Das Kanzleramt wird unterdessen bei der Sondersitzung des Bundestags-Finanzausschusses nächste Woche nicht präsent sein. Es veröffentlichte am Mittwoch aber eine Aufstellung über Kontakte zum mittlerweile insolventen Zahlungsabwickler. Demnach warb 2019 auch der frühere Geheimdienstkoordinator Klaus-Dieter Fritsche im Kanzleramt für Unterstützung des Unternehmens.
In der Wirecard-Bilanz fehlen 1,9 Milliarden Euro. Es ist einer der größten Finanzskandale in Deutschland. In der Kritik ist deswegen unter anderem die Bonner Finanzaufsicht BaFin, die eigenen Angaben zufolge zu wenig Durchgriffsrechte bei solchen Fällen hat. "Daher ist mir wichtig, dass die BaFin gut ausgestattet wird", sagte Scholz. "Und wir werden hier weiter draufsatteln."
Als Vorbild nannte er die US-Finanzaufsicht SEC, "die umfassendere Befugnisse hat und gegenüber den Finanzunternehmen mit einem großen Selbstbewusstsein auftritt". BaFin-Chef Felix Hufeld hatte zuletzt allerdings gesagt, die USA seien ganz anders als Europa. "Natürlich können wir von dem SEC-Modell etwas lernen. Aber auch in den USA kam es zu Betrugsfällen. Zudem haben die Vereinigten Staaten ein anderes Rechtssystem, das nicht so einfach auf Europa übertragbar ist."
Auch im Bereich der Wirtschaftsprüfer sieht Scholz Reformbedarf. "Es stellt sich schon die Frage, wie es sein kann, dass hoch qualifizierte, exzellent ausgebildete und teuer bezahlte Wirtschaftsprüfer einer Gesellschaft, die schon seit fast zehn Jahren die Abschlüsse von Wirecard geprüft hat, von all den jetzt augenscheinlichen Betrügereien nichts mitbekommen haben." Scholz will den Prüfern strengere Vorgaben machen. "Wir müssen dafür Sorge tragen, dass die kontrollierten Unternehmen nicht Druck machen können auf denjenigen, der sie kontrolliert."
UNTERSUCHUNGSAUSSCHUSS ZU WIRECARD MÖGLICH
Scholz und Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) werden nächsten Mittwoch im Finanzausschuss Rede und Antwort stehen. Die Linke hatte beantragt, auch das Kanzleramt vorzuladen. Das wurde aber mit den Stimmen der großen Koalition abgelehnt, wie aus einem Rundschreiben an die Teilnehmer hervorgeht. Die SPD-Fraktion betonte demnach, das Kanzleramt könne womöglich zu einem späteren Zeitpunkt befragt werden. Linken-Finanzpolitiker Fabio De Masi bedauerte die Entscheidung: "Dies bestätigt meine Auffassung, dass wir die Aufklärung über einen Untersuchungsausschuss erzwingen müssen."
Laut Kanzleramt hat Fritsche am 13. August 2019 um einen Termin für Wirecard beim Abteilungsleiter Wirtschaft, Lars-Hendrik Röller, gebeten und sich auch später mit Röller und Wirecard-Vertretern getroffen. Fritsche war bis zu seiner Versetzung in den Ruhestand 2018 Staatssekretär im Kanzleramt und dort für die Nachrichtendienste zuständig. Dem untergetauchten Wirecard-Vorstand Jan Marsalek wird ein Faible für Geheimdienste nachgesagt. Laut "Handelsblatt" befindet sich Marsalek, den die Münchner Staatsanwaltschaft per Haftbefehl sucht, in Russland unter Aufsicht des Militärgeheimdienstes GRU.
Fritsche sagte dem "Spiegel", er sei als externer Berater nur dieses eine Mal für Wirecard aktiv gewesen. "Ich ging damals davon aus, dass Wirecard eines der Unternehmen der digitalen Zukunft ist, deswegen habe ich ihnen geholfen. Ich jedenfalls hatte keinerlei Grund, an der Seriosität des Unternehmens zu zweifeln." Wirecard-Vertreter hätten bei dem Treffen mit Röller auch die geplante Expansion nach China erwähnt. "Wir haben ganz zivil geredet, es wurden keine Hilfe aus dem Kanzleramt oder gar der Kanzlerin selber eingefordert."
Mittlerweile ist bekannt, dass sich sowohl das Kanzleramt als auch das Finanzministerium 2019 für Wirecard eingesetzt haben. Sprecher der Regierung und des Finanzministeriums sagten am Mittwoch, mit dem heutigen Wissen wäre damals anders gehandelt worden. Seit Jahren gibt es Medienberichte über Unregelmäßigkeiten bei Wirecard. Kanzlerin Angela Merkel sei aber erst Ende Juni mit der Insolvenz über den Bilanzskandal informiert worden, so die Regierungssprecherin.
rtr