Seit mehr als zehn Jahren befinden sich die Börsen in einem Bullenmarkt. In dieser Zeit war zwar auch mit Value-Aktien Geld zu verdienen, trotzdem war die zurückliegende Dekade für Anhänger des wertorientierten Anlegens keine leichte Zeit. Schließlich sind sie davon überzeugt, dass ihr bevorzugter Anlagestil allen anderen langfristig überlegen sei. Seit geraumer Zeit geht diese Theorie aber nicht mehr auf.

Das bestätigt ein Blick auf die entsprechenden MSCI-Aktienindizes. Ende November kommt der MSCI World Value Index auf Sicht von zehn Jahren auf ein Plus von im Schnitt 8,4 Prozent per annum. Der MSCI World Growth Index brachte es dagegen gleichzeitig auf jährlich 11,45 Prozent. Für den MSCI World Momentum Index stehen sogar 13,55 Prozent zu Buche und für den MSCI World Quality Index 12,55 Prozent. Damit belegt Value in diesem Zeitraum unter den vier wichtigsten Anlagestilen den letzten Platz.

Der Vermögensverwalter Franklin Templeton Investments erklärt: "Das Anlegen in Substanzwerten ist seit zehn Jahren außer Mode, weil die Anleger vor dem Hintergrund langsamen Wirtschaftswachstums, technologischer Innovationen, von Umwälzungen, eines geringen Inflationsdrucks und niedriger Zinsen Wachstumswerte bevorzugen. In der Vergangenheit gab es drei nennenswerte Phasen, in denen sich Substanzwerte schlechter entwickelten als Wachstumswerte: in den 1930er-Jahren, im Vorfeld der Dotcom-­Krise in den 1990er-Jahren und in den vergangenen zehn Jahren."

Jüngst sendete die Strategie aber ein Lebenszeichen. Seit August warten als unterbewertet eingestufte Titel mit relativer Stärke auf. Eingefleischte Value-Anhänger hoffen daher auf die ersehnte langfristige Trendwende. Auch JP Morgan rät derzeit zu einer Übergewichtung von Value und einer Untergewichtung von Momentum. Goldman Sachs setzt dagegen unverändert auf Growth, also Wachstum. Die US-Investmentbank begründet das damit, dass Growth-Aktien im vorherrschenden Umfeld im Schnitt eine fast doppelt so hohe Eigenkapitalrendite generieren wie Value-Aktien. Führende Marktteilnehmer sind sich also nicht einig, welcher Anlagestil künftig zu bevorzugen ist.

Seit 2009 sind Wachstumswerte deutlich teurer als die vernachlässigten Value-­Aktien. Das gilt sowohl auf absoluter als auch auf relativer Basis. So gibt der Index­betreiber MSCI das geschätzte KGV für den World-Value-Index mit 13,1 an. Beim Growth-, dem Momentum- und dem Quality-Index belaufen sich die geschätzten KGVs dagegen auf 22,8, 23,3 und 19,6. In Europa hat die Unterbewertung von Value gegenüber Growth im relativen Vergleich laut dem Vermögensverwalter StarCapital in Europa jüngst die Extremniveaus aus dem Jahr 2000 erreicht.

In den USA sieht es nach Angaben des US-Vermögensverwalters CFRA nicht anders aus. Wie der Anlagestratege Sam Stovall vorrechnet, kam der Index S & P 500 Value Ende November auf einen Abschlag von elf Prozent, verglichen mit seinem durchschnittlichen KGV seit 2003. Der S & P 500 Growth Index kam dagegen auf eine Bewertungsprämie von 15 Prozent.

Konjunktur und Anleihen


Wann es wieder zu einer nachhaltigen Wachablösung zugunsten von Value kommen, ist schwer zu prognostizieren. Das zeigt sich auch daran, dass Comeback-­Versuche in den vergangenen Jahren stets versandeten. Entscheidend dürfte die Entwicklung von Anleiherenditen und Konjunktur sein. "Value-Aktien und zyklische Werte entwickeln sich normalerweise überdurchschnittlich, wenn Einkaufsmanagerindizes die Talsohle durchschreiten und die Anleiherenditen steigen", haben die Analysten der Schweizer Bank Julius Bär herausgefunden. Der Grund dafür ist, dass steigende Einkaufsmanagerindizes insbesondere bei zyklischen Unternehmen mit beschleunigtem Gewinnwachstum einhergehen. Steigende Anleiherenditen sind dagegen ein Spiegelbild einer sich erholenden Konjunktur und Indikator einer besseren Investorenstimmung.

Eine Studie der Société Générale zeigt mit Blick auf das Geschehen am Anleihemarkt ein so enges Zusammenspiel bei der relativen Performance von Value und Growth wie seit 30 Jahren nicht mehr. Gemäß den Berechnungen der Analysten führt ein Ausschlag bei den Renditen deutscher Bundesanleihen von einem Basispunkt zu einer Bewegung bei der Rela­tion von Value und Growth von 25 Basis­punkten. Das heißt: Fallen die Anleiherenditen, sind andere Anlagestile wie Growth im Vorteil. Steigen sie aber, wäre das eine Steilvorlage für Value-Aktien.

Für einen Umschwung zugunsten von Value spricht die 2020 anstehende US-Präsidentschaftswahl. Denn wie die Julius-Bär-Analysten erklären, schnitten Growth-Titel seit 1980 nur in Wahljahren schlechter ab als Value-Werte.

Wetten auf Value-Aktien sind demnach im kommenden Jahr bei Anzeichen einer Konjunkturbelebung und bei steigenden Anleiherenditen sinnvoll. Auf Branchen­ebene spräche das für die niedrig bewerteten Auto- und Finanzaktien.

Passend dazu kommt Volkswagen gerade wieder in Fahrt. Der Konzern leidet bekanntlich unter der Unsicherheit, wie viele Milliarden noch für Schadenersatzzahlungen aus dem Dieselskandal geleistet werden müssen. Auf der anderen Seite ist es genau dieses Damoklesschwert, das für die aktuell günstige Bewertung mit einem 2020er-KGV von nur etwas über sechs sorgt. Operativ hat sich die Lage gebessert: Die Zahl der Auslieferungen lag per Ende November mit 9,9 Millionen Fahrzeugen um 0,3 Prozent über dem Vorjahreswert. Das ist zwar minimal, zeigt aber, dass die Richtung stimmt.

Auch Daimler hat gute Chancen, wieder in die Gänge zu kommen. Das 2020er-KGV liegt bei neun und damit etwas höher als beim Wolfsburger Konkurrenten. Da Analysten aber für 2021 und 2022 kräftige Gewinn- und Dividendensteigerungen erwarten, ist durchaus Potenzial für Kurszuwächse vorhanden. Wer Value im Finanzsektor sucht, ist mit Berkshire Hathaway auf der richtigen Seite. Die Beteiligungsgesellschaft von Warren Buffett hält große Positionen an Banken wie Wells Fargo, Bank of ­America, U.S. Bancorp und Goldman Sachs, aber auch am Kreditkartenanbieter American Express und der Ratingagentur Moody’s.

Im Unterschied zu reinen Investments in die Finanzbranche bieten andere Beteiligungen wie Apple und Amazon ein hohes Maß an Risikostreuung, außerdem gehören etliche nicht börsennotierte Unternehmen zu dem Konglomerat. Als Mutter aller Value-Investments hat auch Berkshire das Problem, dass der Kurs dem US-Leit­index S & P 500 in den vergangenen Jahren hinterherlief, weshalb Buffett einiges an Kritik einstecken musste. Sollte sich der Fokus im US-Wahljahr tatsächlich wieder in Richtung wertorientiertes Anlegen drehen, hat die Aktie Aufholpotenzial.

Auch Shareholder Value Beteiligungen konnte mit dem DAX im Jahr 2019 nicht Schritt halten. Im Unterschied zu Buffett, der sich fast ausschließlich auf nordamerikanische Bluechips konzentriert, hat sich die kleine Frankfurter Investmentgesellschaft dem deutschen Nebenwerte­segment verschrieben. Nach längerem Dümpeln kommt gerade wieder Schwung in den Kurs unseres Musterdepottitels.