Immer mehr Analysten raten dazu, die Kurssprünge mit Vorsicht zu genießen. Vor allem die Wall Street, die den Dax mit nach oben gezogen hat, scheint heißgelaufen. Auch Deutsche-Bank-Chef John Cryan sieht in Folge der jahrelangen Niedrigzins-Politik der Notenbanken Anzeichen von Spekulationsblasen bei Aktien, Anleihen und Immobilien. Die europäische Finanzmarktaufsicht (ESMA) warnte ebenfalls vor Risiken. EZB-Ratsmitglied Ewald Nowotny sieht vor allem am US-Aktienmarkt eine erhöhte Gefahr für Abstürze, eine generelle Überbewertung an Europas Börsen sei noch nicht in Sicht. Auch EZB-Chef Mario Draghi gibt sich diesbezüglich gelassen. Erstklassige Gewerbeimmobilien seien der einzige Bereich mit überdehnten Preisen, meinte er kürzlich.
Fakt ist: Die Zinspolitik der Notenbanken hat in zahlreichen Anlageklassen zu kräftigen Preisschüben geführt. Seit 2009 sind die Geldhähne weit geöffnet. Die US-Notenbank Fed, die Europäische Zentralbank und die Notenbanken Großbritanniens und Japans pumpten seither Billionen in den Geldkreislauf.
Auf Seite 2: NOCH LUFT NACH OBEN
NOCH LUFT NACH OBEN
Aktienanleger fragen sich, wie lange die Party an den Börsen noch anhält und ob der Zeitpunkt für einen Ausstieg nicht schon gekommen ist. Aus kurzfristiger Sicht mag es richtig sein, erst einmal Kasse zu machen, meint Martin Hüfner, Chefvolkswirt des Vermögensverwalters Assenagon. Langfristig hingegen seien die fundamentalen Faktoren nach wie vor gut. Die Konjunktur laufe rund, daran werde sich auf absehbare Zeit nichts ändern. "Die Überbewertungen in anderen Asset-Klassen, vor allem in Bonds sind viel größer", betont Hüfner.
Neben dem zuletzt wieder etwas schwächeren Euro setzen die Anleger vor allem auf eine starke US-Konjunktur. "Geopolitische Risiken werden immer stärker ignoriert", sagt Anlagestratege Tobias Basse von der NordLB. Das könnte sich jedoch ändern, sollten die Krisen in Nordkorea und Katalonien eskalieren. Störfeuer könnten auch von der Fed kommen, die mit höheren Zinsen auf das von den Börsen momentan gespielte Szenario eines stärkeren Wachstums in den USA reagieren könnte. "Damit scheinen vor allem nordamerikanische Aktien inzwischen recht ambitioniert bewertet zu sein."
Vergleicht man das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) zwischen den Kontinenten bleibt dem Dax noch Luft nach oben. Nach Reuters-Daten liegt sein KGV derzeit bei knapp 14 - der Kurs der 30 im deutschen Leitindex gelisteten Unternehmens-Papiere übertrifft also den Gewinn je Aktie um das 14-fache. Das ist sogar unter dem langjährigen Mittel von rund 15. Zum Vergleich: In Zeiten der Internet-Blase zur Jahrtausendwende lag das KGV etwa doppelt so hoch.
An der New Yorker Wall Street laufen die Aktienkurse den Unternehmensgewinnen hingegen davon. Der Blick zurück zeigt, dass nur in kurzen Phasen die KGVs jemals höher waren als momentan. "Fundamental sind Bewertungen vorzufinden, die sonst nur in einem Fünftel der Geschichte der Wall Street zu beobachten waren", sagt Stratege Jochen Stanzl von CMC Markets. Fiskalpolitisch sorgten zwar die Steuerpläne der Trump-Regierung für gute Stimmung, allerdings sei die Frage nach der Finanzierbarkeit nicht geklärt. Beim US-Standardwerteindex Dow Jones liegt das KGV bei 20,6 und beim breit gefassten S&P 500 sogar bei 22,5. Damit rangieren beide ebenfalls über ihrem langjährigen Durchschnitt.
VERZERRUNGEN AN DEN BONDMÄRKTEN
Ein Großteil des billigen Notenbank-Geldes fließt in die Anleihemärkte. Allein das Kaufprogramm der EZB umfasst 2,3 Billionen Euro. Dies drückt die Verzinsung auf Rekordtiefs. Nach Berechnungen der Vermögensverwaltung der US-Bank JP Morgan rentieren rund 36 Prozent der Staatsanleihen in der Euro-Zone unter Null. Es sei schwer zu leugnen, dass es überzogene Preise gebe, sagt der auf Bonds spezialisierte Vermögensverwalter Iain Stealey von JP Morgan Asset Management. "Es gibt Länder, die im Jahr nominal an die vier Prozent wachsen und deren Staatsanleihen einen Negativ-Zins haben. Da gibt es ein Missverhältnis."
Der Einfluss der EZB wird unter anderem bei Italien deutlich. Die zehnjährigen Anleihen des Landes, das volkswirtschaftlich als eines der schwächsten Glieder in der Euro-Zone gilt, warfen in den vergangenen Jahren meist weniger ab als US-Staatspapiere. Zum Höhepunkt der Finanzkrise hatten sie bei 7,5 Prozent rentiert. Momentan liegen die Renditen mit 2,2 beziehungsweise 2,3 Prozent nahezu gleichauf.