Mit Stemmer Imaging ist das Ende der Extrascheibe Aufschnitt im Supermarkt gekommen. Früher legten die Anbieter nämlich immer etwas mehr Wurst oder Käse in ihre Packungen, um sicherzustellen, dass die Mengenangaben erreicht werden. Stemmers Lösungen zur Bilderkennung erfassen mittels 3-D-Vermessung selbst kleinste Grammabweichungen.

Produkte dieser Art helfen ganze Fertigungen zu automatisieren und machen das Unternehmen in Puchheim bei München zum Lieferanten einer Boombranche. "Ohne unsere Kernkomponenten funktioniert die Industrie 4.0 nicht", erklärt Finanzvorstand Lars Böhrnsen selbstbewusst. Bei diesem Megatrend geht es darum, Maschinen und Fertigungsstraßen über das Internet zu vernetzen. So sollen aus Fabriken selbstständige und vollautomatisierte Produktionsstätten werden.

Die Entwicklung wird seit einiger Zeit forciert, dennoch kommt das Thema, zumindest nach Böhrnsens Wahrnehmung, erst seit Kurzem so richtig in den Unternehmen an. "Die Technologie hat den Wendepunkt zur Massenanwendung gerade erst überschritten."

Für Wachstum setzt Stemmer aber nicht nur auf die Nachfrage aus der Industrie: Übernahmen sollen das Expansionstempo beschleunigen. Möglich macht das der von Primepulse angestoßene Börsengang. Hinter dem Investor steht das Family Office der Cancom-Gründer Klaus Weinmann sowie Raymond und Stefan Kober. Die IT- und Cloud-Computing-Experten übernahmen 2017 die Mehrheit des früheren Familienunternehmens. Anfang dieses Jahres brachten sie Stemmer an die Börse und erlösten brutto 51 Millionen Euro. Mit dem Geld wollen die Bildexperten die Einkaufstour der vergangenen Jahre fortsetzen. Seit 2012 schlug Stemmer bereits fünfmal in Skandinavien sowie in den Niederlanden und jüngst in Frankreich zu.

Synergien als Marktführer



Übernommen wurden stets Vertriebsorganisationen. Stemmers Kernmärkte sind Deutschland, Österreich und die Schweiz. In den fragmentierten Märkten anderer Länder ist man bereits mit Umsätzen von weniger als zwölf Millionen Euro der größte Anbieter. Das heißt, relativ kleine Zukäufe ermöglichen die Marktführerschaft - und das Heben von Synergien. Die neuen Tochterfirmen können Verwaltungskosten sparen, Mengenvorteile im Einkauf nutzen und mit der verbreiterten Produktpalette neue Kunden ansprechen.

Meist gelingt es Stemmer auf diese Weise, binnen weniger Jahre den Umsatz der zugekauften Firmen zu verdoppeln und die operative Marge zu steigern - in den Niederlanden zum Beispiel von zwei auf acht Prozent. Aktuell dürften noch über 40 Millionen Euro für die weitere Expansion bereitstehen. Inzwischen kann sich Stemmer auch vorstellen, andere Produktanbieter zu übernehmen. Für die nächsten ein bis zwei Jahre haben die Bayern vier weitere Übernahmeziele in Europa mit Umsätzen von fünf bis über 30 Millionen Euro auf der Akquisitionsagenda.

Wie gut die zweigleisige Strategie funktioniert, zeigt die mit den Neunmonatszahlen angehobene Prognose. Demnach sollen die Einnahmen im seit dem 30. Juni beendeten Geschäftsjahr 2017/18 bei 99 bis 101 Millionen Euro liegen. Am oberen Ende der Zielspanne läge das Umsatzplus bei gut 14 Prozent. Wird auch das Ebitda-Ziel von 10,8 bis 11,3 Millionen Euro erreicht, hätte sich zudem die Marge um mindestens 2,5 Prozentpunkte verbessert. Da der Jahresabschluss erst für den 24. Oktober geplant ist, scheinen vorläufige Zahlen im September wahrscheinlich. Für Aktionäre kann es dann sogar noch eine Extrascheibe geben.



Auf Seite 2: Interview mit Finanzvorstand Lars Böhrsen





Interview: "Mehr Software bedeutet mehr Marge"

Stemmer will zukaufen, aber auch organisch wachsen. Was der Börsenneuling aus eigener Kraft schafft und wie die Gewinnspanne gesteigert werden soll, erklärt Finanzchef Lars Böhrnsen.

Börse Online: Aus Ihrer Sicht nimmt die Industrie 4.0 gerade erst Fahrt auf. Woran merken Sie das?


Lars Böhrnsen: An der Nachfrage. Nehmen Sie allein die Prognose des Verbands der Deutschen Maschinenbauer, der sah für Industrie-4.0-Anwendungen Anfang 2017 ein Wachstum von maximal zehn Prozent voraus. Jetzt zeigt sich, dass das Plus 2017 eher bei 13 bis 14 Prozent lag. Diese Entwicklung hält an. In diesem Jahr verzeichnen wir sogar ein noch stärkeres Anspringen der Nachfrage.

Weil Sie erneut zugekauft haben?


Wir wachsen auch aus eigener Kraft. In den vergangenen Jahren legte der Umsatz organisch im Schnitt um neun Prozent zu. Weitere drei Prozent stammten aus unseren Akquisitionen. Unter Berücksichtigung der Neunmonatszahlen dürfte das organische Plus in unserem am 30. Juni beendeten Geschäftsjahr 2017/2018 sogar im prozentual leicht zweistelligen Bereich liegen.

Sie bauen aus Kameras und weiteren Komponenten größere Systeme. Schrauben Sie letztlich nur fertige Einzelteile zusammen?


Wir tun weit mehr als das. Ja, wir kaufen die meisten unserer Komponenten zu, diese werden dann jedoch, je nach Kundenbedarf, für ganz spezifische Anwendungen konfiguriert. Damit schaffen wir einen wirklichen Mehrwert für unsere Kunden. Zudem bieten wir eine eigenentwickelte Software zur Bilderkennung, Serviceleistungen und selbst hergestellte Hochleistungskabel an.

Welchen Umsatzanteil hat das Hardware-, welchen das Softwaregeschäft?


Etwas mehr als zehn Prozent unseres Umsatzes entfallen auf Software, Service und Kabel. Mittelfristig wollen wir diesen Anteil signifikant steigern, indem wir die Bereiche Software und Consulting zukünftig noch stärker gewichten.

Warum?


In diesen Bereichen müssen wir die Margen der Zulieferer nicht bezahlen, haben also selbst eine höhere Gewinnspanne. Das gilt insbesondere für Software und Service. Steigt hier der Umsatzanteil, steigt auch die Gesamtmarge von Stemmer Imaging.

Lars Böhrnsen ist seit 2013 als Finanzvorstand von Stemmer Imaging für Zukäufe und Internationalisierung verantwortlich.