Mehr Patient als Krankenversicherung - das war lange Zeit die vorherrschende Meinung über Obamacare. Die US-Gesundheitsreform, 2010 als Gesetz verabschiedet und im Oktober 2013 in Kraft getreten, zog nicht nur den erbitterten Widerstand der Republikaner auf sich. Das wichtigste innenpolitische Projekt von US-Präsident Barack Obama krankte auch an organisatorischen Schwächen. Immer wieder stürzte anfangs das Internetportal Healthcare.gov ab, auf dem sich USBürger für eine Versicherung eintragen konnten. Jüngst noch musste Gesundheitsministerin Kathleen Sebelius deswegen zurücktreten.

Am Ende aber scheint die größte gesundheitspolitische Reform der USA seit Jahrzehnten doch ein Erfolg: Bis Ende März - der letzte Tag für die Anmeldung - schlossen 7,1 Millionen US-Bürger Verträge ab. Mehr als erwartet. "Die Debatte ist vorüber. Das Gesetz bleibt bestehen", sagte Obama Anfang April.

Bei aller Kritik hat der US-Präsident sein wichtigstes Ziel erreicht: So wenig Amerikaner ohne Versicherungsschutz wie heute gab es seit Jahren nicht. Wie das Marktforschungsinstitut Gallup ermittelte, sank die Zahl der Nichtversicherten zuletzt auf 15,6 Prozent - der niedrigste Stand seit 2008.

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Günstiger Schutz für alle

Obamacare liegt die Idee zugrunde, jedem Bürger zu moderaten Preisen Zugang zu einer Krankenversicherung zu bieten. Annähernd 50 Millionen Amerikaner hatten bislang keine Versicherung, viele wurden auch wegen bestehender Krankheiten bis jetzt von Versicherungen abgelehnt. Die Prämien sind weltweit die teuersten, pro Kopf zahlen US-Bürger etwa doppelt so viel wie die Deutschen.

Viele Nichtversicherte spielten daher eine Art russisches Roulette: Vorsorgeuntersuchungen wurden aufgeschoben, Arztbesuche vermieden - selbst wenn es bereits Hinweise auf eine Krankheit gab. Die Lobbygruppe Families USA kalkuliert, dass bis dato alle 20 Minuten ein Amerikaner starb, weil er nicht versichert war. Die Sterblichkeit von Kleinkindern liegt in der weltgrößten Volkswirtschaft zweimal höher als in Norwegen, Schweden oder Finnland.

Die Zahl der Versicherten dürfte indes dank der Reform weiter steigen. Ab November wird mit der nächsten Zugangswelle gerechnet. Dann können sich Spätzünder für das Jahr 2015 anmelden. Millionen Bürger dürften in den kommenden Jahren nachziehen. Denn wer keine Police hat, muss ab jetzt mit einer Strafe von bis zu einem Prozent des Gehalts rechnen. Die Sonderabgabe soll in einem Jahr sogar auf zwei Prozent steigen.

Andererseits bekamen auch die Versicherer Auflagen: Es ist jetzt verboten, einen Antragsteller wegen einer bestehenden Krankheit abzulehnen oder überhöhte Beiträge zu kassieren. Auf den staatlichen Webportalen konkurrieren die Kassen stattdessen mit ihren Tarifen. Um die Branche nicht zu schwächen, unterstützte die US-Regierung die Versicherer gezielt bei der Akquise junger Kunden. Mit den Jüngeren können die Konzerne höhere Risiken bei den Älteren und bei chronisch Kranken abfedern. Washington rührte insbesondere via Social Media die Werbetrommel. Mit Kurzvideos bewarben Studenten, Sportler oder Schauspieler die Vorteile der neuen Marktplätze für Versicherungen.

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Rosskur bei den Kosten

Ziel der Reform sind überdies Kostensenkungen bei den medizinischen Leistungen. Noch gibt kein Land der Erde mehr Geld aus: Bislang fließen knapp 18 Prozent des US-Bruttoinlandsprodukts in das Gesundheitssystem. In Deutschland liegt der Anteil nach einer Erhebung der Weltbank bei gut elf Prozent.

Im Zuge der Reform gerieten die teilweise absurd hohen Preise für neue Medikamente in die Kritik. So kassiert der Biotechkonzern Genentech für das Augenmedikament Ranibizumab 1800 Dollar pro Dosis, während ein hauseigenes Konkurrenzprodukt nur 50 Dollar kostet. In Washington entbrannte eine heiße Diskussion darum, was Medikamente kosten dürfen. Die Preise für neue Wirkstoffe werden zwar voraussichtlich nicht gedeckelt. Aber an vielen Ausgaben hat der Gesetzgeber schon den Rotstift angesetzt.

Versicherer profitieren dagegen bereits vom hohen Kundenzulauf und vereinbarten erfolgreich günstige Spezialtarife mit Gesundheitsdienstleistern wie Krankenhäusern oder Arztpraxen. Schließlich ist der Verhandlungsspielraum umso größer, je mehr Kunden eine Assekuranz betreut.

Zu den Profiteuren zählt etwa der Krankenversicherer Wellpoint aus Indianapolis, einer der größten der Branche. Jeder neunte Amerikaner steht auf der Versichertenliste, insgesamt sind es 68 Millionen Kunden. Das Unternehmen begrüßte dank Obamacare bis dato mehr als eine halbe Million Neuzugänge - das Neukundengeschäft soll profitabel laufen. "Das war der großartigste Umbau des Gesundheitssystems in der Geschichte der USA", schwärmt Vorstand Joseph Swedish. Bereits 2013 kletterten Umsatz und Gewinn des Versicherungsriesen auf Rekordniveau. "In jedem Quartal haben sich unsere Eckdaten verbessert", sagt der Konzernchef.

Am meisten aber dürfte Obamas Care-Paket dem Primus der Branche genutzt haben: United Health Group. Die größte US-Krankenkasse kommt inzwischen auf rund 90 Millionen Kunden, jeder fünfte Amerikaner ist hier versichert. Mit 820 000 Ärzten und 6000 Krankenhäusern konnte United Health Rabatte aushandeln.

Für Unternehmen und Aktionäre war Obamacare bislang ein wahrer Gesundbrunnen. Seitdem die Reform vor vier Jahren Gesetz wurde, stiegen Umsatz, Gewinn und Dividenden von United Health kontinuierlich. Inzwischen notiert der Konzern im Dow-Jones-Index der 30 größten US-Titel. Kein Zweifel: An der Wall Street hat Obamacare eine kerngesunde Bilanz.

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