Noch sehen Analysten keine Gefahr, dass sich die Kapitalflucht in dem Ausmaß wie vor drei Jahren wiederholt. Damals hatten Investoren wegen der Aussicht auf steigende US-Zinsen massiv Gelder abgezogen. "Aber die Tatsache, dass es an vielen Stellen zugleich Feuer gibt, muss doch nachdenklich machen", sagt Martin Hüfner, Chefvolkswirt vom Vermögensverwalter Assenagon.
Auch an den Börsenkursen lässt sich ablesen, dass es momentan nicht rund läuft. Der MSCI Emerging Markets hat seit Jahresbeginn rund acht Prozent verloren. 2017 hatte der Index noch 35 Prozent zugelegt. Die argentinische Börse ist 2018 bislang um knapp 13 Prozent eingebrochen, die Landeswährung Peso um rund 35 Prozent. An der brasilianischen Börse ging es um mehr als fünf Prozent nach unten, der Real büßte knapp 15 Prozent ein.
DOLLAR-ANSTIEG MACHT SCHWELLENLÄNDER VERWUNDBARER
Neben hausgemachten Problemen macht eine Sache allen Ländern zunehmend zu schaffen: Durch die steigenden Zinsen in den Vereinigten Staaten werden Anlagen in US-Dollar attraktiver. Das führt dazu, dass Investoren ihr Kapital aus Schwellenländern abziehen. "Es wiederholt sich damit ein geldpolitisches Grundmuster: Wechselt der globale Notenbankzyklus von einer expansiven in eine restriktive Phase, ist mit spürbaren Kollateralschäden und erhöhten Risiken für die Finanzmärkte zu rechnen", erklärt Eduard Baitinger, der beim Investmenthaus Feri die Anlagestrategie mitverantwortet. "Da der Dollar-Liquiditätsentzug weitergehen wird, ist eine Krise, die die Schwellenländer auf breiter Front erfasst, nicht ausgeschlossen."
Besonders betroffen sind die Schwellenländer, die auf ausländisches Kapital dringend angewiesen sind. Die Bank für Internationalen Zahlungsverkehr (BIZ) - quasi die Denkschmiede der großen Notenbanken - weist schon seit längerem auf die starke Zunahme der Verschuldung in Dollar in den Schwellenländern als potenzielle Gefahr hin. Nach ihren Berechnungen hat sich das Volumen der ausstehenden Fremdwährungskredite in Dollar dort seit der Finanzkrise 2008 in etwa verdoppelt und liegt mittlerweile bei 3,6 Billionen Dollar.
Aus Sicht der BIZ-Fachleute macht dies Schwellenländer verwundbar, sollte die US-Währung weiter kräftig aufwerten. "In der Vergangenheit haben solche Schwachstellen zu einer Reihe von Problemen geführt, nicht zuletzt zu Rezessionen", so BIZ-Generaldirektor Agustin Carstens unlängst. Das gestiegene Engagement ausländischer Investoren an den Finanzmärkten in diesen Ländern sorgt aus Sicht der BIZ nicht unbedingt für mehr Stabilität. Denn damit nehme auch das Risiko zu, dass im Fall von Verwerfungen ausländisches Kapital abgezogen werde.
Der Dollar-Kursanstieg in den vergangenen Monaten hat nach Einschätzung von Carstens bereits für Anspannungen gesorgt. "Dies trifft insbesondere auf die anfälligsten aufstrebenden Volkswirtschaften zu, allen voran Argentinien und die Türkei, aber - in geringerem Maße - auch andere Länder." Es sei noch unklar, ob sich dies ausbreiten werde. Kapitalabflüsse seien aber schon erkennbar. Seit März hat die US-Währung mehr als sechs Prozent gewonnen.
Das Umfeld bleibt also für viele Marktteilnehmer herausfordernd. Doch einige wittern gerade deshalb Renditechancen. "Wir sehen den jüngsten Ausverkauf als technische Korrektur nach zwei Jahren starker Zuflüsse", sagt Sergio Paz vom Vermögensverwalter BlackRock. Viele Experten sind überzeugt, dass der stetig wachsende Wohlstand in Schwellenländern die Nachfrage in Bereichen wie Konsum, Gesundheit, Versicherungen auch künftig antreiben wird. "Natürlich sind wir vorsichtig und behalten Ereignisse, Mittelzuflüsse und unsere Positionierungen im Blick", so Luc D’Hooge, der das Geschäft mit Schwellenländer-Anleihen beim Vermögensverwalter Vontobel verantwortet. "Wenn aber die gesamte Anlageklasse unter den Problemen einiger weniger Länder leidet und allgemeine Nervosität herrscht, ist das eine Zeit, in der sich die besten Anlagechancen bieten." Nur eines sollten Anleger in diesen Zeiten sein - sturmerprobt.
rtr