Trotz zuletzt starker Rallye mahnt ein technischer Analyst zur Vorsicht. Ein letzter Test des Tiefs könnte bevorstehen – bevor 2026 der nächste große Aufschwung beginnt.
Für viele Anleger ist die Welt wieder in Ordnung: Trotz eines herausfordernden geopolitischen Umfelds haben die vielen Leitindizes schon wieder neue Höchststände markiert, während eine große Marktbreite, eine robuste Liquidität, wieder zunehmende Zuversicht nach dem Frühjahrseinbruch zu verzeichnen sind.
Tom McClellan, Herausgeber des McClellan Market Report, sieht indes das Gegenteil dessen, was viele Anleger derzeit hoffen. Die aktuelle Stärke sei nicht der Beginn einer neuen Rallye, sondern das Vorspiel zu einem letzten Rückschlag. „Die Märkte haben sich in den letzten Tagen extrem ruhig verhalten“, sagt McClellan im Interview mit CNBC. „Und genau das ist beunruhigend. Wenn es an der Börse zu leise wird, ist das oft ein Zeichen dafür, dass ein Hoch bevorsteht.“
„Der Markt spannt sich auf wie eine Feder“
McClellan beschreibt das aktuelle Marktverhalten als „coiling“ – ein Aufladen unter der Oberfläche. Und was wie Stabilität wirkt, könne schnell in eine Lawine umschlagen: „Die Ruhe ist trügerisch. Sie signalisiert, dass sich Spannung aufbaut, die sich bald entladen wird.“
Die Auslöser dafür müssen nicht einmal wirtschaftlicher Natur sein. Der aktuelle geopolitische Unsicherheitsfaktor im Nahen Osten – etwa mögliche Angriffe auf nukleare Anlagen – sei ein „neues, unbekanntes Risiko“, das viele Marktteilnehmer schlicht nicht einordnen könnten. „Wenn es ein Quartalsergebnis gibt, dann wissen wir, wie man das liest. Aber hier fehlt uns die historische Erfahrung. Das erzeugt Unsicherheit – und Unsicherheit wird verkauft.“
2025: Das Jahr der Retests – nicht der Rallye
Dabei verweist McClellan auf saisonale und zyklische Muster. „Der Juni ist historisch ein schwacher Monat – auch wegen des typischen Zwischenhochs im Juli.“ Doch noch wichtiger sei der größere Zyklus: 2025 sei laut seinen Modellen ein klassisches Bärenmarktjahr, erst 2026 sei mit einer nachhaltigen Fortsetzung des Bullenmarkts zu rechnen. „Ich freue mich auf die nächste große Hausse – aber eben noch nicht jetzt.“
Besonders interessant ist, dass McClellan seine Skepsis nicht trotz, sondern wegen der aktuellen Stärke der Marktbreite äußert. Die Advance-Decline-Linie – ein Maß für die Marktliquidität an der NYSE – hat zuletzt neue Allzeithochs erreicht. Ein bullisches Zeichen?
Das trügerische Signal der Marktbreite
Nicht unbedingt. McClellan erinnert an zwei frappierend ähnliche Phasen: 2015 und 2022. Beide Male verleitete eine starke technische Gegenbewegung Investoren zu früh zu Optimismus – doch erst nach einem erneuten Rücksetzer setzte der nachhaltige Aufschwung ein. „Ich erwarte genau dieses Szenario auch für 2025“, so McClellan. „Ein Retest des Tiefs – und dann beginnt der neue Aufwärtstrend.“
Wer auf den nächsten Bullenmarkt setzt, sollte aktuell also nicht übermütig werden, sondern vielmehr Geduld mitbringen und sich schützen. Tom McClellan zählt zu den erfahrensten technischen Analysten der Wall Street und verweist auf klare Muster: Die Ruhe vor dem Sturm, falsche Signale bei der Marktbreite – und ein noch offenes Kapitel im laufenden Zyklus. Wer heute kauft, könnte zu früh dran sein. Wer wartet, könnte 2026 dafür umso mehr profitieren.