Twitter: Als Jack Dorsey 2015 auf den Chefsessel des Kurznachrichtendiensts zurückkehrte, wurde der kauzige Asket regelrecht gefeiert. Jetzt ist er weg. Wie es unter Nachfolger Parag Agrawal weitergeht. Von Klaus Schachinger
Er gilt als Kultfigur, Selfmademilliardär und trotz seines Reichtums als wunderlicher Asket. Lange Zeit war Jack Dorsey auch der Hoffnungsträger aller Aktionäre des Kurznachrichtendiensts Twitter, dessen Börsenperformance nicht im Entferntesten an die anderer US-Tech-Granden anknüpfen konnte.
Seit Montag vergangener Woche ist der 45-Jährige nicht mehr Vorstandschef von Twitter. Der Druck des Hedgefonds Elliott Management, dessen Strippenzieher Paul Singer im Ruf eines gnadenlosen Radikalsanierers steht, zwang den Unternehmensmitgründer zum Rücktritt. Sein Nachfolger wird der bisherige Technologiechef Parag Agrawal, was die Börse nach zunächst deutlicher Erholung mit einem weiteren Kursrutsch quittierte.
Agrawal und der designierte Verwaltungsratsvorsitzende Bret Taylor, Co-Chef des Cloud-Software-Pioniers Salesforce, seien "die richtigen Anführer", teilte Elliott mit. Selbst Dorsey rollt Agrawal den roten Teppich aus: Er sei "neugierig, kreativ, anspruchsvoll, selbstbewusst, bescheiden und forscht rational. Er führt mit Herz und Seele." Der 37-jährige Inder ist der jüngste Chef eines S & P-500-Konzerns.
Der bisherige Technologiechef ist mit allen Projekten vertraut, die Twitter technologisch an die Spitze der sozialen Netzwerke führen sollen. Bluesky zum Beispiel: Seit 2019 entwickelt Twitter unter Führung von Agrawal einen offenen, dezentralisierten Standard auf der Grundlage der Blockchain-Technologie. Dieser Ansatz, sogenannte Open-Source-Software, ist die Basis für viele webbasierte Technologien. Das erinnert an das Credo des ebenfalls aus Indien stammenden Microsoft-Chefs Satya Nadella, der den Riesen in die Erfolgsspur zurückführte.
Agrawal muss nun die ehrgeizigen Wachstumsziele erfüllen, die sich Twitter nach dem Einstieg des Finanzinvestors Elliott im vergangenen Jahr gesetzt hatte. 2023 will das Unternehmen mindestens 7,5 Milliarden Dollar erlösen, mehr als doppelt so viel wie 2020. Gleichzeitig soll die Anzahl der Nutzer jährlich um ein Fünftel zulegen. Aktuell hat Twitter weltweit 206 Millionen aktive Nutzer.
8,6 Milliarden Dollar in der Kriegskasse
Für das laufende Geschäftsjahr erwarten Analysten im Schnitt etwas mehr als fünf Milliarden Dollar Umsatz, 37 Prozent mehr als 2020. Twitter hat eine schuldenfreie Bilanz und 8,6 Milliarden Dollar an Cashreserven. Insofern hinterlässt Dorsey seinem Nachfolger ein bestelltes Feld.
Dorsey selbst kann sich nun ganz auf sein zweites Unternehmen konzentrieren: den Bezahldienstleister Square, den er ebenfalls gegründet hat und nun in "Block" umbenennen will. Nach dem jüngsten Kurseinbruch sind beide Aktien hochinteressant, wobei in Twitter langfristig mehr Potenzial stecken dürfte. Der Kurs steht aktuell niedriger als im Sommer 2018, was einiges an Nachholpotenzial verspricht.
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