€uro: Herr Müller, Sie gehen ab April mit einem Bühnenprogramm auf Tour und wollen dort Sparer überreden, Aktionäre zu werden. Die Deutschen sind ausgesprochene Aktienmuffel. Haben Sie keine Angst, vor leeren Stuhlreihen zu stehen?
Dirk Müller: Nein, die Vorpremieren in Berlin und Köln waren jedenfalls sehr gut besucht. Aber es stimmt: Anders als die grundsätzlich optimistischen Amerikaner haben die Deutschen Angst, mit Aktien Geld zu verlieren. Ich will ihnen diese Angst nehmen.

Woher kommt diese Angst denn?


Weil Privatanleger in der Zeit des Neuen Markts wahllos Aktien von Unternehmen gekauft haben, die entfernt nach Internet klangen, ohne deren Geschäft zu verstehen. Das ist, als wenn ich eine erfolgreiche Fußballmannschaft aufstellen will, und statt gute Spieler zu kaufen die Tür einer Kneipe aufreiße und hineinbrülle: "Wer hat hier Bock, Fußball zu spielen?" Das musste schiefgehen. Und immer, wenn sich die Anleger nach dieser Klatsche zurück auf den Platz wagten, haben sie - wie etwa in der Finanzkrise - wieder eine auf den Deckel bekommen.

Wie wollen Sie Anlegern die Angst nehmen, dass das noch einmal passiert?


Indem ich ihnen klar und verständlich den Unterschied zwischen kurzfristiger Spekulation und der langfristigen Beteiligung an Unternehmen erkläre. Die Börsenlegende André Kostolany hat das mal mit einem Wanderer und dessen Hund verglichen. Der Wanderer ist der innere Wert eines erfolgreichen Unternehmens, der langsam, aber stetig steigt. Der Hund ist der Aktienkurs, der mal frech vorausläuft, mal etwas hinterherhechelt. Die Frage ist: Will man die wilden Sprünge des Hundes vorhersagen, wie es der Spekulant tut? Oder will man sich am langsamen Aufstieg des Wanderers orientieren wie der Langfristanleger? Ich rate zu Letzterem.

Weil man nicht vorhersagen kann, was der Hund als Nächstes tut, aber die Richtung des Wanderers ganz gut einschätzen kann?


Langfristig steigen die Aktienkurse guter Unternehmen mit großer Sicherheit. Aber man sollte keine völligen Unbekannten und auch keine Auslaufmodelle auf den Platz stellen. Also nicht Lothar Matthäus, sondern Neymar, um zum Fußball zurückzukommen.

Auf Seite 2: Wer ist der Lothar Matthäus unter den Aktien?





Wer ist der Lothar Matthäus unter den Aktien? Das interessiert mich natürlich.


Nokia. Die waren mal Weltmarktführer bei Handys, haben aber die besten Zeiten längst hinter sich, weil sie den Schwenk zu den Smartphones völlig verpennt haben.

Und Apple ist dann Neymar, oder wie?


Genau. Apple ist schon der größte Börsenkonzern der Welt, hat aber noch Potenzial. Wer einmal Apple-Kunde ist, ist im Apple-Universum gefangen. Er kauft sich kein anderes Smartphone und keine andere Fitnessuhr, weil er keine Lust hat, seine Daten auf ein anderes System umzuziehen - oder es gar nicht kann. Eine geniale Geschäftsidee!

Mit Ihren Beispielen und Vergleichen versuchen Sie, die Börse möglichst amüsant zu erklären. Darf Börse denn lustig sein?


Börse darf Spaß machen. Sie muss sogar!

Nicht jeder sieht das so. Beim Geld hört der Spaß auf, lautet ein Sprichwort. Ein Börsenhändler sagte mir sogar einmal trocken: "Wenn ich lachen will, kaufe ich mir ein Witzheftchen."


Ich habe selbst viele Jahre an der Börse gearbeitet und eine andere Erfahrung gemacht: An wenigen Orten wird so viel gelacht wie auf dem Parkett! Als Börsenhändler muss man die Dinge mit Humor nehmen können. Sonst dreht man durch, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert. Geld ist zwar zweifellos wichtig, und man sollte nicht fahrlässig damit umgehen. Aber es gibt wichtigere Dinge im Leben. Gesundheit zum Beispiel.

Letztes Jahr dürfte vielen Anlegern trotzdem das Lachen vergangen sein: Deutsche Aktien verloren 2018 fast 20 Prozent an Wert. Geht es 2019 weiter abwärts oder wird sich der DAX wieder erholen?


Ganz ehrlich: keine Ahnung. Viele Banken geben zwar Kursprognosen ab. Sie wissen aber in der Regel selbst, dass diese Prognosen völliger Humbug sind.

Warum tun sie das dann?


Unter anderem, weil die Medien und die Anleger immer wieder danach fragen.

Sie geben doch auch Börsenprognosen ab. In Ihrem im Herbst erschienenen Buch "Machtbeben" sagen Sie den "größten Crash der Geschichte" voraus. Muss man diese Vorhersage auch nicht ernst nehmen?


Das Finanzsystem ist seit der Finanzkrise kein bisschen stabiler geworden. Deshalb wird es irgendwann richtig krachen. Ob das aber morgen passiert oder erst in zehn Jahren, das kann ich nicht sagen. Deshalb weise ich nur auf bestimmte Entwicklungen hin, die man im Auge behalten muss.

Auf Seite 3: Welche sind das?





Welche sind das?


Vor allem die riesige Blase in China. Dass ein Land mit einer Milliarde Einwohnern wirtschaftlich zum Westen aufschließt, war die beste Börsenstory seit 100 Jahren. Deshalb pumpten Investoren über Jahrzehnte Kapital in die Region, investierten dort in Firmen und kauften Immobilien. Solange Chinas Wirtschaft zehn oder 15 Prozent pro Jahr wuchs, war es auch egal, dass diese Firmen Verlust machten oder die Immobilien leer standen. Schon weil jeder dabei sein wollte, wurden sie mehr wert. Sie müssen sich das wie im Goldrausch in Amerika im 19. Jahrhundert vorstellen: Jeder hat sein Glück versucht. Im Nirgendwo entstanden Städte mit Läden, Banken, Saloons und Stripclubs. Als klar wurde, dass die Hoffnungen überzogen waren, kollabierte das Ganze.

In China wird es Ihrer Meinung nach genauso laufen wie beim Goldrausch?


Chinas Wachstum lässt seit einiger Zeit nach und lag zuletzt nur noch bei 6,5 Prozent. Und das sind die offiziellen Zahlen, von denen jeder weiß, dass sie gelogen sind. Nun wachsen die Sorgen, weil die Zinsen steigen und die Investoren ihr Geld langsam abziehen. Der ganze Boom ist ja auf Pump finanziert, Chinas Unternehmen haben Schulden in Höhe von 190 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das ist etwa dreimal so viel wie bei den US-Unternehmen. Erste große chinesische Firmen wie HNA wanken schon. Gehen sie pleite, reißt das weltweit andere Firmen mit. Das ist wie ein Dominoeffekt. Außerdem ist da noch die geopolitische Komponente.

Sie meinen den Handelsstreit zwischen den USA und China?


China ist politisch der größte Rivale der USA und wird Amerika wirtschaftlich bald überholen. Das werden die USA nicht so einfach hinnehmen. Deshalb ist es meiner Meinung nach kein Zufall, dass US-Präsident Donald Trump genau jetzt, wo China angeschlagen ist, gegen das Land Strafzölle verhängt.

Mal angenommen, Sie haben recht, und es kracht tatsächlich an den Börsen. Wie passt das mit Ihrem Appell zusammen, dass Sparer endlich Aktien kaufen sollen?


Dass passt gut zusammen! Wie gesagt: Erstens ist gar nicht klar, wann es kracht. Es kann gut sein, dass Chinas Regierung den Crash noch lange hinauszögert oder sogar verhindert und die Kurse weiter steigen. Zweitens ist ein Crash keine Katastrophe.

Sondern?


Ein Crash ist eine Chance. Das ist, als wäre im Supermarkt alles um die Hälfte reduziert. Die größten Vermögen der Welt wurden in solchen Situationen geschaffen, zum Beispiel das der Familie Onassis. Man sollte nur genügend Geld beiseitelegen, um voll einsteigen zu können, wenn die Kurse tief sind. In meinem Aktienfonds mache ich das auch so.

Sie haben 2015 einen Fonds aufgelegt und werben damit, dass Sie dort auch Ihr eigenes Geld investieren. Was machen Sie im "Dirk Müller Premium Aktien" anders als andere Aktienfonds?


Zum Beispiel, dass wir keine Wertpapiere verleihen. Das machen sonst die meisten Fonds. Wir senken zudem die Gebühren, wenn das Fondsvermögen steigt. Denn für mich als Fondsmanager bleibt der Aufwand der gleiche - egal wie viel in meinem Fonds investiert ist. Seit der Fonds über 100 Millionen Euro groß ist, verlangen wir 1,6 Prozent Gebühr - 0,05 Prozent weniger. Außerdem beachte ich ein paar ethische Kriterien.

Welche denn?


Ich würde mir zum Beispiel kein Roundup Ready in den Garten streuen, deshalb ist Monsanto und damit auch Bayer für mich tabu. Panzer sind es auch. Google und Facebook kritisiere ich zwar, nutze es aber selbst. Es wäre also schizophren, nicht in deren Aktien zu investieren. Unser größtes Unterscheidungsmerkmal zu klassischen Aktienfonds sind aber nicht ethische Kriterien, sondern die Absicherungsstrategie.

Wie funktioniert die?


Wenn die Kurse wie Anfang 2018 konstant steigen, sind wir voll in Aktien investiert. Wenn es aber wie im Rest des Jahres runtergeht, sichern wir gestaffelt Teile und manchmal das gesamte Fondsvermögen über Terminkontrakte ab. Das hat den Vorteil, dass uns in fallenden Märkten permanent Cash zufließt, mit dem wir zu günstigeren Kursen Aktien kaufen können. Deshalb haben wir 2018 9,7 Prozent Gewinn gemacht, während der globale Aktienindex MSCI World über 6,5 Prozent Verlust erlitt.

2018 waren Sie damit der beste weltweit anlegende Aktienfonds unserer Statistik. Seit Auflage im April 2015 bis Ende 2018 lieferte Ihr Fonds insgesamt aber nur zwei Prozent Gewinn, beim MSCI World waren es in Euro sechs Prozent. Zuletzt ging die Schere noch etwas weiter auseinander. Sind Sie und Ihre Anleger damit zufrieden?


Es gibt Phasen, in denen wir wegen unserer Absicherung weniger Gewinn machen als der breite Markt. Das wissen unsere Kunden. In der Rally nach der Wahl Donald Trumps war das zum Beispiel der Fall. Aber das gehört zu unserer Strategie. Wir wollen den Anlegern die großen Verluste, wie es sie in der Finanzkrise gab, ersparen. Gleichzeitig wollen wir in solchen Phasen zu billigen Kursen einkaufen und damit den Grundstein für langfristigen Erfolg legen. 2018 hat gezeigt, dass diese Strategie richtig ist. Ich kann damit umgehen, wenn sich jemand beschwert, dass er wegen der Absicherung ein paar Prozent weniger Gewinn gemacht hat. Ich könnte aber nicht damit leben, wenn mir jemand sagt, er hätte wegen meines Fonds Haus und Hof verloren.

Mister DAX: Diesen Spitznamen verdient man sich nur mit Glück und Geschick. Glück hatte Dirk Müller, Jahrgang 1968, mit seinem Arbeitsplatz direkt unter der DAX-Tafel am Frankfurter Parkett. Weil sein Gesicht immer wieder jene Euphorie oder Panik ausdrückte, die den DAX gerade bewegte, wurde der stets korrekt gekleidete Börsenmakler ein beliebtes Fotomotiv von Finanzjournalisten. Seine steigende Bekanntheit setzte er geschickt ein, tauchte oft als Börsenexperte in Talkshows auf, schrieb Bücher wie den Bestseller "Cashkurs" oder jüngst "Machtbeben" und legte 2015 seinen eigenen Aktienfonds auf, den "Dirk Müller Premium Aktien" (ISIN: DE 000 A11 1ZF 1). Der reisebegeisterte Badener fährt mit seinem Geländewagen gern durch ferne Länder, lebt aber bis heute bei Hockenheim, wo er aufgewachsen ist. "Ich hatte viele Angebote aus London und anderen Metropolen, aber die haben mich nie gereizt."

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