Oliver Samwer hat in den vergangenen Monaten ein Unternehmen von der Börse genommen und ein anderes an die Börse gebracht, und dieses Bäumchen-wechsel-dich-Spiel sagt einiges darüber aus, was bei Investoren gerade angesagt ist. Die Firma, die aus dem regulierten Handel genommen wurde, ist Samwers Inkubator Rocket Internet. Die Beteiligungsgesellschaft, die nach Tech-Start-ups sucht, ist seit vergangenem Jahr nur noch im Freiverkehr der Regionalbörse Hamburg gelistet. Bereits wenige Monate später hievte der Unternehmer indes eine neue Firma aufs Parkett, genauer gesagt an die New Yorker Börse: eine Mantelgesellschaft, die im Grunde dasselbe macht wie Rocket Internet. Nur dass sie es in Form eines leeren Börsenmantels tut, einer Special Purpose Acquisition Company (SPAC).

SPACs sind Mantelgesellschaften, die nur zu einem einzigen Zweck existieren: Sie sammeln via Börsengang Geld von Investoren ein, mit dem sie dann andere Unternehmen kaufen. Welche das sind, steht zuvor nicht fest. Die Initiatoren der SPACs, in der Regel erfahrene und bekannte Unternehmer, grenzen höchstens die Branchen ein, in denen sie sich umschauen. Nach dem Börsengang haben sie meist 24 Monate Zeit, um einen oder mehrere Investmentkandidaten zu finden und diese öffentlich handelbar zu machen. Der Vorteil für die übernommenen Firmen: Sie kommen schneller und einfacher an die Börse als mit einem klassischen Börsengang. Investoren, die Geld in eine SPAC stecken, kaufen dagegen eine Wundertüte.

SPAC-Hype schwappt nach Europa. SPACs sind kein völlig neues Investmentvehikel, sie erleben aber seit einigen Monaten einen regelrechten Boom. Allein von Jahresbeginn bis Mitte Mai 2021 debütierten laut dem Datenanbieter Refinitiv weltweit rund 350 Mantelgesellschaften, die bei Investoren die Rekordsumme von rund 100 Milliarden US-Dollar einsammelten. In den USA, wo auch Prominente wie der Ex-Baseball-Star Alex Rodríguez und der ehemalige Basketball-Star Shaquille O’Neal im SPAC-Markt mitmischen, schwächt sich der Hype allmählich ab. In Europa steht er dagegen erst am Anfang - falls die Finanzaufsicht den Initiatoren der Börsenmäntel keinen Strich durch die Rechnung macht.


350 SPACs debütierten laut Datenanbieter Refinitiv in diesem Jahr bis Mitte Mai weltweit. Sie sammelten rund 100 Mrd. Dollar ein.

Der Lakestar SPAC I war mit dem Börsengang in Frankfurt im Februar die erste Mantelgesellschaft seit rund einer Dekade, die an einer deutschen Börse gelistet wurde. Dahinter steht der Risikokapitalgeber Klaus Hommels, der in den Videotelefonie-Anbieter Skype und das Karrierenetzwerk Xing investiert war und derzeit unter anderem am schwedischen Zahlungsdienstleister Klarna beteiligt ist. Hommels sammelte bei der Privatplatzierung vor dem Börsengang 275 Millionen Euro bei Investoren ein. Im Fokus seiner SPAC stehen europäische Technologieunternehmen, die schnell wachsen und ein unverwechselbares Geschäftsmodell haben.

Auch Ex-Commerzbank-Chef Martin Blessing ist beim SPAC-Hype mit von der Partie. Im März brachte er in Amsterdam mit zwei anderen Ex-Bankmanagern mit der European FinTech IPO Company eine leere Unternehmenshülle an die Börse. Sie soll in Fintechs investieren. Andere bekannte Namen im SPAC-Markt sind beispielsweise Jean Pierre Mustier, Ex-Chef der italienischen Großbank Unicredit, Rolf Elgeti, Immobilieninvestor und Geldgeber des Fußballklubs Hansa Rostock, und Bernard Arnault, Großaktionär des Luxusgüterkonzerns LVMH und reichster Europäer. "Die SPAC-Aktivität in den USA ist im vergangenen Jahr explodiert, und wir erwarten, dass sich Börsengänge über diese Strategie im laufenden Jahr rasch über Europa verbreiten", sagt Pitchbook-Analyst Patel. SPACs hätten sich für viele Firmen, die an die Börse gehen wollen, als eleganter und flexibler Weg erwiesen.

So funktionieren die Wundertüten. Auch Anleger versprechen sich viel von SPACs - vor allem hohe Renditen. Ihr Kalkül: Verschmilzt eine Mantelgesellschaft mit einem Unternehmen, steigt der Börsenwert der neuen Gesellschaft, die dadurch entsteht. Schließlich soll es sich bei den Parkettneulingen um vielversprechende Firmen handeln. Dass diese Rechnung allerdings längst nicht immer aufgeht, zeigen Zahlen des "Wall Street Journal". Demnach verloren SPACs zwischen Januar 2019 und Juni 2020 in den sechs Monaten, nachdem sie die Fusion mit ihren Investmentkandidaten abgeschlossen hatten, im Schnitt zwölf Prozent an Wert. Der Nasdaq stieg in diesen 18 Monaten dagegen um rund 30 Prozent. Die Zahlen sind umso dramatischer, wenn man bedenkt, dass SPACs weniger für Langfristinvestoren gedacht sind, sondern für Anleger, die ihre Anteile nach einer Fusion gewinnbringend verkaufen.

Anleger haben beim Kauf nur wenige Möglichkeiten, die künftige Entwicklung einer SPAC einzuschätzen - ihr Übernahmeziel steht anfangs ja noch nicht fest. Sie haben maximal zwei Orientierungspunkte: die Branche, in die investiert werden soll - etwa Biotech, Fintech oder Mobilität -, und die Expertise der Initiatoren. Ein Blick auf die Erfolgshistorie der bisher getätigten Investments ist für Anleger daher unerlässlich. Hat ein SPAC-Initiator in der Vergangenheit gutes Gespür für Zukunftsthemen bewiesen, könnte sich auch sein Börsenmantel ein lohnendes Investment sein.

Eine SPAC können Investoren beim Börsengang meist für einen Startkurs von zehn US-Dollar kaufen. Vor der Übernahme eines Unternehmens können Aktionäre für oder gegen das ausgewählte Unternehmen stimmen. Mindestens 50 Prozent der Anteilseigner müssen einverstanden sein, damit die Übernahme zustande kommen kann. Wer mit dem Zielobjekt nicht einverstanden ist, kann seine Anteile zum Ausgabepreis zurückgeben - zumindest so lange, bis die Übernahme abgeschlossen ist. Danach verfällt das Rückgaberecht und Anleger haben dasselbe Risiko wie bei jeder anderen Aktie auch. Investoren bekommen ihr Geld auch dann zurück, wenn es den Initiatoren innerhalb der festgelegten Frist - die beträgt meist 24 Monate - nicht gelingt, eine geeignete Firma zu finden. Dann müssen die Initiatoren die SPAC liquidieren. Sie selbst gehen in diesem Fall leer aus.

Wenn es den Emittenten gelingt, in der vorgegebenen Zeit ein Zielunternehmen zu finden und zu übernehmen, löst dieses Unternehmen die SPAC an der Börse ab. Für SPAC-Emittenten ist der Anreiz für eine gelungene Übernahme groß: Sie erhalten üblicherweise steuerfrei 20 Prozent der Anteile an der übernommenen Firma. Für Anleger ergibt sich daraus ein Kostennachteil: Rechnet man die anfallenden Managementkosten von drei bis fünf Prozent dazu, zahlen Anleger quasi vorab eine Gebühr von 23 bis 25 Prozent. Diese müssen sie dann zunächst einmal durch einen steigenden Kurs aufholen.

Spannende Chancen, große Risiken. Viele SPAC-Anleger setzen große Hoffnungen in ihre Investition. Sie bekommen die Chance, in aussichtsreiche Firmen zu investieren, die bislang nicht an der Börse gelistet sind, und können im Idealfall von steilen Wertsteigerungen profitieren. "Normalerweise gibt es für Privatinvestoren kaum Möglichkeiten, sich an Unternehmen zu beteiligen, die noch nicht an der Börse sind", sagt Daniel Wild, Gründer und Chef der Beteiligungsgesellschaft Mountain Alliance. Üblicherweise picken sich finanzstarke Wagniskapitalgeber die Rosinen heraus. In spezielle Venture-Capital-Fonds wiederum sind Investitionen oft erst ab ein bis zwei Millionen Euro möglich. Wild selbst hat bereits im Jahr 2005 eine SPAC an die Börse gebracht. Angesichts des derzeitigen Booms wägt Mountain Alliance nun ab, es erneut zu probieren.

Obwohl viele SPACs noch in der Findungsphase sind, kann sich die Liste der Unternehmen, die in einem zuvor leeren Börsenmantel aufs Parkett kommen, sehen lassen: In den USA wagt sich zum Beispiel die Sammelkarten-Traditionsfirma Topps über die Fusion mit einer SPAC an die Börse. In Europa gab Flugtaxi-Entwickler Lilium im März bekannt, dass er mit der US-Mantelgesellschaft Qell Acquisition fusioniert. In Kürze soll die bayerische Firma an der US-Techbörse Nasdaq gelistet werden. Und Lakestar überlegt, den Airbnb-Konkurrenten Hometogo zu übernehmen. "Wir erwarten, dass bald weitere Aktivitäten folgen, trotz aktueller Unsicherheiten in Bezug auf die Performance und eine mögliche Übersättigung des globalen SPAC-Markts", sagt Nalin Patel, Private-Equity-Analyst beim Datenanbieter Pitchbook.

Leere Börsenmäntel bieten Anlegern allerdings nicht nur spannende Renditechancen, sondern bergen auch hohe Risiken. Größter Kritikpunkt an SPACs ist ihre Intransparenz. Privatanleger können nur schwer beurteilen, ob sich eine angepeilte Übernahme lohnt, da das ausgewählte Unternehmen keine Kurshistorie hat, die sie als Referenz heranziehen können. Anders als bei klassischen Börsengängen müssen Start-ups nicht einmal börsenreif sein. "Sämtliche Prognosen beruhen auf einem Blindflug", sagt Angelika Jackwerth, selbstständige Fachanwältin für Bank- und Kapitalmarktrecht.

Anleger müssen sich ganz auf die Urteilskraft der Initiatoren verlassen. Die könne allerdings durch Eigeninteressen getrübt sein, warnte die Bundesregierung kürzlich in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage einiger Grünen-Abgeordneter. Es sei sogar möglich, dass SPAC-Initiatoren aus Zeitdruck ein ungeeignetes Unternehmen für die Übernahme wählten. "Dieses Risiko ergibt sich insbesondere aus der Tatsache, dass der von den SPAC-Initiatoren angestrebte Gewinn nur bei einer erfolgten Übernahme einer Zielgesellschaft, nicht aber bei einer Liquidation realisiert werden kann", heißt es in dem Schreiben.

Wird eine SPAC liquidiert, kommt hinzu, dass das Geld, das Anleger zurückbekommen, unter dem Ausgabepreis liegen kann - selbst dann haben Anleger also Verlustrisiken. Grund dafür sind die Managementgebühren. In der Regel verpflichten sich Emittenten, das Kapital auf einem festverzinslichen Treuhandkonto zu parken. Diese Anlageform ist zwar sicher, holt die entstandenen Managementgebühren aber in Nullzinszeiten nicht herein. Allerdings können solche Vorgaben von Börsenplatz zu Börsenplatz variieren - das Kapital einiger SPACs wird nämlich in US-Staatsanleihen investiert. "Anleger sollten sich dringend über solche Einzelregulierungsfragen informieren und die AGB genau durchlesen", rät Fachanwältin Jackwerth. Das ist allerdings nicht immer einfach: "Die Prospekte sind verbraucherfeindlich gehalten und machen Risiken für Anleger schwer nachvollziehbar." Oft seien die Prospekte auf Englisch, und die Risiken in einem mehr als hundertseitigen Dokument irgendwo im Mittelteil versteckt. Die Anwältin wünscht sich daher neue Vorgaben für die Börsenmäntel: eine Kurzinformation in der Landessprache am Anfang jedes Prospekts, die Investoren die Risiken deutlich erklärt.

Ein Risiko, das Experten zumindest in Deutschland derzeit nicht sehen, ist die Gefahr einer Spekulationsblase, wie sie in den USA droht. Dort fanden laut SPAC Analytics rund 300 der 350 SPAC-Börsengänge in diesem Jahr statt. Es gibt sogar US-Börsenmäntel zu Hype-Themen wie Cannabis, Promis wie der Rapper Jay-Z oder Tennisstar Serena Williams rühren kräftig die Werbetrommel. Das garantiert Aufmerksamkeit, viele Nachahmer und immer neue Börsenmäntel, die Geld von Anlegern wollen. Mittlerweile werden Befürchtungen laut, dass es für die wachsende Zahl an US-SPACs gar nicht genügend Übernahmekandidaten gibt. Eine Blasenbildung schließen Branchenkenner daher nicht aus.

Viele Marktbeobachter gehen davon aus, dass die eher konservativen und risikoaversen deutschen Anleger sich der SPAC-Euphorie nicht im selben Maß hingeben wie US-Investoren. "Bevor der Trend in Deutschland richtig ankommen kann, wird die Blase in den USA längst geplatzt sein", prophezeit Wild. Privatinvestoren sollten sich ein Investment in SPACs trotzdem dreimal überlegen. "Ich rate davon ab", sagt Jackwerth sogar. Auch Daniel Wild hält Privatanleger nicht für die Zielgruppe von SPACs: "Das ist eine Hochrisikokategorie und sollte den Profis überlassen werden", sagt er.

Die Risiken im SPAC-Markt haben inzwischen die Aufsichtsbehörden auf den Plan gerufen. Die US-Börsenaufsicht SEC warnt Anleger davor, nur wegen der Prominenz des Initiators in einen Börsenmantel zu investieren, und rügte mehrere SPACs wegen zu offensiven Marketings. Darüber hinaus arbeitet sie an neuen Richtlinien für die Anlagevehikel. Auch deshalb ist die SPAC-Aktivität in den Vereinigten Staaten in den letzten Wochen etwas eingebrochen. Auch in Europa sind die Aufseher hellhörig geworden: Die europäische Wertpapieraufsicht ESMA kündigte im April an zu untersuchen, ob SPACs im Einklang mit den EU-Regularien stehen. Zum laufenden Prüfungsverfahren will sich die Behörde nicht äußern. Sollte das Ergebnis zuungunsten der SPACs ausfallen, könnte der Hype auch in Europa einen empfindlichen Dämpfer bekommen.