Ich erinnere mich noch an einen sehr sympathischen Kollegen, den ich mehrmals im Jahr traf. Er war starker Raucher. Jedes Mal, wenn wir darüber sprachen, meinte er: "Nächstes Jahr höre ich damit auf." Ich sagte dann: "Aber ‚nächstes Jahr‘ ist bereits, wir haben uns so lange nicht gesehen." Und er reagierte nur mit Verwunderung.

Diese Verschieberitis ist menschlich, allzu menschlich. Verhaltenspsychologisch betrachtet arbeiten (grob vereinfacht) unsere zwei Gehirnhälften gegeneinander. Da ist das sehr emotional ausgeprägte limbische System, das gegen den vernunftorientierten Neokortex arbeitet. Der Neokortex - das ist der jüngere Gehirnteil, der uns zum Homo sapiens werden ließ - sagt uns: "Du musst was tun. Rauchen kann tödlich sein." Und da ist das limbische System, zu dem auch unser Suchtzentrum gehört, das uns meldet: "Aber ich brauche das." Das ist die prähistorische Stimme in uns, die wir noch von unseren Ahnen, die am Anfang der Menschwerdung standen, mit uns herumtragen.

Genau von diesem Wechselspiel unserer Gehirnhälften profitieren auch die Fitnessstudios. Wir werden Mitglied, aber das Training schieben wir dann auf. Genau dieses Wechselspiel ist es auch, das uns davon abhält, beispielsweise etwas für die Altersvorsorge zu tun, unser Portfolio neu zu strukturieren oder uns generell vom Umklammern des Sparbuchs zu lösen. Wir wissen, wir müssten eigentlich etwas tun. Wir wissen, "die Rente ist sicher", aber sie wird nicht ausreichend sein. Aber tun tun wir nichts. Das hat ja alles noch Zeit! Ein fataler Irrtum. Gerade beim Vermögensaufbau arbeiten Zeit und Zinseszinseffekt gegen uns.

Was hilft, ist die Odysseus-Strategie. Der antike Held musste unter anderem am Felsen der Sirenen vorbeischippern, ohne durch deren betörenden Gesang verstört Schiffbruch zu erleiden. Was tun? Er verschloss seinen Kumpanen auf dem Schiff die Ohren, ließ sie Kurs halten und sich selbst an den Mast binden. So sehr er auch wollte, er konnte nicht zu den mörderischen Sirenen schwimmen. Wie wir vom griechischen Dichter Homer wissen, ist Odysseus wohl der einzige Mensch, der die Sirenen hörte und überlebte.

Darin liegt auch eine tiefe Weisheit für die Kapitalanlage. Es ist besser, sich an eine Strategie langfristig zu binden und Kurs zu halten, statt nichts zu tun oder sich - falls man doch etwas tut - im hektischen Hin und Her zu verlieren. Konkret könnte das heißen, zu Jahresbeginn die längerfristige Portfoliostruktur festzulegen. Wie viel Aktien will ich? Wie viel Kasse will ich halten? Wie groß dürfen die Wertschwankungen ausfallen? Machen und umsetzen.

Zugegeben, die Märkte sind zur Zeit schon nervenaufreibend. Warum also nicht die Zielallokation mit einem Sparplan ansteuern? Einfach mit einem bestimmten Betrag monatlich beispielsweise Aktien- und Rentenfonds zukaufen, bis die Kassenhaltung auf das Wunschmaß reduziert wurde. Das lässt sich noch einfacher mit Multi-Asset-Fonds umsetzen. Soweit die Investition von vorhandenem Geld.

Wie sieht es aber mit dem Vermögensaufbau aus? Meine Überzeugung: Ein Sparplan ist die einfachste Form, die Odysseus-Strategie umzusetzen. Durchschnittskosten- und Zinseszins­effekt arbeiten für den Investor. Dazu kommt die Wucht der Mehrrendite, die bei Aktien auf längere Sicht erwartet werden darf. Beispiel: Wer 1988 einen Sparplan auf europäische Aktien mit monatlich 100 Euro bespart hätte, hätte bis 2018, also 30 Jahre später, 36 000 Euro investiert und dann knapp 129 000 Euro an Vermögen gehabt. Darauf nun eine Dividendenrendite von 3,5 Prozent - das ergibt ein Zubrot von 4515 Euro im Jahr. Nicht schlecht oder? Also: Tun Sie es einfach. Beginnen Sie noch heute einen Sparplan und lernen Sie von Odysseus. Für einen Sparplan ist immer der richtige Zeitpunkt.

zum Autor: Hans-Jörg Naumer (52) leitet seit 2000 die Abteilung Kapitalmärkte & Investmentthemen bei der Fondsgesellschaft Al­lianz Global Investors. Die Tochterfirma des Versicherers Allianz ist mit Anlagen von etwa einer halben Billion Euro einer der größten aktiven Vermögensverwalter der Welt. Sie hat ein Zentrum für Verhaltensökonomik in den Vereinigten Staaten, als dessen europäischer Brückenpfeiler sich ­Naumer versteht. Zuvor arbeitete er bei der französischen Großbank Société Générale. Der Volkswirt startete seine Karriere 1994 in der Firmenkundenabteilung der Deutschen Bank. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.

Haben auch Sie eine Frage zu Geld und Psychologie? Dann schreiben Sie an martin.reim@finanzenverlag.de