Schon als Teenager interessierte ihn
Geld mehr als alles andere. Mit
zwölf Jahren arbeitete er als Caddie
im lokalen Golfklub, in dem auch
viele Wall-Street-Banker spielten. Sie versorgten
ihn gelegentlich mit Tipps. Also
kaufte Ray Dalio, Sohn eines New Yorker
Jazz-Saxofonisten, für 300 Dollar Aktien
von Northeast Airlines. Der Kurs verdreifachte
sich kurz darauf, als das Management
der Fluggesellschaft ein Übernahmeangebot
erhielt. Zu Beginn seines Studiums
war Dalios Portfolio bereits auf mehrere
Tausend Dollar angewachsen.
Nach dem College ging Dalio auf die Harvard
Business School. In den Ferien jobbte
er an der Wall Street, wo er auf eigene
Rechnung mit Rohstoffen handelte. Später
arbeitete er für das Brokerhaus Sandy Weill
in der Abteilung für Rohstoff-Futures und
beriet Viehzüchter oder Getreideproduzenten
bei der Absicherung ihrer Risiken.
Die Hörner eines Longhorn-Stiers hängen
noch heute hinter seinem Schreibtisch.
1975 wurde Dalio gefeuert. Nicht wegen
Erfolglosigkeit. Er hatte nach einem Trinkgelage
seinen Abteilungsleiter in eine
Schlägerei verwickelt und, um das Maß voll
zu machen, kurz darauf eine Stripperin
engagiert, die bei der Jahrestagung eines
kalifornischen Landwirtschaftsverbandes
ihre Künste darbot.
Dalio war 26. An einer Karriere an der
Wall Street hatte er kein Interesse: "Um
motiviert zu sein, muss ich machen, was
ich will. Und nicht, was andere Leute mir
sagen." In seiner kleinen Wohnung in Manhattan
gründete er zusammen mit einem
Freund aus seinem Rugby-Team einen
Hedgefonds - Bridgewater. Zwar hatte er
wenig Erfahrung als Geldmanager. Aber
seine Newsletter, die er täglich an institutionelle
Anleger verschickte, beeindruckten
durch ihre scharfsinnigen Analysen
und weckten bald das Interesse von Pensionskassenverwaltern,
die ihm ihre Millionen
anvertrauten. Heute sind seine Kunden
in erster Linie institutionelle Anleger
oder ausländische Staatsfonds.
Die Regeln des Erfolgs
Zu Beginn der 80er-Jahre begann Dalio
die Regeln zu formulieren, die die Grundlage
für seine Investments bilden sollten.
Im Finanzgeschäft gebe es eine Wahrheit,
die sich entdecken lasse: "Die globale Wirtschaft
ist wie eine riesige Maschine", befand
Dalio. "Eine relativ einfache Maschine, die nicht gut verstanden wird."
Man müsse sie bloß richtig füttern - mit
Daten, die er akribisch zusammentrug. So
analysierte Dalio alle Wirtschaftskrisen,
die Große Depression in den USA ebenso
wie die Hyperinflation der Weimarer Republik.
Er versetzte sich in die Rolle eines
Investors, las die Zeitungen von damals
und simulierte einen Echtzeithandel mit
Aktien. Seine Strategiepapiere und Leitsätze,
die von seinen Mitarbeitern heute
mit geradezu Talmudscher Intensität studiert
werden, hat er auch veröffentlicht.
Dalios Erkenntnis: Die Wirtschaft besteht
aus Zyklen, die sich während der
wirtschaftlichen und politischen Veränderungen
wiederholten. Wenn es gelingt,
diese Muster zu identifizieren und auch die
kleinen Ereignisse, die sie auslösen, etwa
eine steigende Verschuldungsquote, dann
könnte man ein Computersystem entwickeln, das Booms und Pleiten
vorhersieht.
Nach diesen mathematisch erstellten und als interne
Software verankerten Grundsätzen werden
die rund 100 Assets ausgewählt, die
Bridgewater verwaltet. Dalio, der dank dieses
Systems die Finanzkrise voraussah und
sie in Milliardengewinne ummünzte, gilt
seither als Guru des Geldes, als "Steve Jobs
des Investments", wie ihn das Magazin
"Asset International" bezeichnete. Ihm gelingt
das Kunststück, über viele Jahre hohe
Renditen zu erzielen und zugleich das Risiko
breit zu streuen.
Bridgewater hat seinen Sitz im steuergünstigen
Westport/Connecticut. Die 1100
Angestellten arbeiten in drei einfachen Gebäuden
mitten in einem Waldstück. Der
Chef gilt als Exzentriker. Der groß gewachsene,
hagere Dalio, das stahlgraue lange
Haar in den Nacken gekämmt, trägt am
liebsten ein offenes Hemd, Khakijeans
und schwarze Lederstiefel. "Er sieht ein
bisschen aus wie ein alterndes Mitglied
einer englischen Progressive-Rock-Band",
meinte das US-Blatt "The New Yorker".
Den Tag beginnt Dalio seit über 40 Jahren
mit einer 20-minütigen Meditation. Die
Beatles, die damals auf ihrem Indientrip
vom Guru Maharishi Mahesh Yogi in Transzendentaler
Meditation unterrichtet wurden,
brachten ihn auf den Geschmack.
"Meditation ist mehr als alles andere der
Grund für meinen Erfolg", gibt Dalio zu.
Auch in Stressphasen zieht er sich in sein
Büro zurück und begibt sich in den Lotussitz.
"Ich fühle mich dann wie ein Ninja im
Kampf" - gelassen, emotionslos und total
konzentriert. Genauso wie die legendären
Krieger im alten Japan.
Bei Bridgewater pflegt Dalio ein Klima
der radikalen Offenheit und Transparenz.
Mitarbeiter müssen sich gefallen lassen,
dass sie von anderen kritisiert werden.
Fehlverhalten wird öffentlich und gnadenlos
analysiert. Leistungen werden ständig
von einer Software evaluiert. Zu der radikalen
Offenheit gehört auch, dass sämtliche
Gespräche innerhalb der Firma aufgezeichnet
werden. Einige frühere Mitarbeiter
kritisieren Bridgewater deshalb als
Sekte und vergleichen die "Fehlersitzungen"
mit der Selbstkritik in Maos China
oder mit der spanischen Inquisition.
Dalio verteidigt sich: "Es ist in Ordnung, Fehler
zu machen, aber es ist inakzeptabel,
nicht aus ihnen zu lernen." In seiner Firma habe
jeder "das Recht und die Pflicht", in aller
Öffentlichkeit Kritik zu üben. Ob es nun um
eher belanglose Dinge gehe wie die Qualität
des Salats in der Cafeteria oder um wirklich
wichtige wie eine falsche Einschätzung
der Ölmärkte.
Die Meditation habe ihn gelehrt, dass das
eigene fragile Ego das größte Hindernis sei,
das den Menschen an seiner persönlichen Weiterentwicklung hindere. Deshalb habe
er bei Bridgewater die ungeschönte Kritik
zur Norm erklärt. Niemand solle diese persönlich
nehmen, und niemand solle eine
gute Idee nicht äußern dürfen, weil er
Angst habe, dass sie falsch sein könnte, so
Dalio. Diese Zerstörung von Ego und Selbstbewusstsein
macht nicht jeder Angestellte
mit: Jeder Dritte verlässt die Firma innerhalb
von zwei Jahren.
Dalio verprasst kein Geld. Er hat sich der
globalen Spendenaktion von Bill Gates und
Warren Buffett angeschlossen und sich verpflichtet,
mindestens die Hälfte seines Vermögens
zu stiften. Er und seine Frau hätten
gelernt, dass zwischen Reichtum und
Glück kein Zusammenhang bestehe.
Bei den Partys der Wall-Street-Schickeria
sieht man ihn nicht. Der bald 65-Jährige
ist ein Outdoorfan und Abenteurer nach
dem Vorbild von Ernest Hemingway. Er
fischt in Kanada, schießt Moorhühner in
Schottland und geht gern in Afrika auf
Großwildjagd. Er jagt dort, nur mit Pfeil
und Bogen bewaffnet, den bis zu 900 Kilo
schweren Kaffernbüffel - ein Tier, das gelegentlich
Jäger mit seinen riesigen Hörnern
aufspießt.
Für Dalio ist die Büffeljagd eine Metapher
für seine Investmentphilosophie:
"Alles ist eine Frage der Risikokontrolle.
Riskante Dinge sind nicht zwingend riskant,
wenn du sie verstehst und kontrollierst."
Der Schlüssel zum Erfolg sei es, zu
fragen: "Wo ist der Abgrund? Und wie halte
ich die richtige Distanz dazu."
PEB