"Ich habe gelernt, Wertschaffer von Wertzerstörern zu unterscheiden", sagt der US-Fondsmanager David Marcus von Evermore Global Advisors. In seinen Augen gehört Vincent Bolloré klar in die erstgenannte Kategorie. "Ich mag Familienunternehmen, wo ein dynamischer Wertschöpfer die Geschicke lenkt", so Marcus. Kein Wunder, dass er in seinem Fonds eine fast vier Prozent schwere Position in Bolloré aufbaute, dem gleichnamigen Unternehmen des französischen Geschäftsmanns.

Immer mehr Investoren entdecken den Mischkonzern. Weitere Großaktionäre sind der US-Fonds International Value Advisors und die norwegische Norge Bank. Auch der renommierte Shortseller Carson Block von Muddy Waters - bekannt, weil er Bilanzbetrug beim chinesischen Unternehmen Sino-Forest aufdeckte und den deutschen Werbespezialisten Ströer ins Visier nahm - untersuchte Bolloré auf Herz und Nieren, in der Hoffnung, eine weitere Short-Empfehlung aussprechen zu können. Statt dessen gab es eine klare Kaufempfehlung - Blocks einzige.

Die Zahlen sprechen für sich: Der 65-jährige Vincent Bolloré erwirtschaftete in den vergangenen 20 Jahren mit seiner gleichnamigen Holding eine jährliche Rendite von 16,8 Prozent. Der US-Staranleger Warren Buffett schaffte im gleichen Zeitraum nur 10,6 Prozent pro Jahr. Aber während Buffetts Konglomerat Berkshire Hathaway einen Aufschlag von 50 Prozent gegenüber dem Buchwert aufweist, notiert die Bolloré-Aktie 30 Prozent unterm fairen Wert. Der HSBC-Analyst Pierre Bosset kalkuliert den inneren Wert der Bolloré-Aktie auf fünf Euro - die Aktie kostet aktuell 3,51 Euro.

Unterbewertung trifft Aktivismus



Vincent Bolloré steht mit rund fünf Milliarden Euro Vermögen auf Rang 11 der reichsten Männer Frankreichs. Seinen Erfolg verdankt er einem ungewöhnlichen Anlagestil: Wie Buffett sucht er nach unterbewerteten Anlagen. Anders als der US-Investor betätigt sich Bolloré aber auch als aktivistischer Aktionär. "Vincent Bolloré ist ein Mix aus Buffett und Carl Icahn. Wo er investiert, engagiert er sich aktiv im Management", sagt Fondslenker Marcus.

Der Franzose kennt sich in Finanz und Wirtschaft aus. Zu Beginn seiner Karriere arbeitete er beim Bankhaus Rothschild. 1981 übernahm er zusammen mit seinem Bruder die Leitung der elterlichen Papierfabrik. Der Konzern produzierte besonders dünnes Papier für Bibeln und Zigaretten. Die Zigarettenpapiermarke OCB ist bis heute bekannt. Bolloré setzte zudem auf Teebeutel und andere Papierprodukte.

Aber schon bald expandierte er in weitere Geschäftsbereiche: Zunächst kaufte er Palmöl- und Kautschukplantagen, dann Eisenbahnlinien und Häfen im französischsprachigen Afrika. Heute betreibt er das größte Logistiknetzwerk Afrikas mit 25 000 Mitarbeitern in 46 afrikanischen Ländern. Ihm gehören drei Bahnlinien und 16 Containerhäfen. Damit ist er so gut wie kaum ein zweites europäisches Unternehmen aufgestellt, um vom wirtschaftlichen Aufschwung in Afrika und vom verstärkten Handel zwischen China und dem Kontinent zu profitieren.

Bolloré Logistics ist eines der größten Transportunternehmen der Welt, die Bolloré-Tochter konkurriert mit Speditionen wie Kühne & Nagel oder DHL. Allerdings geht hier der Umsatz zurück, weil sich der globale Handel in den vergangenen Jahren spürbar abschwächte. Gerade das Schifffahrtgeschäft ist wegen Überkapazitäten und protektionistischen Tendenzen rückläufig.

Außerdem investierte Bolloré in Energieinfrastruktur - er besitzt Heizöltanks mit einem Fassungsvermögen von 2,2 Millionen Kubikmetern in Frankreich, der Schweiz und in Deutschland. Dazu betreibt er eine Ölpipeline, die quer durch Frankreich verläuft. Dieser Bereich leidet dramatisch unter dem Ölpreisverfall und dem Umstieg auf günstigere Energiequellen wie Erdgas.



Derzeit am aktivsten ist Bolloré in der Kommunikationsbranche. Er hält 60 Prozent an der Werbeagentur Havas Group. Außerdem gehören ihm die kostenlose Tageszeitung "CNews Matin" sowie französische Mobilfunklizenzen. Doch das wichtigste Investment ist der Medienkonzern Vivendi, an dem Bolloré inzwischen über 20 Prozent sowie den Aufsichtsratsvorsitz hält. Bei Vivendi sind das Musiklabel Universal Music und Canal+ die wichtigsten Umsatzbringer. Doch der Bezahl-TV-Sender schrieb rote Zahlen, nicht nur weil Abonnenten davonlaufen - die Journalisten streikten einen Monat lang, weil Bolloré die Pressefreiheit missachtet und sich in bestimmte Themen eingemischt hatte. Über Vivendi ist er indirekt im Videospielehersteller Ubisoft und im italienischen Konzern Telecom Italia investiert. In Italien besitzt Bolloré zudem einen achtprozentigen Anteil an der Bank Mediobanca und hält einen kleinen Anteil an der Versicherung Generali. Außerdem lieferte er sich mit dem italienischen Medienimpressario Silvio Berlusconi ein Gefecht wegen eines Aktientauschs für die TV-Gruppe Mediaset.

Auf die Zukunft setzt Bolloré indes mit seinen Sparten Blue Solutions und Blue Applications. Blue Solutions liefert Stromspeichertechnik und Spezialfolien für die Batterieindustrie sowie Superkondensatoren und Batterien. Im Bereich Applikation entwickelt Bolloré gemeinsam mit Peugeot Elektroautos und betreibt das Carsharing-Unternehmen Autolib mit 4700 Elektroautos und 7500 Ladestationen. Die 2013 an die Börse gebrachte Blue Solutions läuft aber so schlecht, dass Bolloré das Unternehmen wieder zu 100 Prozent unter seine Kontrolle bringen will. Konzernweit sank das operative Ergebnis im Geschäftsjahr 2016 um elf Prozent, der Umsatz um sieben Prozent.

Echte Bolloré-Fans lassen sich dadurch nicht aus der Ruhe bringen. Carson Block etwa engagierte eigens einen Mathematiker, der die komplexen Verflechtungen des Konglomerats untersuchen sollte. Das Ergebnis der Analyse ist interessant: Block glaubt, dass der Streubesitz von Bolloré wesentlich geringer ist als offiziell angegeben. Die Struktur sorgt dafür, dass Bolloré sehr viel mehr von sich selbst gehört, als nach außen dargestellt wird. Bolloré gibt die Zahl der außenstehenden Aktien mit 2,5 Milliarden an. Block dagegen kalkuliert, dass es sich nur um 1,1 Milliarden Aktien handelt - weniger als die Hälfte also. "Dies ist das erste Mal in meiner Karriere, dass ich ein Unternehmen wegen seiner komplexen Struktur zum Kauf empfehle", sagt Block. "Vincent Bolloré ist ein ausgezeichneter Kapitalallokator: Er hat den Börsenkurs in 20 Jahren um 1213 Prozent und den Buchwert um 1953 Prozent steigen lassen." Muddy Waters schätzt, dass die Aktie auf 8,50 Euro steigt.

Der New Yorker Fondsmanager Marcus erwartet sogar, dass sich der Börsenkurs von Bolloré auf Sicht von drei Jahren verdreifacht: "Die Schlagzeilen sind negativ, aber ich investiere nicht in Schlagzeilen, sondern in Unternehmen."