Denn leider bringen einige Mitglieder im Direktorium der US-Notenbank gerade das Gespenst der Zinserhöhungsphantasie in Umlauf und zerreden damit das entscheidende Argument pro Aktie.

Die Weltwirtschaft wächst, aber nur verhalten



Die USA haben eindeutig an wirtschaftlicher Stärke eingebüßt. Die dortige Industrie befindet sich bereits in rezessivem Terrain. Auch der Dienstleistungssektor kann nicht als kompensierendes Gegengewicht fungieren. Die angebliche Robustheit des US-Arbeitsmarkts ist zwar ein schönes Märchen, das aber noch kein Happy End gefunden hat. Es geht eben nicht nur um die Quantität von Jobs, sondern mit Blick auf konjunkturstützende Kaufkraft auch um die Qualität von Arbeitsverhältnissen.

In der Eurozone erfreuen sich einige Volkswirte zwar an relativ hohen Wachstumsraten in Spanien. Tatsächlich wird dieses Land in diesem Jahr deutlich über zwei Prozent relativ robust wachsen. Allerdings sehen die Wachstumsraten für die folgenden Jahre weniger günstig aus. Im Übrigen sollte relativ nicht mit absolut verwechselt werden: Das Wirtschaftsniveau von vor der Immobilien- und Finanzkrise hat Spanien noch nicht wiedererreicht. Insgesamt tritt die Eurozone konjunkturell auf der Stelle. Mit Blick auf die schon sprichwörtliche reformfeindliche Wirtschaftspolitik in fast allen Euro-Staaten zeichnet sich leider keine baldige Besserung ab.

Mit der konjunkturellen "Normalisierung" der Schwellenländer büßt ein in der Vergangenheit bedeutender Wachstumstreiber der Weltwirtschaft an Schlagkraft ein. Ihr langjähriger starker Nachfragesog nach Produkten aus den westlichen Exportländern zur Etablierung einer eigenen Industriekultur hat ihren Gipfel hinter sich. Gleichzeitig verspricht die volkswirtschaftliche Transformation hin zu Dienstleistung und Konsum zwar nachhaltiges, aber gleichzeitig verringertes Wachstum.



Der nachlassende Hype nach Rohstoffen hemmt die Wachstumsdynamik in den Rohstoffländern wie Russland, Brasilien und Südafrika ebenso zum Schaden der Weltkonjunktur. Bei Öl ist keine nachhaltige Preissteigerung zu erwarten. Das Überangebot am Ölmarkt besteht laut Internationaler Energieagentur (IEA) bis mindestens Mitte 2017 fort. Der ruinöse Preiswettkampf zwischen Saudi-Arabien und dem Iran auf der einen und die ohnehin preisdämpfenden Effekte der Alternativfördermethode Fracking auf der anderen Seite halten die Rohölpreise insgesamt zurück.

Grafik 1: Rohstoffpreisindex und Wirtschaftswachstum Schwellenländer





Europas schlimmste Worte heißen political correct



Die EU, die normalerweise dafür da ist, günstige politische Rahmenbedingungen für eine prosperierende Wirtschaft in ganz Europa zu schaffen, ist zum Aktien-Handicap geworden. Sie ist in existentiellen Nöten. Überall in Europa nehmen Renationalisierungsstrategien zu. Und dabei hat der nationale Ausstieg der Briten aus der EU sein negatives Füllhorn noch nicht ansatzweise ausgeschüttet. Im Augenblick geht es dabei nur um die Petitesse, wann Großbritannien seinen Austrittsantrag stellt. Früher oder später wird man sich jedoch den Konsequenzen stellen müssen, z.B. dass die anderen EU-Länder große Teile des britischen EU-Beitrags zusätzlich tragen müssen. Übrigens, nach Brexit wird sich Großbritannien zwar nicht mehr uneingeschränkt an den Segnungen der EU laben können. Aber die langfristige wirtschaftliche (Br)Exit-Strategie des Landes wird darin bestehen, als neue Power-Ökonomie die Rolle des bisherigen Wirtschaftspartners gegen die des -konkurrenten gegenüber der Rest-EU auszutauschen.



Die gebetsmühlenartigen Beteuerungen, der Ausstieg eines G7-Staates und Uno-Sicherheitsratsmitglieds würde die EU nicht (wirtschafts-)politisch schwächen, sind gelinde gesagt dummes Zeug. Der Brüsseler Elfenbeinturm hat sich mit seinen Beschönigungen so sehr von den "Niederungen" der EU-Bevölkerung entfernt, dass einem vor den französischen Präsidentenwahlen angst und bange werden kann. Daneben droht Italien bereits im kommenden Herbst nach einem gescheiterten Referendum über die Verwaltungsreform eine Regierungskrise ähnlich der in Spanien.

In einer Konjunkturwelt, in der sich die USA und China immer mehr auf die Industriepfründe stürzen, von denen die EU meint, das alleinige Nutzungsrecht zu besitzen, sind dies alles sicher keine guten (wirtschafts-)politischen Gegenstrategien. Es fehlt der politische Mut, gemeinsam die großen ökonomischen Unterschiede in der Union, die hohe Jugendarbeitslosigkeit und das schwache Wachstum anzugehen. Schöne Worte, Europa-Pathos und viel politische Korrektheit allein helfen nicht weiter. Es geht um zunächst schmerzhafte, längerfristig aber heilende Reformen an Haupt und Gliedern. Doch die will man den Wählern nicht zumuten. Sie könnten sich an der Urne "rächen".

Spiegelbild dieser fundamentalen Nachteile sind u.a. stagnierende ZEW Konjunkturerwartungen für Deutschland im September, die vorerst keine nennenswerten wirtschaftlichen Zuwächse erwarten lassen. Laut ZEW verhindert die Schwäche der deutschen Industrieproduktion und im Export eine Fortsetzung der ohnehin steinigen Konjunkturerholung. Die Beurteilung der aktuellen Lage fällt laut ZEW sogar wieder etwas schwächer aus.

Grafik 2: ZEW Konjunkturerwartungen und aktuelle Lage







Der point of no return ist erreicht oder die Angst vor dem geldpolitisch Unsäglichen



Fundamentale Aktienargumente sind rar gesät. Als effizientes Ersatzargument fungiert seit 2008 ein beispielloses üppiges geldpolitisches Umfeld. Doch ausgerechnet dieses "Aktien-Allheilmittel" wurde zuletzt in Zweifel gezogen. So ist sich die Bank of Japan uneinig über ihre Deflationsbekämpfung und unterzieht ihre bisherigen geldpolitischen Maßnahmen - weil sie konjunkturell nicht erfolgreich waren - einer "umfänglichen" Prüfung. So entsteht der Eindruck, dass die Liquiditätsmaschine der japanischen Notenbank vorübergehend stillgelegt wird. De facto ist dies zwar nicht der Fall. Doch zeigt sich hier die hohe psychologische Bedeutung des Liquiditätsarguments für den japanischen Aktienmarkt.

Auch die Ängste vor einem Überdenken der EZB hinsichtlich ihres geldpolitischen Kurses scheinen zuzunehmen. Denn trotz vorgetragener Konjunkturskepsis hat sie ihre Liquiditätsoffensive nicht weiter ausgeweitet. Setzte sich diese Skepsis fort, wirft dies auch ein negatives Licht auf die Bewertungsfrage von Aktien. Typischerweise sind in der Vergangenheit z.B. deutsche Aktienkursgewinne bzw. -verluste mit Gewinnsteigerungen bzw. -rückgängen der Unternehmen einhergegangen. Dieser fundamental logische Zusammenhang hat sich seit dem geldpolitischen Rettungsversprechen der EZB von Juli 2012 massiv aufgelöst. Die seit langem schwache Gewinnentwicklung rechtfertigt die insgesamt imposante Kursentwicklung nicht. Eine tatsächliche Korrektur der üppigen europäischen Geldpolitik würde ohne Zweifel eine Korrektur der Aktienmärkte nach sich ziehen.

Grafik 3: Gewinn- und Kursentwicklung deutscher Aktien







Vor allem aber sorgt die zinserhöhungspolitische Verbalerotik von einzelnen Mitgliedern des Fed-Komitees - trotz fehlender (welt-)konjunktureller und Inflationsargumente - für Nervosität. Als Folge hatte die Volatilität bei US- und deutschen Aktien im Trend zuletzt sprunghaft zugenommen.

Wer das Killerargument der Geldpolitik in Frage stellt, zerstört die Stabilität der Finanzmärkte.

Grafik 4: Volatilität im DAX und S&P 500



Aktuelle Marktlage und Anlegerstimmung - Die schwierige Suche nach außer-monetären Aktienargumenten



Dem Chemie- und Agrarkonzern Bayer gelingt offenbar die Übernahme von Monsanto. Diese Verbindung ist keine im Himmel geschlossene Liebesbeziehung - so wurde einst die Verbindung Daimler und Chrysler verkauft - sondern eine eindeutige Vernunftehe, die verhindern soll, dass Bayer in einer immer globaleren und konzentrierteren Branche den Anschluss an die Konkurrenz verliert.



Der Beginn einer leidenschaftlichen Übernahme- und Fusionswelle ist damit jedoch nicht verbunden. Denn politische Unsicherheiten und sogar Auflösungserscheinungen in der EU, die zukünftiges Geschäftspotenzial noch schwerer einschätzbar machen, wirken dem M&A-Geschäft entgegen.

Würde die Fed jetzt tatsächlich zinspolitisch restriktiv, erschwerten sich sogar die bislang so hochattraktiven Übernahme- und Fusionsbedingungen. Aktienunternehmen, die dann an Kurswert verlieren, hätte das übernehmende Unternehmen zu teuer bezahlt. Auch die verteuerte Kreditaufnahme käme als Handicap hinzu.

Überhaupt, der Protektionismus, der im US-Präsidentschaftswahlkampf auch auf demokratischer Seite eine immer größere Rolle spielt, hat das Freihandelsabkommen TTIP mittlerweile in den Bereich der Utopie gerückt. Warum sollte man sich jetzt auf mikroökonomischer Basis das Risiko von grenz-, sogar Kontinent überschreitenden Verbindungen antun? Grundsätzlich wird man das Ergebnis der US-Wahl im November und den weiteren geldpolitischen Weg der Fed abwarten.

Markante Bremsspuren im monatlichen Volumen an globalen Übernahmen und Fusionen sind bereits erkennbar, das sich von seinem Hoch im November 2015 aktuell mehr als halbiert hat. Vorerst ist die Übernahme- und Fusionsphantasie als Aktientreiber nur schwach ausgeprägt.

Grafik 5: Volumen globaler Übernahmen und Fusionen und Welt-Aktienmarkt







Charttechnik DAX und Euros Stoxx 50 - Stresstest für die Bullen



Charttechnisch findet der DAX am mittelfristigen Abwärtstrend bei 10.355 Punkten eine erste Unterstützung. Darunter warten weitere Auffanglinien im Bereich zwischen 10.123 und 10.077, bei 10.008 und 9.820. Werden die Marken durchbrochen, folgen weitere Haltelinien bei 8.500 und 8.100. Sollte eine Erholung starten, warten die ersten Widerstände bei 10.540 und 10.635 Punkten. Darüber verläuft eine Barriere zwischen 10.743 und 10.802 Punkten.

Im Euro Stoxx 50 liegt eine erste Unterstützung bei 2.950 Punkten. Wird diese deutlich unterschritten, drohen weitere Kursverluste bis zur nächsten nennenswerten Auffanglinie bei 2.670 und im Bereich zwischen 2.550 und 2.500 Punkten. Darunter gibt der seit 2009 bestehende Aufwärtstrend bei 2.320 Halt. Zur Entspannung kommt es, wenn der Widerstand bei 3.001 (200-Tage-Linie) und 3.043 Punkten überwunden wird. Darüber warten die nächsten Barrieren bei 3.062 und 3.206.

Der Wochenausblick für die KW 38 - Die Fed hält zinspolitisch weiter still



In Japan unterstreichen erneut schwache Exportzahlen und ein verhaltener Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe die schwache wirtschaftliche Lage. Der Druck auf die Bank of Japan, auf der anstehenden Sitzung für geldpolitische Klarheit zu sorgen und weitere Liquiditätsmaßnahmen zur Finanzierung einer infrastrukturellen Offensive zu ergreifen, wächst.

In den USA setzt der Immobilienmarkt seine verhaltene Erholung in Form nur leicht anziehender Baubeginne und -genehmigungen fort. Auch der im August stagnierende Index der Frühindikatoren deutet auf keine robuste Konjunktursituation hin.

In der Eurozone zeugt der erneut schwächere Einkaufsmanagerindex für das Verarbeitende Gewerbe von einer angespannten Konjunkturstimmung. Dem gegenüber ist Deutschland zwar der Einäugige unter den Blinden. Eine wirklich robuste deutsche Konjunktur sieht jedoch anders aus.

Insofern wird die Fed die Leitzinsen auf ihrer nächsten geldpolitischen Sitzung am 20./21. September nicht erhöhen. Der Fokus der Anleger gilt den Konjunkturprojektionen der US-Notenbank und ihrer Pressekonferenz, die auf die zukünftige Zinspolitik abgeklopft werden.

Rechtliche Hinweise / Disclaimer und Grundsätze zum Umgang mit Interessenkonflikten der Baader Bank AG: https://www.bondboard.de/main/pages/index/p/128

Robert Halver leitet die Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank.