In der Generaldebatte der Wirecard-Hauptversammlung haben Aktionärsvertreter und Sprecher von Fondsgesellschaften wie DWS und Deka Investment dem Vorstand Untätigkeit und Ignoranz vorgeworfen, auf die Vorwürfe der Bilanzmanipulation angemessen zu reagieren. Die Compliance-Strukturen entsprächen nicht den Anforderungen eines DAX-Konzerns. Zudem sei "das Twittern von Kapitalmarktinformationen im Stile des Weißen Hauses" unangemessen, kritisierte DWS-Sprecher Ingo Speich den Vorstandschef persönlich. Braun hatte zuletzt Anfang Juni auf dem Kurznachrichtendienst Twitter über ein "herausragendes erste Halbjahr" berichtet und damit für einen Kurssprung der Aktie gesorgt.
Auch die Sprecherin der Aktionärsvereinigung DSW, Daniela Bergdolt, übte auf der ersten Hauptversammlung von Wirecard als DAX-Konzern deutliche Kritik. "Herr Braun, Sie gehen über die Vorwürfe mit einem Handstrich hinweg, das geht so nicht", sagte Bergdolt an die Adresse des Vorstandschefs.
"Meine Haupt-Kritik am Wirecard-Management und dem Aufsichtsrat ist die fehlende Transparenz und Information der Öffentlichkeit". Wirecard sei immer ein Getriebener. "Man gibt immer nur das zu, was schon bekannt ist. Warum sind sie nicht konsequenter gegen die Shortseller vorgegangen? Stattdessen stampfen sie wie ein trotziges Kind mit dem Fuß auf. Das Risikomanagement und die Compliance bei Wirecard haben gravierend versagt."
Der Vorstand hätte frühzeitig Strukturmaßnahmen ergreifen müssen, das sei nicht geschehen. Deshalb werde sie Vorstand und Aufsichtsrat bei der anschließenden Abstimmung nicht entlasten. Damit blieb sie die einzige Rednerin, die Nichtentlastung forderte.
Zwischenzeitlich wurde die Präsenz der Aktionäre vermeldet: 57,19 Prozent des Grundkapitals waren auf der heutigen Wirecard-Hauptversammlung vertreten. Mehrere Aktionärsvertreter zeigten sich bei ihrem Vortrag auch hin und hergerissen angesichts der guten Geschäftszahlen des Zahlungsabwicklers, der seine Jahresprognose erst vor Kurzem angehoben hatte. "Bei solchen Zahlen würde man den Vorstand normalerweise auf einer Sänfte hereintragen", klagte einer der Redner.
Dagegen bombardierte Ingo Speich von Deka Investment den Vorstand mit einem regelrechten Stakkato an Vorwürfen: Der einstige Hoffnungsträger Wirecard sei "zum Spielball der Märkte" geworden. Kernproblem bleibe "zu wenig Transparenz im Geschäftsmodell und der Kommunikation". Den kritischen Berichten habe Wirecard wenig entgegensetzen können. "Sie sind immer ein Getriebener." Die internen Strukturen müssten endlich der Größe des Unternehmens und dem Standard eines DAX-Konzerns mit 19 Milliarden Euro Marktkapitalisierung angepasst werden.
Speich kritisierte auch die Funktion von Braun im Unternehmen. Man respektiere zwar die Leistung des Chefs und Mitgründers für das Unternehmen. "Aber bei Ihnen liegt eine nicht mehr tolerierbare Machtkonzentration vor. Geben Sie einen Teil der Macht an einen Technologievorstand ab." Braun ist nicht nur Vorstandschef, sondern mit rund acht Prozent auch größter Einzelaktionär des DAX-Konzerns. Der Deka-Sprecher stimmte am Ende dennoch für die Entlastung des Vorstands, verbunden mit der "dringenden Aufforderung, das Unternehmen besser aufzustellen".
Vorstandschef Braun: "Kursturbulenzen sind gute Einstiegsmöglichkeiten"
In seiner rund einstündigen Antwort auf die Aktionärsfragen wies Braun die erhobenen Vorwürfe zurück. Er versuchte, das Geschäftsmodell von Wirecard weiter zu erläutern, das im Kern in einer Kombination aus technischer Dienstleistung und Risikoübernahme bestehe. Zu den Vorwürfen der Bilanzmanipulationen in Asien ergänzte Braun, es habe etwa 110 Einzelvorwürfe bei Transaktionen gegeben, die sich nach interner und externer Prüfung nicht bestätigt hätten. Die Compliance-Vorwürfe seien damit zu hundert Prozent widerlegt. Braun sagte, man sei das Thema richtig angegangen und habe frühzeitig eine externe Prüfung eingeleitet. Zu noch laufenden Ermittlungen in Singapur sagte Braun, man sehe dort keine Risiken mehr für Wirecard.
Zu den Kommunikationsproblemen sagte Braun, man sei ein Wachstumsunternehmen und arbeite permanent an einer Verbesserung des Berichtswesens, um den Ansprüchen gerecht zu werden.
Am Ende ging der Wirecard-Chef noch auf die Aktie ein, die nach den Vorwürfen stark eingebrochen war und sich inzwischen wieder deutlich erholt hat. Den hohen Kursschwankungen kann Braun offenbar positive Aspekte abgewinnen: "Volatile Situationen sind immer auch gute Einstiegsmöglichkeiten", sagte er, worauf viele Aktionäre spontan mit Beifall antworteten. Er hat offenbar immer noch viele Fans unter den Wirecard-Anteilseignern.