlandweiten Einführung der elektronischen Gesundheitskarte für Arztpraxen und Krankenhäuser. Von T-Systems übernimmt Secunet in diesem Jahr dessen Konnektoren. Addiert man die 45 000 eigenen Geräte hinzu, stellt die Firma eine telematische Infrastruktur von bis zu 65 000 Konnektoren. Dazu kommen Software-Updates und digitale Signaturen bis zum Jahresende. Danach fallen bis zu 1000 Euro an jährlichen Wartungserlösen pro Patientenakte an. Darüber hinaus hat die Gesellschaft 2020 mit der Auslieferung sogenannter E-Kioske für digitale Passkontrollen an Flughäfen begonnen, mit denen sich bis 2021 Passagiere aus dem Nicht-Schengen-Raum in allen EU-Mitgliedsländern ausweisen müssen. Dass Secunet beim Ausblick für 2020 den Ball flach hält und bei Umsatz und operativem Gewinn einen leichten Rückgang gegenüber dem Vorjahr erwartet, darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Firma vor einem Gewinnsprung steht. 2019 verbuchte Secunet einen Konzerngewinn von 22,2 Millionen Euro bei einem Umsatz von 227 Millionen Euro. Der IT-Sicherheitsdienstleister bleibt einer der aussichtsreichsten deutschen Nebenwerte im Technologiesektor.