Man muss kein begabter Marktexperte sein, um zu wissen: Wenn die Gewinne der Unternehmen steigen, dann steigen auch die Aktienkurse. Denn in der Börsennotierung spiegeln sich Unternehmenswert und künftige Gewinnerwartung wider. Und anders herum: Stagnieren die Gewinne, dann geht es auch bei den Kursen nicht so recht weiter aufwärts.
So weit, so simpel. Blickt man auf die erwartete Gewinnentwicklung der Unternehmen, dann müsste das Aktienjahr 2020 tendenziell unspektakulär, wenn nicht gar langweilig verlaufen. Denn die Analystengemeinde schätzt, dass die Profite der Unternehmen im Durchschnitt nur um drei Prozent steigen - im gesamten Jahr wohlgemerkt. Das ist angesichts der konjunkturellen Abflachung der vergangenen Monate weder besonders überraschend noch besonders negativ. Anleger sollten sich von den vergleichsweise geringen Gewinnschätzungen aber nicht entmutigen lassen. 2019 war ein hervorragendes Aktienjahr, obwohl die Gewinne allenfalls leicht zulegten.
Also keine Sorge! Anlegern droht auch im Aktienjahr 2020 wenig Langeweile. Es könnte im Gegenteil sogar sehr spannend werden. Denn einige Variablen halten die Märkte im Jahr 2020 am Laufen - allen voran die Bewertung. Sie eignet sich auch in Zeiten stagnierender Gewinne als sehr guter Gradmesser dafür, wohin die Reise geht. Vereinfacht ausgedrückt: Ist eine Aktie günstig, lohnt sich der Einstieg. Ist sie teuer, eher nicht. Eine zentrale Kennziffer, die dafür zu Rate gezogen wird, ist das sogenannte Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV). Diese Kennziffer ist für die Analyse des Ist-Zustands interessant, aber vor allem mit Blick auf die Zukunft eine hochrelevante Ziffer.
Sichern sich Anleger in mauen Zeiten Titel mit attraktiver Bewertung, sind sie für die Zeit besser positioniert, wenn die Gewinne wieder anziehen. Denn anziehen werden sie eher früher als später. Bereits jetzt sind immer häufiger gute Nachrichten mit Blick auf die globale Konjunktur zu vernehmen. 2020 könnte ein Übergangsjahr werden, bevor 2021 die Wirtschaftsdynamik wieder Fahrt aufnimmt. Auch die erste Einigung im Handelsstreit könnte der Ertragslage der Unternehmen dienen.
Daher sollte man sich als Anleger bereits jetzt Gedanken machen, welche Adressen davon am meisten profitieren. Das werden mutmaßlich diejenigen sein, die ein starkes Geschäftsmodell mit einem erstklassigen Management und einer starken Produktpalette kombinieren. Diese Adressen sind selten zu einem Schnäppchenpreis zu haben, werden aber in Zeiten stagnierender Gewinne oft mit einem Abschlag gehandelt. Dann sollte man als langfristig orientierter Investor zugreifen.
Aktiv nach den Kursgewinnern der nächsten Hausse suchen
Mindestens ebenso wichtig ist, eines nicht zu übersehen. Stagnieren die Gewinne in Summe, kann das zwar auf Ebene eines breiten Aktienindex für miese Stimmung sorgen. Allerdings gibt es in jeder Marktphase Unternehmen, die in der Lage sind, ihre Marktposition auszubauen, die Gewinne zu steigern und noch besser aufgestellt zu sein für die Zeit, in der der breite Markt nachzieht. Anders ausgedrückt: In Jahren, in denen fast alle Unternehmen in einer komfortablen Gewinnsituation sind, können Anleger möglicherweise einfacher Geld verdienen. Doch die wirklichen Schnäppchen macht man in der Phase, in der die Gewinne stagnieren, die Bewertungen nicht mehr überbordend hoch sind und die besten Unternehmen sich bereits für den nächsten Aufschwung rüsten.
Die fundierte Analyse, der direkte Zugang zum Management und die vertiefte Kenntnis von Branchen und Märkten gewinnt deshalb in einer Zeit an Relevanz, in der die Investoren stärker differenzieren und der Herdentrieb bei der Geldanlage an Bedeutung verliert. Der Anlageerfolg hängt also nicht zuletzt sehr stark an dieser Expertise. Die Titel mit den besten Ausgangsbedingungen lassen sich freilich nicht über passive Anlagestrategien finden. Aber wer sich aktiv und mutig im Markt bewegt, der wird auch in Phasen der vermeintlichen Langeweile etliche gute Anlageziele identifizieren können.
Kurzvita
Benjardin Gärtner
Leiter des Portfoliomanagement Aktien bei Union Investment
Der gelernte Bank- und Diplomkaufmann
war zuvor bei der Deutschen Bank als Co-Head des deutschen Aktienteams tätig. Weitere Stationen verbrachte Gärtner bei
der Allianz sowie bei Goldman Sachs. Union Investment ist die Fondsgesellschaft der Volks- und Raiffeisenbanken und mit rund 350 Milliarden Euro verwaltetem Vermögen einer der größten deutschen Vermögensverwalter.