Für die neuen Mitgliedsstaaten war der Beitritt vor allem eines: eine riesige Chance. Die vollständige Integration in den EU-Binnenmarkt und der Zugang zu den europäischen Förderprojekten brachte den Ländern Wachstum und Wohlstand, aber auch Schwierigkeiten. Ihr Potenzial haben die Länder längst noch nicht ausgeschöpft - davon können auch Anleger profitieren.
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Die Zukunft leben
Einer der Musterkandidaten war von Anfang an Estland. Das Land ist mit gerade mal 1,3 Millionen Einwohnern der kleinste der drei baltischen Staaten. Nach dem EU-Beitritt 2004 erlebte das Land einen Boom mit teilweise zweistelligen Wachstumsraten. Estland, das vor einem Vierteljahrhundert noch dem sozialistischen Wirtschaftssystem der Sowjetunion untergeordnet war, gilt heute als eines der modernsten Länder Europas. "e-Estonia" nennen die Esten ihre Heimat gern und schwärmen, dass hier die Zukunft gelebt werde. Das Recht auf kostenloses Internet ist gesetzlich festgeschrieben, sodass fast überall im Land WLAN verfügbar ist. Ob Steuererklärung, Amtsgänge, Arztüberweisungen oder Unternehmensgründung - die Esten organisieren ihren Alltag mit Smartphone und elektronischer IDKarte unkompliziert und schnell. Die effiziente Verwaltung, die Offenheit gegenüber neuen Technologien und die gute IT-Infrastruktur sind ohne Zweifel ein Wettbewerbsvorteil für das Land. Geebnet wurde der Aufschwung jedoch vor allem durch die Vorteile, die der mit dem Anschluss an die EU verbundene Freihandel mit sich brachte.
Genau genommen hat der Boom lange vor dem offiziellen EU-Beitritt begonnen: Die Kandidaten trimmten ihre Wirtschaft auf einen baldigen Anschluss an die Staatengemeinschaft, was vor allem eine funktionierende Marktwirtschaft bedeutete. Bereits in den 90er-Jahren wurde zudem damit angefangen, Handelshemmnisse zwischen den 15 alten EU-Staaten und den Neumitgliedern abzubauen.
Mit den wegfallenden Zöllen wurden Exporte der osteuropäischen Staaten preiswerter für EU-Handelspartner. Der Handel intensivierte sich und ist heute eng mit der EU verflochten. Waren bis zur Wende vor allem die Nachbarländer Abnehmer der Produkte, spielen heute die ehemaligen EU-15-Staaten eine immer größere Rolle. In Tschechien etwa stieg der Anteil, den Exporte in die alten EU-Staaten an der Gesamtwirtschaftsleistung ausmachen, von 20 Prozent 1993 auf 35 Prozent 2004. Inzwischen sind es 50 Prozent. In den anderen neuen EU-Staaten lief es ähnlich. Gleichzeitig sind auch die Importe aus anderen EU-Ländern deutlich gestiegen.
Dass Osteuropa aber längst mehr ist als ein Absatzmarkt, wird deutlich, wenn man die Liste der Unternehmen betrachtet, die in den vergangenen Jahren dort investiert haben. Der Mischkonzern Procter & Gamble hat ganze Abteilungen seiner Genfer Europazentrale nach Polen verlegt und produziert dort auch. Deutsche Unternehmen wie Allianz, Deutsche Telekom oder Siemens sind in der Slowakei aktiv, und der VW-Konzern, der 1991 den tschechischen Autohersteller Skoda übernahm, baut gerade ein neues Werk am Standort Kvasiny, 100 Kilometer östlich von Prag.
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Beliebt für Investitionen
Die Direktinvestitionen aus den EU-15-Ländern haben sich nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln seit 1994 vervierfacht. Kein Wunder, die Unternehmen finden oft attraktive Produktionsbedingungen vor: gute Infrastruktur, Rechtssicherheit und zugleich flexible Strukturen, was gesetzliche Vorgaben angeht, niedrige Löhne für sehr gut ausgebildete Arbeitskräfte.
Vor allem die Autobranche, einer der wichtigsten Industriezweige Osteuropas, profitiert davon. Laut Studie der österreichischen Bank Erste Group, hat sich die Fahrzeugproduktion der sogenannten Visegrád-Länder Tschechien, Ungarn, Polen und Slowakei seit 2003 von einer Million Fahrzeuge im Jahr auf fast drei Millionen erhöht. Die vier Länder zusammen sind damit heute nach Deutschland der zweitgrößte Autoproduzent Europas, während die Branche in anderen Volkswirtschaften wie Spanien oder Frankreich teils drastisch eingebrochen ist.
Die steigenden Exporte und Investitionen haben der Wirtschaftsleistung in allen neuen Mitgliedsstaaten einen ordentlichen Schub verpasst. In einigen Ländern wie den baltischen Staaten oder Polen verdoppelte sich die Wirtschaftsleistung sogar - und das, obwohl die Finanzkrise 2009 auch Osteuropa mit aller Wucht erwischte. Auch wenn die Länder dieses Tempo nicht halten werden, liegen die Wachstumsprognosen für die Region deutlich über denen der westlichen EU-Staaten.
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Einzelne Krisenstaaten
Probleme gab und gibt es dennoch: Ungarn, einst einer der vielversprechendsten EU-Kandidaten, musste mit EU-Hilfen und Geldern vom IWF vor dem Staatsbankrott bewahrt werden. Mit dem umstrittenen Ministerpräsidenten Viktor Orbán, der gerade mit Zweidrittelmehrheit wiedergewählt wurde, hat das Land einen europafeindlichen Weg eingeschlagen, der das Wirtschaftswachstum bremst.
Slowenien galt noch vor Jahresfrist als Krisenkandidat. Seine exportabhängige Wirtschaft wurde von der globalen Konjunkturflaute schwer getroffen. Zudem drohten Banken wegen fauler Kredite zu kollabieren. Auch für Zypern wurde der Finanzsektor zum Problem. Mit hohen Zinsversprechen hatten die Banken Kapital in Höhe der dreifachen Wirtschaftsleistung Zyperns eingesammelt. Die Renditen konnten sie irgendwann nicht mehr erwirtschaften, unter anderem wegen zahlreicher Problemkredite. Auch hier bewahrten EU-Hilfen das Land vor dem Zusammenbruch.
Auch vor lettischen Banken wurde schon gewarnt: Ihre Einlagen kommen zur Hälfte aus dem Ausland. Ziehen Anleger ihr Geld ab, drohen hier die Banken deshalb ebenfalls in die Illiquidität zu stürzen. Anleger sollten diese Gefahren bei der Geldanlage berücksichtigen.
Doch nicht nur bei Tages- und Festgeld lauern Risiken, sondern auch am Aktienmarkt. Zwar haben die vergangenen Jahre gezeigt, dass es in den Beitrittsländern interessante Investments gibt. Die Marktkapitalisierung der meisten Unternehmen ist jedoch gering, sodass die Kurse oft volatil sind. Zudem sind wegen der aktuellen Ukraine-Krise viele Papiere derzeit stark unter Druck. Um das Risiko breit zu streuen, sind deshalb Fonds eine gute Möglichkeit, in die Länder zu investieren (siehe Investor-Box).
Die Aktienindizes beispielsweise von Polen und Tschechien, die sich zwischen 2004 und 2008 mehr als verdoppelt hatten, stehen heute nur bei 70 beziehungsweise 50 Prozent ihres Allzeithochs. Auch die Kurse der anderen Länder sind ein gutes Stück von den einstigen Höchstständen entfernt. Doch die Chancen, dass sie ihre alte Stärke über kurz oder lang wieder erreichen können, stehen nicht schlecht. Analysten der Deutschen Bank gehen davon aus, dass dank der Geldgeber aus den EULändern auch in Zukunft jedes Jahr Direktinvestitionen von etwa drei Prozent des BIP in die Länder fließen. Vor allem die IT-, die Pharmaund die Energiebranche könnten davon profitieren.
Zu guter Letzt dürfte genau jene Vision für positive Aussichten sorgen, mit der die zehn neuen Mitglieder vor zehn Jahren der Europäischen Union beigetreten sind: die enge Verzahnung der europäischen Volkswirtschaften. Weil diese mittlerweile so stark miteinander verflochten sind, profitieren von einem Konjunkturaufschwung in den westlichen EU-Mitgliedsstaaten vor allem auch die neuen Mitglieder.
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