Grundsätzlich ist die Stimmung bei den Aktionären von Siemens derzeit eigentlich gut. Seit dem Tief im August vergangenen Jahres kletterte der Kurs um gut 30 Prozent, der DAX schaffte im gleichen Zeitraum nur einen Zuwachs von 15 Prozent. In den vergangenen Wochen hat die Dynamik aber spürbar nachgelassen, Sorgen um die Entwicklung der Weltwirtschaft lösten verstärkt Gewinnmitnahmen aus.

Dafür winkt eine höhere Ausschüttung: Der Dividendenvorschlag für die Hauptversammlung beträgt 3,90 Euro je Aktie, zehn Cent mehr als im Vorjahr. Die daraus resultierende Rendite von 3,5 Prozent liegt im Bereich des DAX-Durchschnitts. In den kommenden Jahren ist mit weiteren Ausschüttungserhöhungen zu rechnen.

Imageschaden nicht überbewerten


Als global aufgestellter Industriegigant profitieren die Münchner von der Teileinigung im Handelsstreit und der daraus resultierenden langsamen Stimmungsaufhellung. Allerdings bleibt die Liste an Unsicherheitsfaktoren wie geopolitischen Krisen und den noch ungewissen Auswirkungen des Coronavirus auf die Weltkonjunktur lang. Dazu kommen "hausgemachte" Probleme wie das Kohleminenprojekt in Australien. Seitdem der Konzern bestätigte, für die Zugstrecke die Signaltechnik zu liefern, mehren sich die negativen Schlagzeilen.

Auch wenn die Entscheidung auf der Hauptversammlung ein Thema sein dürfte, ist mittel- bis langfristig nicht mit negativen Auswirkungen zu rechnen. Der Imageschaden sollte sich kaum auf operativer Ebene und somit in den Zahlen niederschlagen.

Durchwachsener Auftakt


Die anstehenden Zahlen zum ersten Quartal könnten aufgrund der insgesamt zyklischen Ausrichtung des Konzerns dennoch etwas schwächer ausfallen. So kommt der Bereich Digital Industries bei der Optimierung offenbar schneller voran als erwartet, so richtig Fahrt aufnehmen dürfte das Geschäft aber erst im zweiten Halbjahr. Für den Bereich Gas & Power zeichnet sich zumindest eine Stabilisierung ab.

Saisonal bedingt rechnen Analysten aber mit weniger Aufträgen und damit einem schwächeren Ergebnis als im starken vierten Quartal. Einen eher langsamen Jahresauftakt sollten Anleger auch bei Mobility und Smart Infrastructure erwarten

Langer Weg


Grundsätzlich bleibt bei Siemens der laufende Transformationsprozess der wesentliche Treiber. Mit der Konzentration auf die Kernaktivitäten, Ausgliederung von Teilbereichen und der Restrukturierung sollte grundsätzlich die Visibilität steigen, was sich positiv auf den Konglomeratsabschlag auswirken dürfte. Eng damit verbunden ist der avisierte Börsengang von Siemens Energy. Bereits im September soll das Energiegeschäft als eigenständige Einheit den Sprung aufs Parkett schaffen. Durch die Reorganisation gewinnt Siemens an Schlagkraft und kann so stärker von den Megathemen Elektrifizierung, Automatisierung, Energie und Digitalisierung profitieren. Allerdings benötigt dies viel Zeit, Anleger brauchen somit einen langen Atem.

Was ist möglich? Börse Online rechnet mit einem Gewinn je Aktie für 2020 von 6,77 Euro. Die Siemens-Papiere sind somit mit dem 16-fachen bewertet - der 10-Jahres-Durchschnitt liegt auf einem ähnlichen Niveau. Im Konkurrenzvergleich sticht Siemens nicht hervor: Schneider Electric, ABB und General Electric liegen bei einem Faktor von 17 bis 21.

Zusammen mit der laufenden Konsolidierung drängt sich somit aktuell kein Einstieg auf. Der Trend zeigt abwärts, wie das Aktien-Rating-Modell von Index Radar zeigt. Kurzfristig besteht ein Risiko von weiteren vier Prozent bis in den Dunstbereich der Wendezone um 107 Euro. Knapp darunter wirkt die 200-Tage-Linie als stabilisierendes Element, von der aus eine Erholung starten könnte. Stärkere Rückschläge können vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden Erfolge aus dem laufenden Transformationsprozess aber zum Kauf genutzt werden.

Franz-Georg Wenner ist Chefredakteur des börsentäglichen Anlegermagazins "Index-Radar". Der Spezialist für Technische Analyse ist regelmäßiger Gast bei n-tv und dem Verein Technischer Analysten Deutschlands (VTAD). Bei BÖRSE ONLINE war er sechs Jahre Online-Koordinator und Redakteur mit den Schwerpunkten Nebenwerte Deutschland, Zertifikate und Technische Analyse.
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