Um mindestens sechs Prozent könnte die deutsche Wirtschaft im laufenden Jahr einbrechen. Das ist ein Resultat der Mai-Umfrage des Ökonomen-Barometers von €uro am Sonntag unter führenden deutschen Volkswirten. Der Indikator für die Einschätzung der aktuellen Lage markiert dabei wie schon im April einen weiteren historischen Tiefststand. Doch beim Ausblick für die kommenden zwölf Monate zeigen sich Aufhellungen.
Mit nur noch 12,8 Punkten ist das Ökonomen-Barometer im Mai noch einmal um 2,7 Punkte gegenüber dem April gefallen. Nach dem starken Einbruch im Vormonat um 60 Prozent kommt das fast einer Stabilisierung gleich. Die Aussichten für die kommenden zwölf Monate sind mit 12,5 Punkten (Vormonat: 14,6 Punkte) vor diesem Hintergrund schon fast stabil. Der Rückgang ist jedenfalls geringer als bei der aktuellen -Einschätzung.
Sorge vor zweiter Welle
"Gegenwärtig wird ein trauriger Wirtschaftsrekord nach dem anderen gebrochen", bringt Allianz-Chefvolkswirt Ludovic Subran die Lage auf den Punkt. Die aktuellen deutschen Wirtschaftsdaten und Umfrageergebnisse seien "schlichtweg katastrophal". "Das passt zu unserer Annahme, dass im April rund 30 Prozent der deutschen Wirtschaft stillgelegt waren." Bereits ab Mai dürfte es aber mit der schrittweisen Lockerung der Eindämmungsmaßnahmen wieder aufwärtsgehen, sagt Ludovic. Darauf wiesen Daten wie der Elektrizitätsverbrauch hin. "Doch es wird vermutlich bis Anfang 2021 dauern, bis die deutsche Wirtschaft wieder volle Fahrt aufnimmt."
In den vergangenen Tagen drückte insbesondere die Sorge vor einer zweiten Infektionswelle als Folge der Lockerungen auf die Stimmung. Dies könne die Wirtschaft über einen längeren Zeitraum belasten, hieß es.
Die meisten Ökonomen sind der Ansicht, dass vor allem das zweite Quartal noch einen drastischen Rückgang beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) bringen wird. Damit dürfte aber auch der Tiefpunkt erreicht sein, so Bantleon-Chefvolkswirt Daniel Hartmann. Andere Experten zeigen sich skeptischer. "Die Corona-Folgen sind ökonomisch schlimmer als gedacht", warnt Friedrich Heinemann vom Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW).
Grenzen wieder offen
Unterdessen werden die Pandemie-bedingten Einschränkungen des öffentlichen Lebens in Deutschland schrittweise wieder zurückgenommen. So sollen ab diesem Samstag die Grenzen zu den Nachbarländern wieder grundsätzlich offen sein. Das hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer am Mittwoch angekündigt.
Im Zuge der Corona-Krise waren seit dem 5. März Binnengrenzkontrollen zu Österreich, der Schweiz und Frankreich eingeführt worden. Diese sind zwar bis zum 15. Juni verlängert worden. Ab Samstag werde aber an allen deutschen Grenzen nur noch stichprobenartig kontrolliert. Ziel der Bundesregierung sei es, dass es ab Mitte Juni wieder einen freien Reiseverkehr in Europa gebe, sagte Seehofer.
Die Diskussion über das Ausmaß der Lockerungen geht allerdings weiter. Das Ifo-Institut warnte vor allzu raschen Schritten, die sich als kontraproduktiv für die Wirtschaftserholung erweisen könnten. Ifo-Chef Clemens Fuest sprach sich für einen schrittweisen Öffnungsprozess und gleichzeitig mehr Tests aus. "Diese Maßnahmen sind unentbehrlich, um die gesundheitlichen und wirtschaftlichen Kosten der Pandemie zu begrenzen." Die Strategie umsichtiger, schrittweiser Lockerungen sei nicht nur gesundheitspolitisch, sondern auch wirtschaftlich vorzuziehen, betonte Fuest. "Wenn die Politik dagegen kurzfristig mehr Wirtschaftstätigkeit erlaubt, verlängert sich die Phase der Beschränkungen nach unseren Simulationsanalysen so sehr, dass die Gesamtkosten steigen."
In der Mai-Umfrage beschäftigten sich die Ökonomen auch mit dem umstrittenen Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVG) zu den Anleihekäufen der Europäischen Zentralbank (EZB). Das BVG hat die Anleihekäufe für teilweise verfassungswidrig erklärt und eine ausführliche Begründung für derartige Maßnahmen verlangt. Damit stellte sich das BVG erstmals auch gegen die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.
Eine Mehrheit von 76 Prozent der befragten Volkswirte rechnet zwar nicht damit, dass sich durch dieses Urteil die Geldpolitik der EZB ändert. Gleichwohl wird das Urteil von den Ökonomen sehr kontrovers diskutiert, vor allem wegen seiner zahlreichen, kaum abschätzbaren rechtlichen Auswirkungen.