Erlebt die Biotech-Branche gerade einen Crash? Mitte September hatte Roche-Chef Severin Schwan vor einer Überhitzung des Sektors gewarnt: "Ich denke, die Blase wird irgendwann platzen", sagte der Topmanager des Schweizer Pharmakonzerns in einem Reuters-Interview. Nun mehren sich die Zeichen, dass daraus Wirklichkeit wird. Der Nasdaq Biotechnology Index fiel am Montag um sechs Prozent. Damit hat das US-Branchenbarometer in der zweiten Jahreshälfte bislang 20 Prozent verloren. In den ersten sechs Monaten dagegen war es noch um 21 Prozent gestiegen.

Seitdem die US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton in der Vorwoche angekündigt hat, dem "Wucher" im Arzneimittelsektor ein Ende zu bereiten, grassiert die Furcht vor noch mehr politisch erzwungenen Preisnachlässen. Eine staatliche Einmischung könnte die Gewinne der Unternehmen schmälern. Viele Anleger erfasste daher am Montag die Panik.

Härter als alle anderen erwischte es die Aktie von Valeant Pharmaceuticals. Nachdem US-Abgeordnete der Demokratischen Partei die "massiven" Preiserhöhungen für zwei Herz-Medikamente kritisiert hatten, stürzten die Papiere des kanadischen Pharmakonzerns um fast 17 Prozent auf 166,50 US-Dollar ab. Dabei hatten sie bereits in der Vorwoche rund 20 Prozent abgegeben.

"Wir wurden besonders hart getroffen worden", schrieb Firmenchef Mike Pearson in einem Brief an seine Mitarbeiter. Die Bedenken der Anleger, das Geschäftsmodell und die Strategie von Valeant hingen von starken Preiserhöhungen im US-Pharmageschäft ab, seien aber "unangebracht", so der Manager. Das gelte ebenso für die Sorgen vor Rabattverordnungen durch die US-Regierung.

Valeant sei "gut aufgestellt" für starkes organisches Wachstum, auch unter der Annahme niedriger oder keiner Preissteigerungen. Das Unternehmen werde sich weiter auf private Kunden auf der ganzen Welt fokussieren, um die Auflagen in den USA zu umgehen. Man habe bislang konsequent profitables Wachstum angestrebt und dafür auf Diversifikation, starkes Management und Kostendisziplin gesetzt. Gleichzeitig seien die Belastungen durch Kurswechsel in der Politik verringert worden. Dadurch unterscheide sich Valeant von vielen anderen traditionellen Pharmakonzern, was oft für Missverständnisse sorge. Der Wert des Unternehmens solle weiter gesteigert werden - zum einen durch die Entwicklung "hochqualitativer" Produkte wie "Jublia", zum anderen durch Zukäufe wie Salix.

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Warum die Anlegersorgen unangebracht sind



In seinem Brief an die Mitarbeiter lieferte Pearson recht überzeugende Argumente gegen die Sorgen an der Börse. Hier die wichtigsten Eckpunkte des Konzernchefs:

  • Preiserhöhungen

    : Für 2016 erwarte Valeant rund 30 Prozent des Umsatzes außerhalb der USA, wo die Nettopreise bislang kaum angehoben worden sei. In einigen Quartalen seien die Preise sogar gefallen. 20 Prozent dürfte das US-Geschäft mit Kontaktlinsen, chirurgischen Geräten und Generika erzielen, wo sich ebenfalls nur geringe oder keine Preissteigerungen abzeichneten. Zehn Prozent dürfte die Neurologie-Sparte beisteuern. Dort seien die Preise in der Vergangenheit zwar erhöht worden, der gesamte Bereich solle jedoch schrumpfen. Jeweils 20 Prozent dürften Dermatologie/Augenheilkunde/Zahnmedizin und der 14,5 Milliarden Dollar schwere Zukauf Salix liefern. Beide Sparten sollen prozentual zweistellig wachsen.


  • Rabattverordnungen

    : Momentan fielen bei Valeant nur Produkte unter die Rabattverordnungen, die an Gesundheitsdienste für Bedürftige, die Behörde für Kriegsveteranen und das Verteidigungsministerium verkauft würden - ein Geschäft, das ohnehin kaum profitabel sei. Insgesamt belaufe sich der Anteil dieser Produkte am Gesamterlös auf 15 Prozent. Langfristig sollten die damit verbundenen Preisnachlässe minimiert werden.


  • Wachstum

    : Für das dritte Quartal erwartet Pearson weiterhin ein prozentual zweistelliges organisches Wachstum und eine "starke finanzielle Leistung" - trotz der Markteinführung von Generika, die auf Targretin" und "Xenazine" basieren, zwei der wichtigsten Produkte im Portfolio von Valeant. Für das restliche Jahr blieben die Fundamentalkennzahlen "stark". Zudem sei auch für 2016 und die Zeit danach mit einem prozentual zweistelligen organischen Wachstum zu rechnen, während sich Valeant für den Verkaufsstart von "Addyi" vorbereite und die Zulassung weiterer potentieller Produkte wie "Veseno", "Relistor Oral" und "Brudalumab" erwarte.


  • Beeindruckende Erfolgsstory



    Pearsons hat sich in der Branche eine hohe Reputation erarbeitet. Seine Versprechen sind daher durchaus ernst zu nehmen. Der Topmanager blickt auf eine beeindruckende Erfolgsstory bei Valeant zurück. Seit seinem Antritt als Konzernchef im Februar 2008 hat Valeant den Umsatz im Durchschnitt jährlich um 52 Prozent gesteigert. 2014 legten die Erlöse um 43 Prozent auf 8,3 Milliarden Dollar zu, der Nettogewinn belief sich auf 914 Millionen Dollar. Im Vorjahr hatte unterm Strich noch ein Verlust von 866 Millionen Dollar gestanden.

    Mit der 14,5 Milliarden Dollar schweren Übernahme von Salix im Februar 2015, dem bislang teuersten Zukauf der Firmengeschichte, hat Pearson erneut gezeigt, dass er seine Wachstumsstrategie für Valeant konsequent fortsetzt. Durch die Akquisition erhofft sich Valeant vom ehemaligen US-Rivalen jährliche Einsparungen von mehr als 500 Millionen Dollar. Zudem rechnet der Konzern mit zusätzlichen Erlösen durch das Medikament "Xifaxan" gegen das Reizdarm-Syndrom.

    Dass Valeant keine unbekannte Größe ist, zeigt auch das Engagement der US-Hedgefondsmanager Bill Ackman, Jeff Ubben und John Paulson. Ackman, der größte Aktionär, verglich das Unternehmen sogar mit Warren Buffetts Beteiligungsgesellschaft Berkshire Hathaway - auch wenn das sicher übertrieben ist. Nach dem Absturz an der Börse stellt sich die Frage, ob die Starinvestoren weiter auf Valeant setzen oder aussteigen.

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    Was Anleger tun können



    Nach Einschätzung von Analysten eröffnet der heftige Kursverlust bei Valeant die ideale Einstiegsgelegenheit. Alle zehn Experten, die seit Montag einen Kommentar abgeliefert haben, plädieren für "Kaufen". Die Kursziele reichen von 275 bis 300 Dollar. Nimmt man letzteren Wert als Höchstmarke, ergibt sich auf Basis des aktuellen Kurses von 178 Dollar ein Kurspotenzial von 65 Prozent.

    BÖRSE ONLINE sieht ebenfalls Chancen, allerdings warnen wir vor zu viel Euphorie. Grundsätzlich bleiben wir bei unserer Einschätzung, die wir nach der Übernahme der US-Firma Sprout abgegeben hatten: Spekulanten können einsteigen, Investierte können die Aktie halten. Beide Anlegertypen sollten in jedem Fall eine sehr hohe Risikobereitschaft mitbringen - auch wenn Valeant-Chef Pearson überzeugende Argumente dafür liefert, dass die Panik an der Börse unangebracht war.



    Mit einem 2016er-Kurs-Gewinn-Verhältnis von 11 ist Valeant derzeit günstig zu haben. Zudem ist der seit mehr als vier Jahren anhaltende langfristige Aufwärtstrend immer noch intakt. Aufgrund der veränderten politischen Rahmenbedingungen senken wir aber den Stoppkurs von 195 auf 140 Dollar und unser Kursziel von 280 auf 220 Dollar. Sollten die Aktie diesen Wert erreichen, entspräche das einem ordentlichen Zuwachs von rund 24 Prozent. Damit fahren Anleger vorsichtiger als, wenn sie auf die deutlich optimistischeren Zahlen der Analysten schielen.