BÖRSE-ONLINE.de: Die Grünen planen große Änderungen im Bereich des Klimaschutzes. Was würde das für Unternehmen und Anleger bedeuten?
Reto Cueni: Die Grünen möchten die Emissionspreise stärker erhöhen. Der schnelle Anstieg in den kommenden Jahren wäre für gewisse Sektoren schwer zu verkraften. Manche Unternehmen würden mehr darunter leiden als andere.
Frank Häusler: Aus Investorensicht ist das spannend. Die Ziele für Klimaneutralität sind global. Das bedeutet viele 1.000 Milliardeninvestitionen. Je jünger die Generation, desto höher ist die Affinität, in solche Themen zu investieren. Sowohl die junge Generation als auch die Regierung fördern diese Entwicklung. In diesem Zusammenhang gibt es einige Chancen für Anleger. Dabei wird es klare Gewinner und Verlierer nach Branchen und Assetklassen geben.
Die Union sowie die FDP planen dagegen, die Wirtschaft zu "entfesseln" und die Konjunktur anzukurbeln. Was wären Ihrer Meinung nach die angemessenen Mittel, um die Wirtschaft zu stützen?
Reto Cueni: Entfesselung klingt klar nach Deregulierung. In Sachen Steuern könnte das Erleichterungen bedeuten. Des Weiteren müsste unter anderem in Infrastruktur, in Digitalisierung und in Mobilität investiert werden.
Frank Häusler: Investitionen sollten mittel- und langfristig die Produktivität steigern. Das wirkt sich positiv auf die Wirtschaft und die Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Deutschland aus.
Eine Einführung der Finanztransaktionssteuer könnte dagegen die Wirtschaft belasten. Dennoch möchte unter anderem die SPD auf Finanztransaktionen eine Steuer erheben. Was würde diese Einführung mit sich bringen?
Reto Cueni: Eine Steuer erhöht den Preis und reduziert die Tätigkeit. An der Börse wird ein immer größerer Teil der Aktien nur für Sekunden oder Millisekunden gehalten. Eine Einführung der Transaktionssteuer würde wohl das Volumen des hochfrequenten Handels verringern. Die Frage ist dann, wie stark das die Effizient des Marktes verringert und ob man damit auf der anderen Seite den wirtschaftlichen Sinn und Zweck einer Aktienanlage wieder erhöhen kann. Das heißt, ob dies generell das längerfristige Investieren und das Interesse an der Geschäftstätigkeit der Firmen im eigenen Portfolio steigern kann.
Frank Häusler: Für diejenigen, die nicht hochfrequent traden, ist der Einfluss beschränkt.
Blickt man auf die weiteren geplanten Steuern, so fordern mehrere Parteien
auf EU-Ebene eine faire Besteuerung von Unternehmen. Die Steueroasen sollen trockengelegt werden. Was würde das für Investoren und Unternehmen bedeuten?
Frank Häusler: In der Presse liest man viel über persönliche Steuern, die sind jedoch nicht so wichtig für den Aktienmarkt. Alle Steuern, die aber die Gewinne von Unternehmen schmälern, sind schlechte Nachrichten für Investoren. Eine erhöhte Steuer bedeutet auch einen geringeren Gewinn je Aktie.
Reto Cueni: Eine einheitliche Besteuerung auf EU-Ebene hätte zur Folge, dass der Wettbewerb zwischen den Ländern ausgeschaltet wird. Schaltet man diesen aus, wo bleibt dann das regulierende Element? Prinzipiell ist ein Wettbewerb dazu da, das Beste mit dem geringsten Ressourcen-Einsatz zu bekommen.
Wie beurteilen Sie generell die Aktienkultur in Deutschland?
Frank Häusler: Beschäftigt man sich mit den großen angelsächsischen Investoren, gibt es das berühmte 60 / 40 Portfolio. Dabei halten die Anleger 60 Prozent Aktien und 40 Prozent Anleihen. In Deutschland wäre es vermutlich das 20 / 80 Portfolio - bestehend aus 20 Prozent Aktien und 80 Prozent aus verschiedenen Assets. Der Unterschied in der Kultur ist eine Ausbildungsfrage. Man muss lernen, größere Schwankungen in Kauf zu nehmen. Außerdem müssen die Anleger eine größere Risikotoleranz erlernen. In meinem Heimatland, der Schweiz, gibt es kein Schulfach, das sich mit dem Investieren von Geld befasst. Daraus resultiert eine große Unsicherheit in diesem Bereich. Wir haben keine Investmentkultur, sind keine "Risk Taker". Das gilt nicht nur für die Schweiz und Deutschland, sondern für alle mitteleuropäischen Länder. Das anzugehen ist sehr schwierig.
Reto Cueni: Die Leute sind heute noch verunsichert von den großen Verlusten nach der Dotcom-Blase. Wird man in frühen Jahren geprägt, kann die Risikoaversion sehr hoch sein. Es bedarf viel Aufklärung, um das zu verändern. Deshalb sollte es mehr Bildung im Bereich Finanzen geben.
Sie sprachen von einem 60/40 Portfolio bestehend aus Aktien und Anleihen. Inwiefern sind Anleihen attraktiv für Anleger?
Aber das birgt doch ein höheres Risiko?
Frank Häusler: Staatsanleihen sowie Unternehmensanleihen von guter Qualität sind wenig attraktiv. Unternehmensanleihen aus Schwellenländern können aber aussichtsreich sein. Die Unternehmen haben sich in den letzten Jahren stark entwickelt. Sei es im Hinblick auf Corporate Governance oder Transparenz.
Frank Häusler: Es ist im Risiko höher, aber nicht so hoch wie die potenzielle Rendite. Das Return-Risk-Verhältnis ist attraktiv.
Schwellenländer werden in Zukunft auch im Bereich der Aktien immer wichtiger. Ein aktuell diskutiertes Thema ist die Situation in China. Sollte ein privat Anleger trotz der Regulierung und des Einflusses der Regierung in China investiert sein?
Frank Häusler: Es gilt die Frage nach dem Zeithorizont. Auf kurzfristige Sicht sind wir zurückhaltend. Der Markt ist schockiert über die Regulierungen im Bereich der Bildungseinrichtungen. Gleichzeitig verlangsamt sich das Wirtschaftswachstum in China. Betrachtet man aber einen Zeithorizont von 15 Jahren wird kein Weg an Schwellenländern vorbeiführen. Ein großes Thema ist die Rivalität zwischen den USA und China. Es gibt aber lokale Profiteure auf beiden Seiten.
China ist einer der bedeutendsten Hersteller von Halbleitern. Doch die Corona-Einschränkungen verursachen einen Engpass im Bereich der Halbleiter. Inwiefern wirken sich Lieferengpässe wie der Chipmangel auf Aktienanlage aus?
Reto Cueni: Wirtschaftlich gesprochen, wirkt es sich zunächst auf die Inflation aus. Gibt es Lieferengpässe wie bei den Chips, dann steigt der Preis. Was man nun beobachten kann, ist, dass der Preis für gewisse Halbleiter an verschiedenen Börsen aber bereits wieder sinkt. In unserem Haupt-Szenario gehen wir davon aus, dass sich die Lage entspannen wird.
Frank Häusler: Betrachtet man die Inflationserwartungen, geht auch der Markt davon aus, dass sich das Problem lösen wird. Auf einen Chip sensitiven Sektor hat das natürlich einen Einfluss. Etwa wenn Audi erklärt, für weitere Wochen keine Autos zu produzieren, oder wenn Toyota nicht 40, sondern nur 20 Prozent in den nächsten Monaten verkauft, dann werden die Unternehmen weniger Gewinne erwirtschaften. Da es sich aber um ein Herstellungsproblem und nicht um ein Rohstoff- oder Nachfrageproblem handelt, wird sich das irgendwann erledigen.
Reto Cueni: Die Chiphersteller, die höhere Preise durchsetzen können, profitieren wiederum von diesem Engpass. Wie immer beim Investieren, gibt es auch hier Gewinner und Verlierer.