Wasserstoff wird immer stärker in unseren Alltag vordringen", meint Jorgo Chatzimarkakis, der Vorsitzende von Hydrogen Europe, dem europäischen Dachverband für Wasserstoffindustrien. Der euphorische Ausblick steht für die Aufbruchstimmung, wie sie auf The smarter E Europe, die in der Vorwoche auf der Messe München erstmals seit Mai 2019 wieder stattfand, greifbar war.
Zum Beispiel mit dem von mehr als 60 Unternehmen unterzeichneten Green Hydrogen Manifesto. Darin wird an die Politik in Europa appelliert, durch Kostensenkungen sowie mehr Förderprogramme der zentralen Rolle Rechnung zu tragen, die Wasserstoff bei der drastischen Reduzierung der globalen CO2-Emissionen zukommen soll.
Grüner Wasserstoff, der über erneuerbare Energien gewonnen wird, bietet eine große Bandbreite an Möglichkeiten bei der Umstellung von fossilen auf erneuerbare Energien. Zum Beispiel in der Chemie- und Stahlindustrie, für das Beheizen von Gebäuden oder über Brennstoffzellen für den Fahrzeugantrieb. Ob Wasserstoff tatsächlich eine Alternative zur E-Mobilität wird, steht allerdings noch in den Sternen.
Viele Projekte, wenig Umsatz
"Wasserstoff ist von der Antriebstechnik viel weniger effizient als Elektromotoren", meint Roman Boner, Fondsmanager bei Robeco. "Ich erwarte in Zukunft deshalb keine signifikanten Marktanteile, zumal sich der ökologische Fußabdruck der mit Lithiumbatterien betriebenen Elektromotoren durch technologische Neuerungen reduzieren wird." Alexander Funk, Fondsmanager bei Ökoworld, schätzt das Marktpotenzial so ein, dass der energieintensive Güterverkehr per Schiff und Lkw in den nächsten Jahren das Terrain für die Kommerzialisierung der Wasserstoffantriebstechnik für Fahrzeuge bleiben wird. Eine Hürde sind die hohen Anlaufkosten für Produktionsanlagen. Wasserstoff muss wegen seiner geringen physikalischen Dichte entweder stark komprimiert oder verflüssigt werden. Darüber hinaus wird allein in Europa der Aufbau einer Infrastruktur aus Tankstellen, Transportwegen und Produktionsstätten Experten zufolge zehn bis 40 Milliarden Euro verschlingen.
Der erste Hype ist vorbei
Ungeachtet dieser Herausforderungen surfen Börsianer längst auf der Wasserstoffwelle. Die Aktien der spezialisierten Firmen haben von 2020 bis Anfang 2021 ein Kursfeuerwerk abgebrannt. Davon profitierten die auf Umweltthemen spezialisierten ETFs, die in einem kurzen Zeitraum milliardenschwere Zuflüsse registrierten. Dem Börsenhype folgte dann eine kräftige Korrektur. Bei Überfliegern wie ITM Power oder Powercell hat sich der Börsenwert seither sogar halbiert.
Nachdem sich die Momentum-Investoren wieder größtenteils zurückgezogen haben, beschäftigen sich Investoren jetzt verstärkt mit fairen Bewertungsniveaus der einzelnen Firmen. "Im Vergleich zu den Unternehmen aus der Solarenergie, die bereits Milliardenumsätze erzielen und schon profitabel arbeiten, preist der Markt bei den Wasserstoff-Nischenplayern deren größere finanzielle Anfälligkeit gegenüber steigenden Zinsen ebenso ein wie die noch höheren Unternehmensverluste", meint Ökoworld-Experte Funk.
Drei ETFs, ein Fonds
Anleger haben verschiedene Optionen, um Wasserstoff als spekulative Beimischung im Depot zu spielen. Drei ETFs streuen die Volatilitätsrisiken des Sektors über eine Vielzahl von Titeln. Relativ neu sind die beiden reinen Wasserstoff-ETFs.
Der L & G Hydrogen Economy UCITS ETF wurde im Februar dieses Jahres, der VanEck Vectors Hydrogen Economy ETF nur einen Monat später aufgelegt. Beide Produkte sind auch sparplanfähig. Die ETFs notieren in US-Dollar, reinvestieren die Dividenden und sind nicht währungsgeschützt. Der im Juli 2007 aufgelegte iShares Global Clean Energy ETF, der den gleichnamigen Branchenindex S & P Global Clean Energy abbildet, ist das geeignete Vehikel, um Wasserstoff über ein erfolgreiches ETF-Produkt mit dem Anlagefokus auf alle Bereiche der erneuerbaren Energien abzudecken. Ebenfalls neu ist der GG Wasserstoff Fonds (WKN: A2Q DR5), der im Dezember 2020 von der Fondsgesellschaft Hansainvest aufgelegt wurde und über die Börse Hamburg geordert werden kann. Das Fondsportfolio umfasst 35 Positionen und setzt auf die künftigen Gewinner aus dem Bereich Wasserstoff.
Die meisten Wasserstoff-Nischenplayer erzielen noch keine nennenswerten Umsätze und werden auf Sicht der nächsten drei Jahre unterm Strich noch Verluste erwirtschaften. "Das Gros der Technologien befindet sich noch in der Phase der Projektentwicklung. Kommerziell am meisten fortgeschritten sind die Hersteller von Brennstoffzellen und Elektrolyseuren", erläutert Gerhard Wolf, Analyst bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW).
Wasserstoff-Aktien-Favoriten
Die US-Firma Ballard Power Systems zählt zu den Vorreitern bei der Produktion von Brennstoffzellen für Busse, Transporter, Züge und Schiffe. Die Konsensschätzungen erwarten, dass sich der Umsatz zwischen 2020 und 2024 auf 407 Millionen US-Dollar vervierfachen wird. Plug Power soll dagegen bereits 2023 die Umsatzmilliarde übertreffen und die operative Gewinnzone erreichen. Zum Einsatz kommen die Brennstoffzellen und Elektrolyseure bislang bei Kunden aus Transport und Logistik, etwa bei Gabelstaplern. In Zukunft will der US-Konzern auch in der stationären Energieversorgung, der Notstromversorgung zum Beispiel für Datenzentren oder bei Brennstoffzellen-Antrieben für Flugzeuge mitmischen.
Mit Wasserstoff-Brennstoffzellen etwa als Ersatz für Dieselgeneratoren hat sich SFC Energy auf netzferne und stationäre Stromversorgung spezialisiert, die sich über Smartphone und Computer steuern lässt. SFC Energy soll in den nächsten zwei Jahren den Umsatz auf rund 100 Millionen Euro verdoppeln und 2022 dann schwarze Zahlen schreiben. Die weltweit führenden Hersteller von Industriegasen decken dank ihrer Expertise im Anlagenbau und Projektmanagement die gesamte Wertschöpfungskette des Wasserstoffgeschäfts ab, von der Produktion über die Speicherung bis zur Belieferung.
Linde bietet hier einen Mix aus hohem zweistelligen Gewinnwachstum im Kerngeschäft und der Wasserstofffantasie. Ziel ist es, den Umsatzanteil mit Wasserstoff von sieben Prozent in den nächsten Jahren zu vervierfachen - dank Projekten wie dem aktuellen Bau der weltgrößten Verflüssigungsanlage in Südkorea.
Auf einen Blick
Wasserstoff
Der Alleskönner: Wasserstoff wird in Brennstoffzellen oder in Kraftwerken gewonnen und für Strom, Wärme und Wasser verwendet. Jährlich werden rund 600 Milliarden Kubikmeter Wasserstoff produziert, davon 99 Prozent für die industrielle Nutzung.