Für viele kam der Schritt überraschend, doch wer den Peugeot Sanierer und PSA-Chef Carlos Tavares kennt, sieht in seinem Kaufinteresse an Opel konsequentes Kalkül. Der Portugiese hat den Autobauer in seinen drei Jahren an der Konzernspitze vom Pleitekandidaten zu einem rentablen Unternehmen gemacht, doch Taveres will mehr. Er will "vorne sein", beschreibt der drahtige Manager das Ziel, das er mit PSA verfolgt. Das Zusammengehen würde PSA auf den größten Märkten von Opel, Deutschland und Großbritannien stärken, und die Franzosen als Nummer zwei in Europa näher an den Marktführer Volkswagen rücken lassen. Hinter der Kaufabsicht steckt allerdings nicht nur persönlicher Ehrgeiz. Auf dem Automarkt ist Größe ein entscheidender Vorteil. So können teure Entwicklungskosten für E-Mobile und autonomes Fahren auf große Produktionsmengen verteilt werden, steigende Auslastungen ermöglichen Skaleneffekte und bringen Verhandlungsmacht gegenüber Zulieferern.

Soweit die Theorie. Doch im Falle der europäischen Autowirtschaft sind für eine erfolgreiche Übernahme deutlich schmerzhaftere Schritte notwendig. Die Branche leidet unter Überkapazitäten und Preisdruck während sich die Produktpalette von PSA und Opel zweifelsfrei überschneidet. Was Taveres mit einem Überangebot von Fahrzeugmodellen und zu großer Belegschaft macht, hat er bei PSA in den vergangenen Jahren gezeigt. Er hat die Zahl der angebotenen Modelle halbiert und baut selbst nach der Schließung eines Werks mit 8000 Mitarbeitern im Norden von Paris jährlich 2000 Stellen in Frankreich ab. Auf diese Weise hat Tavares trotz der Absatzprobleme zuletzt eine für einen Massenhersteller ansehnliche Gewinnmarge von sieben Prozent erzielt.

Soll dieser Weg mit Opel fortgesetzt werden, sieht es schlecht aus für tausende von Opelanern die derzeit am Stammsitz in Rüsselsheim und den Werken in Eisennach und Kaiserslautern arbeiten. Laut dem Autoexperten Ferdinand Dudenhöfer könnten zentrale Einheiten verkleinert oder ganz abgebaut werden, weil ihre Aufgaben im Konzern übernommen würden. Betroffen wären etwa der Einkauf, der Vertrieb, das Marketing sowie Teile des Entwicklungszentrums. Mindestens ein Drittel der rund 15 000 Jobs in Rüsselsheim stünde bei einer Übernahme zur Disposition. Die Produktion würde voraussichtlich in den PSA-Autobau eingegliedert. "Es gibt keine Markenwerke, sondern nur Konzernwerke, in denen alle Markenprodukte gefertigt werden", betonte der Direktor des CAR-Instituts der Universität Duisburg-Essen. Die vorhandenen Kapazitäten seien eher zu groß, so dass die Lage für die Opel-Werke in Eisenach und Kaiserslautern über Nacht schlechter geworden.

Doch eine Zusammenarbeit kann auch anders aussehen. Seit 2012 werden drei Baureihen von SUVs und Minivans zusammen hergestellt, bald wollen sich die Unternehmen drei Werke in Frankreich und Spanien teilen und auch die Entwicklungsabteilungen stimmen sich regelmäßig ab.

Ohne den Abbau von Arbeitsplätzen oder das Zusammenlegen von Werken dürfte es jedoch kaum möglich sein, Opel aus der Verlustzone zu holen. Der Konzern macht seit 1999 nur Verluste und kostete GM in den vergangenen Jahren Milliarden. Und das obwohl die Opelaner in den vergangenen Jahren auf einen vielversprechenden Kurs einschwenkten. Experten nehmen Opel wieder als ernst zu nehmenden Autobauer wahr, in der Kompakt- und Kleinwagenklasse sind die Rüsselsheimer fast auf Augenhöhe mit dem Marktführer Volkswagen. Dank dieser Erfolge konnte Opel trotz massiver Rückschläge wie dem Wegfall des kompletten russischen Marktes und den Währungsverlusten nach dem Brexit in Großbritannien den operativen Verlust 2016 auf rund 257 Millionen US-Dollar fast halbieren. Die eigentlich für 2016 angepeilte Gewinnzone soll nun 2018 erreicht werden.

Es ist allerdings fraglich, ob es PSA gelingt ausreichende große Synergieeffekte aus der Übernahme zu heben. Schon aus der 2012 begonnen Zusammenarbeit kommen deutlich weniger als die erhofften 1,5 Milliarden Kostenersparnis pro Jahr heraus. Hinzu kommt, dass bei Opel und bei PSA durch die 14prozentige Staatsbeteiligung immer auch die Politik mitspricht. Weil dieses Jahr in beiden Länder Wahlen anstehen, dürfte es schwer werden einen massiven Stellenabbau bei den Regierenden durchzubekommen. Und 55 Prozent der Opelbelegschaft arbeitet in Deutschland. Gleichzeitig verbrennt Opel weiter Geld, während unklar ist wie groß die Mitgift von GM zur Sanierung seiner Tochter sein wird. Als mit Fiat über einen Opel-Verkauf verhandelte, verlangte Fiat-Chef Sergio Marichonne angeblich fünf Milliarden Dollar, um den nötigen Konzernumbau bei den Rüsselsheimern zu finanzieren. Nach den Fortschritten der vergangenen Jahre, dürften die Amerikaner aber kaum bereit sein, eine derart hohe Summe zu Zahlen. Allerdings ist auch PSA mit einem Cashpolster von sieben Milliarden Euro nicht der finanzstärkste Autokonzern.

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Einschätzung der Redaktion

Soll aus dem Opel-Kauf für PSA ein Erfolg werden, dürfte dies nur über eine harte Sanierung gelingen. Sicher, Opel ist auf einem guten Weg und die erzielten Fortschritte sowie die für 2018 angepeilte schwarze Null könnten die Umbaukosten senken. Auch dass Opel ohne GM seine Modelle endlich auf Märkten wie China verkaufen dürfte, wo bisher die GM-Marke Chevrolet Gebietsschutz genoss, birgt Fantasie. Doch auf den wichtigen europäischen Märkten sind die Erfolge klein. Wirkliche Fortschritte bei der Zahl Verkaufter Autos machten weder Opel noch PSA 2016 nicht und das obwohl in Europa wieder mehr Autos gekauft werden. Wie lange die Verkaufszahlen hierzulande aber noch steigen ist fraglich. Erste Marktbeobachter rechnen damit, dass sich die Nachfrage in diesem Jahr verlangsamen wird. Mit dem eingesetzten wirtschaftlichen Aufschwung in der Eurozone schwindet gleichzeitig die Verhandlungsmacht der Autobauer gegenüber den Gewerkschaften, die mit dem Verzicht auf Lohnsteigerungen halfen die Kosten niedrig zu halten.

Auch wenn noch viele Details eines möglichen Verkaufs von Opel unklar sind, dürfte der Konzern lange mit sich selbst beschäftigt sein, um gestärkt aus der Übernahme hervorzugehen. Diese Zeit werden andere Autobauer nutzen, um ihre Marktanteile auszubauen. Allen voran Volkswagen, der auch bei einem Zusammenschluss von PSA und Opel unverändert fast drei Mal so groß wäre wie die Franzosen und Deutschen zusammen. Trotz des angezogenen Kurses von PSA, dürfte ein Opel-Kauf zunächst auf der Aktie lasten. Ein Neueinstieg drängt sich daher nicht auf, investierte Anleger sollten die Aktie jedoch weiter halten. Deutlich mehr Kurspotential verspricht hingegen die VW-Aktie. Die Prozeßrisiken aus dem Abgasskandal sinken mit jeder gerichtlichen Einigung und geben dem schwer abgestraften Papier Aufholpotential. Von dem durch ein Opel-Kauf sinkenden Wettbewerbsdruck auf dem europäischen Markt dürften die Wolfsburger daher wohl am schnellsten profitieren.