BÖRSE ONLINE: Seit Anfang Juni gelten Strafzölle für den Import von Stahl aus der EU in die USA. Das kam nicht ganz überraschend. Inwieweit sind Sie davon betroffen und wie gehen Sie damit um?
Wolfgang Eder: Im zweiten und wohl auch dritten Quartal sehen wir keine Gefahr, dass der protektionistische Welthandel auf uns nennenswert durchschlägt. Eskaliert die Situation aber und greift sie auf andere Regionen und Bereiche wie etwa Autos durch, können wir nicht ausschließen, dass uns daraus in der zweiten Hälfte des Geschäftsjahres Nachteile erwachsen. In den USA haben wir im vergangenen Jahr 1,3 Milliarden Euro umgesetzt. Davon ist etwa ein Drittel, rund 400 Millionen Euro, von den Strafzöllen betroffen. Im wesentlichen geht es um drei Produkte, Nahtlosrohre und Sonderstähle für die Schiefergasexploration und Autostähle, die wir aus Österreich in die USA liefern. Für alle haben wir Ausnahmegenehmigungen eingereicht.
Rechnen Sie damit, dass Sie die Ausnahmegenehmigungen erhalten?
Noch lässt sich das schwer beurteilen, weil die US-Behörden gerade erst mit der Abarbeitung begonnen haben.
Woher kommt Ihre Gelassenheit?
Ich habe bereits unter der Bush-Regierung 2002 und 2003 hautnah erlebt, wie sich ähnliche Pläne entwickelt haben. Der Spuk war relativ schnell vorbei. Die Strafzölle gehen letztlich zu Lasten der Endkunden und die werden sich das auch in den USA auf Dauer kaum bieten lassen. Wir glauben insofern an die Selbstregulierung der Märkte. Anders wird es, wenn sich die Dinge zu einem globalen Handelskrieg ausweiten.
Also planen Sie auch keine Konsequenzen?
Wir behalten alle Entwicklungen und alle Möglichkeiten im Blick. Natürlich ist der Transfer von Fertigungen in günstigere Produktionsländer eine dieser Möglichkeiten.
Haben Sie bereits konkrete Investitionsprojekte auf Eis gelegt?
In den vergangenen sechs Jahren haben wir rund 1,4 Milliarden US-Dollar investiert. Alle wesentlichen Projekte sind nun abgeschlossen. Weitere Pläne in den USA treiben wir aber gerade nicht voran, bis wir wissen, wie sich die Rahmenbedingungen entwickeln.
Im vergangenen Geschäftsjahr stieg der Gewinn von Voestalpine dank der brummenden Weltwirtschaft und der hohen Nachfrage nach den Hochtechnologiestählen und -komponenten von zuvor 527 Millionen Euro auf 818 Millionen Euro und der Umsatz wuchs um 14,2 Prozent auf knapp 13 Milliarden Euro. Ein Rekordergebnis. Worauf sind Sie besonders stolz?
Vor allem auf die Entwicklung der EBITDA-Marge. Wir liegen hier mit 15,2 Prozent deutlich über unseren traditionellen Mitwettbewerbern und haben uns damit deutlich konjunkturresistenter machen können.
Dafür haben Sie viel investiert und so mancher Anleger bemängelt den geringen Bestand an Barmitteln (Free Cash Flow). Sie konnten den Kapitalfluss zwar zuletzt steigern, aber reicht das?
Wir wissen, dass wir in den vergangenen 15 Jahren mehr investiert haben, als jedes andere vergleichbare Unternehmen. Klar, Investoren würden gerne möglichst viel Free Cash Flow und Dividende, das heißt geringstmögliche Investitionen sehen. Das mag in anderen Branchen funktionieren, aber nicht in der Industrie. Wir haben uns in unseren Geschäftsbereichen zum führenden Technologieunternehmen mit vergleichsweise hohen und stabilen Margen entwickelt und wenn wir nicht nachhaltig investieren, verlieren wir die errungene Spitzenposition - natürlich auch im Ergebnis. Unsere Marge einschließlich der steigenden Returns sollte das überzeugendste Argument für den Kapitalmarkt sein.
Wie wollen Sie die Zahlen auf dem hohen Niveau des vergangenen Jahres halten und welches Ergebnis erwarten Sie im laufenden Jahr?
Wir haben uns vorgenommen, mit Umsatz und Ergebnis möglichst nahe an das Niveau des Vorjahres heranzukommen. Unsere größte Einschränkung resultiert aus der seit Jahren geplanten Reparatur unseres größten Hochofens in Linz. Wir haben Anfang Juni mit den Arbeiten begonnen. Etwa mitte September soll er wieder in Betrieb gehen. Durch den Ausfall verlieren wir rund 150 Millionen Euro Ergebnis in der "Steel Division". Mehr als die Hälfte der fehlenden Rohstahlmengen haben wir zwar vorproduziert und eingelagert und soweit qualitativ möglich kaufen wir auch zu. Aber natürlich verdienen wir in dieser Zeit nicht wie gewohnt. Wir glauben jedoch, dass wir den Ausfall im Gesamtjahresverlauf auf Konzernebene kompensieren können.
Wie denn?
Wir rechnen mit preislichen Nachzieheffekten im Öl- und Gasbereich. Außerdem hat die Eisenbahninfrastruktur vor allem in Europa Aufholbedarf. Auch die Bereiche Luftfahrt und E-Mobilität sollten wachsen. Wir haben darüber hinaus im Vorjahr eine ganze Reihe neuer Anlagen in Betrieb genommen, die heuer erstmals Umsatz- und Ergebnisbeiträge bringen werden.
Auf Seite 2: Wolfgang Eder über neue Geschäftsfelder und seinen Abschied
Sie konnten Großaufträge im Bereich E-Mobilität ergattern. Was stellen Sie genau her und weshalb setzen Sie darauf?
Unsere Welt sind Karosserie und Sicherheitsteile, gleichsam die Grundstruktur des Autos. In der E-Mobilität gilt noch mehr als im "klassischen" Kfz-Bereich: Je leichter das Auto, desto höher die Reichweite. Vor diesem Hintergrund erwarten wir eine deutliche Steigerung im Bereich höchstfester Komponenten. Zudem haben wir einen extrem dünnen, hocheffizienten Stahl für Elektromotoren entwickelt. Die Zahl der Aufträge hierfür steigt wegen der wachsenden E-Mobilität kontinuierlich. Parallel dazu haben wir bereits vor drei Jahren entschieden, in die Elektromotor-Komponentenfertigung einzusteigen. Schließlich geht es auch um Sicherheitsgehäuse für Batterien, da sind wir dabei, unsere Position massiv auszubauen. Für uns ist das zusätzliches Geschäft und keine Bedrohung des bisherigen.
Die Stahlbranche ist derzeit in einer Konsolidierungsphase. Denken Sie über Zukäufe nach?
Für uns sind Zukäufe im Stahl auszuschließen. Wir haben in den letzten 15 Jahren den Anteil des Stahls am Umsatz von 80 Prozent auf etwa ein Drittel reduziert. Wir setzen auf fertige High-Tech-Komponenten, etwa für Flugzeugturbinen, Automobilkarosserien oder Eisenbahnstrecken, beispielsweise für den neuen St. Gotthard-Tunnel oder die Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Moskau und Sankt Petersburg. Dazu braucht es spezifisches Know-How und da investieren wir. Dadurch haben wir es auch geschafft, Margen zu schreiben, wie es für andere Unternehmen unserer Branche untypisch ist. Im Stahl werden wir unsere aktuell bestehenden Aktivitäten behalten und technologisch wie qualitativ permanent aufrüsten, aber die Kapazitäten nicht ausbauen.
Aber am österreichischen Standort Kapfenberg investieren Sie aktuell massiv in ein neues Edelstahlwerk. Wird damit nicht die Kapazität erweitert?
Dort haben wir im April den Grundstein für eine volldigitalisierte Anlage gelegt, den ersten Stahlwerksneubau in Europa seit mehr als 40 Jahren. Es geht dabei um anspruchsvollste Hochleistungsstähle vor allem für die internationale Flugzeug- und Automobilindustrie sowie den Öl- und Gassektor. Mit 205 000 Tonnen liegt die Kapazität aber nicht über der der bisherigen Anlage, weil wir immer hochwertigeren, aber nicht einfach mehr Stahl machen wollen. Den Hauptunterschied macht die Digitalisierung: Höhere Effizienz, geringere Kosten, stabile Qualität und die Anlage wird nur von einer Handvoll Personen gesteuert. Aber gleichsam im Backoffice kommen Informatiker, Statistiker, Mathematiker, Mechatroniker und Techniker aus vielen anderen Bereichen zum Einsatz. Gleichzeitig müssen wir unsere bisherigen Mitarbeiter um- und aufqualifizieren. Das schaffen wir über ein langjähriges Umschulungsprogramm sozial verträglich.
In einem Joint Venture unter anderem mit Siemens bauen Sie in Linz eine Anlage zur Erzeugung grünen Wasserstoffs. Zunächst soll sie der Forschung dienen - wann erwarten Sie erste Ergebnisse und welche Einsatzmöglichkeiten halten Sie für vielversprechend?
Wir testen zunächst die unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten von Wasserstoff ab Frühjahr 2019 mit dieser Anlage über die kommenden vier Jahre. Wenn die Ergebnisse passen wäre dann eine Anlage mit der etwa zehnfachen Kapazität der nächste Schritt. Wenn auch die funktioniert, könnte in den 2030er Jahren eine großtechnische Anlage Wasserstoff für verschiedene Einsatzbereiche am Standort Linz produzieren. Hauptmotivation ist die Reduktion der CO2-Emmissionen. Mit Erdgas als Energieträger - wie in unserer Direktreduktionsanlage in Corpus Christi - liegt der CO2-Ausstoß bereits 40 Prozent unter dem von Kohle. Mit einem hohen Wasserstoffanteil lässt sich das noch einmal reduzieren. Voraussetzung ist allerdings Kostenneutralität gegenüber herkömmlichen Prozessen.
Herr Eder, in Anbetracht all dieser Entwicklungen - schmerzt es Sie da nicht, das Unternehmen im Juli 2019 zu verlassen?
Es gibt für jeden ein Ablaufdatum und ich möchte mir das Ablaufdatum nicht von anderen mitteilen lassen. Es war also meine sehr persönliche Entscheidung. Hätte der Aufsichtsrat ein Problem gehabt, einen Nachfolger zu finden, hätte ich das vielleicht noch einmal überdacht. Aber ich bin nächstes Jahr 41 Jahre bei voestalpine, ich habe alles erlebt, von der Pleite in den 1980-iger Jahren bis zu den sehr guten Jahren jetzt. Bei aller Verbundenheit mit dem Unternehmen bin ich zum Schluss gekommen, dass es an der Zeit ist, die Führung in jüngere Hände zu geben, da gibt es hervorragende Kollegen. Auch andere haben gute, hoffentlich sogar bessere Ideen. Aber es war mir bei allen Herausforderungen natürlich eine Freude, das Unternehmen so lange Jahre zu führen. Rückblickend war es eine unglaubliche Zeit, die Wiederauferstehung des Unternehmens nach dem Niedergang in den 1980iger-Jahren eine beeindruckende Gemeinschaftsleistung.
Aber Sie bleiben dem Unternehmen erhalten?
Wenn Aufsichtsrat und Hauptversammlung im kommenden Jahr das wollen, stehe ich als Aufsichtsratsmitglied zur Verfügung und würde so das Unternehmen in der neuen Führungsstruktur noch abseits des operativen Geschäftes begleiten. An der Kernstrategie wird sich wahrscheinlich nicht viel ändern. Die haben meine verbleibenden fünf Vorstandskollegen und ich ja gemeinsam entwickelt. Dass sie weitere fünf Jahre bleiben, garantiert Kontinuität und Berechenbarkeit. Zwölf Monate müssen Sie mich aber noch aushalten.