Bei Thyssenkrupp Steel Europe würden alle Optionen geprüft - neben der Fortsetzung in Eigenregie auch eine Fusion, eine Übernahme oder die Abgabe der Mehrheit. Damit rüttelt Merz an den Wurzeln des über 200 Jahre alten Ruhrkonzerns. Aber nicht nur in Duisburg - dem größten Stahlstandort Europas - laufen die Geschäfte derzeit schlecht. Thyssenkrupp schreibt insgesamt hohe Verluste und kämpft mit einem Schuldenberg.
Merz hatte im vergangenen Oktober die Nachfolge des glücklosen Guido Kerkhoff angetreten und für Mai eine neue Strategie angekündigt. "Wir haben schwierige und längst überfällige Entscheidungen getroffen", hatte Merz am Montagabend nach einer Sitzung des Aufsichtsrats erklärt. "Thyssenkrupp wird kleiner, aber stärker aus dem Umbau hervorgehen." Der Konzern werde sich zu einer Unternehmensgruppe wandeln. "Wir haben in den vergangenen Monaten jeden Stein umgedreht und uns das individuelle Entwicklungspotenzial der Geschäfte für Thyssenkrupp sehr genau angesehen", sagte Merz.
MITARBEITERZAHL WIRD WOHL UNTER MARKE VON 100.000 SINKEN
Künftig soll es zwei Einheiten geben. Eine Gruppe besteht dabei aus Geschäften, die bei Thyssenkrupp nicht recht laufen und deshalb auf die Abschussliste kommen. Dazu gehören etwa der Anlagenbau, das Edelstahlwerk im italienischen Terni (AST) sowie der Bereich Federn und Stabilisatoren. Für diese strebt Thyssenkrupp Partnerschaften oder einen Verkauf an. Andere wie die Produktion von Grobblech droht die Schließung. Insgesamt gehören zu dieser Art "Bad Bank" Geschäfte mit einem Umsatz von sechs Milliarden Euro und 20.000 Mitarbeitern. Derzeit hat Thyssenkrupp noch rund 160.000 Beschäftigte. Rund 50.000 werden mit der veräußerten Aufzugssparte den Konzern verlassen. Die Einnahmen aus dem 17,2 Milliarden Euro schweren Verkauf erwartet Merz noch im Sommer.
Festhalten will sie am Werkstoffhandel, dem Geschäft mit Industriekomponenten und Teilen für Automobilindustrie. Herzstück des Konzerns ist jedoch die Stahlsparte mit 27.000 Mitarbeitern, von denen die meisten in der IG Metall organisiert sind. "Wir haben Überkapazitäten in Europa, die allen wehtun", sagte Merz. Zugleich müssten hohe Summen in eine CO2-freie Produktion investiert werden. Auch die Corona-Krise verstärke den Druck. Eine deutsche Lösung sei eine Option, Thyssenkrupp führe aber Gespräche in alle Richtungen.
Seit Jahren gibt es in der Branche Spekulationen über die Gründung einer "Deutschen Stahl AG". Beim deutschen Branchenzweiten, der Salzgitter AG, trifft diese jedoch bislang auf Ablehnung. Thyssenkrupp ist daher Insidern zufolge auch mit dem schwedischen Konkurrenten SSAB, Baosteel und erneut Tata Steel Europe im Gespräch. Eine Fusion mit Tata war vor einem Jahr am Widerstand der EU-Wettbewerbshüter gescheitert. Die IG Metall hat sich für eine deutsche Lösung ausgesprochen. Bei einem Deal mit einem ausländischen Konkurrenten müsse die Mehrheit in Deutschland bleiben, fordert die Gewerkschaft.
Nicht nur beim Stahl, auch beim Marineschiffbau sucht Thyssenkrupp Allianzen. Vorstandsmitglied Oliver Burkhard sagte, man wolle mit der Bremer Lürssen-Werft einen nationalen Champion schmieden, führe aber auch Gespräche mit dem italienischen Konkurrenten Fincantieri.
An der Börse kamen die Umbaupläne gut an. Die Thyssenkrupp-Aktie legte zeitweise um mehr als fünf Prozent zu. Merz habe die Schwächen des Konzerns deutlich gemacht und adressiert. Keiner Sparte werde mehr erlaubt, dauerhaft Geld zu verbrennen, erklärten die Experten von Jefferies.
rtr