Es wird demonstriert in Wien - und in zahlreichen anderen Städten ebenfalls. Und das ganz friedlich. Ohne Wasserwerfer, ohne massiven Polizeieinsatz. Den Österreichern geht es um ihre Freiheitsrechte, und bei vielen geht es schlichtweg auch um die Existenz angesichts drastischer Lockdown-Maßnahmen. Etwa im wichtigen Sektor Tourismus. So hat sich die Zahl der Urlauber im vergangenen Jahr halbiert. Wien verzeichnete sogar 74 Prozent weniger Gäste.
Im bereits dritten Lockdown der Alpenrepublik mussten alle Tourismusbetriebe ebenso schließen wie sämtliche Geschäfte außer jene zur Grundversorgung. Restaurants, Hotels und andere kommerzielle Unterkünfte haben zu. Außerdem bestehen Ausgangsbeschränkungen: Nur zur Arbeit, für notwendige Verrichtungen wie Einkaufen oder Arztbesuch sowie zur persönlichen Erholung darf die Wohnung verlassen werden.
Das hat natürlich Auswirkungen auf die Konjunktur: Für Österreichs Finanzminister Gernot Blümel beginnt 2021 mit einem ungewöhnlichen Superlativ. Er verwaltet das höchste Budgetdefizit der Nachkriegsgeschichte: 9,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Fast ein Viertel der für das laufende Jahr vorgesehenen Staatsausgaben muss Blümel über Kredite finanzieren. Das Geld wird dringend gebraucht, schließlich hat die Covid-19-Pandemie so wie in allen Ländern die Wirtschaft zum Erliegen gebracht. Die Arbeitslosenzahl liegt auf Rekordniveau, und sie wird vermutlich weiter steigen. Immer noch stecken viele Österreicher in Maßnahmen wie Kurzarbeit. Da ist der Verlust des Jobs oft auch nicht mehr weit.
Prinzip Hoffnung
Eine breite Erholung wird sich aus Sicht der Ökonomen der Bank Austria daher wohl erst im zweiten Halbjahr ergeben, je nach Verlauf der Impfkampagne. Für 2021 rechnet man dann mit drei Prozent Wirtschaftswachstum - nach geschätzt sieben Prozent BIP-Rückgang 2020. An der Börse vertraut man auf dieses Prinzip Hoffnung: Der Leitindex ATX notiert knapp unter 3000 Punkten und damit fast so hoch wie vor Jahresfrist.
Grund zum Feiern gibt es auch so: "30 Jahre ATX" hieß es zu Jahresbeginn. Ein schöner runder Geburtstag. Start des Leitindex war am 2. Januar 1991 bei 1000 Punkten. Damals war der Index jedoch ein ganz anderer. 17 Aktien waren es nur, jetzt sind es 20. Lediglich drei Aktien, die von Anfang an durchgehend im Index vertreten waren, sind auch jetzt noch mit dabei: die beiden damals relativ frisch teilprivatisierten OMV und Verbund und die bereits im 19. Jahrhundert an die Wiener Börse gekommene Wienerberger. Das meiste Gewicht im Index (etwa 16 Prozent) hat derzeit die Erste Group.
Die Schwankungen des ATX waren in den zurückliegenden 30 Jahren teilweise extrem, deutlich stärker als etwa im Nachbarland beim DAX. Unter dem Strich ist die Entwicklung aber gut: Zum 30. Geburtstag notierte der ATX bei knapp 2800 Punkten. Rechnet man die teils verlässlich hohen Dividenden dazu, notiert der Index gar bei knapp 5500 Punkten. Gemessen wird das über einen Bruder des ATX, den ATX Total Return. "Der ATX ist ein typischer Wiener, ein bissl eigensinnig und stur", schreibt Christian Drastil vom "Börse Social Network" in seiner Festschrift zum 30. Geburtstag des Index: Oft seien österreichische Titel unterbewertet. Zudem sei die geopolitische Lage Österreichs und damit die Osteuropa-Fantasie immer wieder ein Kauf-, leider aber auch oft ein Verkaufsgrund.
Über die Jahrzehnte waren es indes immer wieder andere Unternehmen, die den Index prägten: In den Nullerjahren war beispielsweise Betandwin.com der Top-Performer, in den Zehnerjahren Do & Co, und im ersten Jahr der 2020er Verbund.
Interessante Nebenwerte
Interessante Aktien gibt es an der Wiener Börse etliche, etwa den Nebenwert Kapsch Trafficcom. Die Aktie notiert nach einem heftigen Kursrutsch auf dem Niveau des Jahres 2008. Kapsch ist Pionier bei Telematiklösungen für den Verkehr und hat Projekte in mehr als 50 Ländern realisiert. Kapsch arbeitet in zwei Segmenten: Electronic Toll Collection, das klassische Mautgeschäft, in dem das Unternehmen die Systeme errichtet und betreibt. Im Segment Intelligent Mobility Solutions wiederum werden Überwachungssysteme für Verkehr, Fahrzeuge, öffentliche Einrichtungen angeboten. Das Problem: Die Auftragslage schwankt, und das kann nicht immer ausgeglichen werden. Allerdings dürfte die Talsohle erreicht sein. Wir empfehlen die Aktie erneut.
Zu den Dauerfavoriten der Redaktion gehört Mayr-Melnhof Karton. Es läuft gut für den Verpackungsspezialisten. Das Wiener Unternehmen stellt Kartons und Kartonverpackungen für Konsumgüter des täglichen Bedarfs her. Die vor mehr als 100 Jahren gegründete Gesellschaft, die seit Jahrzehnten Marktführer ist, strebt auch weiterhin höchstmögliche Kontinuität an. Die Börse belohnt das mit bisher stetig steigenden Kursen.
Und schließlich Fabasoft. Der Softwarehersteller und Cloud-Dienstleister gefällt mit seinem Angebot für das "Finden aller digitalen Geschäftsunterlagen". Dazu passt die Tochter Mindbreeze, die im Bereich künstliche Intelligenz eine gute Stellung innehat. Die Aktie läuft seit Jahren hervorragend. Man sollte investiert bleiben.