Die Aufklärung des Bilanzskandals um Wirecard zieht immer weitere Kreise. Während in Berlin neuerliche Sitzungen des Bundestags-Finanzausschusses für 31. August und 1. September anberaumt wurden, geraten neben der Finanzaufsicht Bafin auch die Wirtschaftsprüfer EY des pleitegegangenen Zahlungsabwicklers immer stärker ins Schussfeld. Beobachter ziehen bereits Parallelen zum Bilanzfälschungskandal um den US-Energiekonzern Enron im Jahr 2002: Die damals involvierte renommierte US-Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Arthur Andersen musste am Ende ihren Betrieb einstellen und existiert heute nicht mehr.
Im Fall Wirecard ermittelt inzwischen auch die beim Bundeswirtschaftsministerium angesiedelte Wirtschaftsprüfer-Aufsicht APAS gegen EY. Demnach nimmt die APAS die Abschlüsse der Jahre 2015 bis 2019 dahingehend unter die Lupe, ob bei der Prüfung durch EY die gesetzlichen Vorgaben eingehalten wurden.
In der Wirecard-Bilanz fehlen 1,9 Milliarden Euro, weswegen der Zahlungsabwickler Insolvenz anmelden musste. Es ist einer der größten Skandale in der Finanzbranche überhaupt. EY hatte über Jahre die Bilanzen von Wirecard geprüft. "Wir unterstützen alle Untersuchungen im Fall Wirecard", sagte ein EY-Sprecher.
Wurde Wirecard geschont?
Neben den Anschuldigungen gegen die Wirtschaftsprüfer wird der Finanzaufsicht Bafin vorgehalten, Wirecard sei auch deshalb nicht konsequent beaufsichtigt worden, weil die Bundesregierung das Unternehmen als aufstrebenden "nationalen Champion" praktisch unter Artenschutz gestellt habe.
Diesen Vorwurf erhebt der FDP-Bundestagsabgeordnete Florian Toncar im Interview mit €uro am Sonntag. "Wirecard galt als digitales Vorzeigeunternehmen Deutschlands und wurde als solches nicht nur politisch unterstützt, sondern wir haben den Verdacht, dass es auch in der Aufsicht deshalb besonders geschont oder zu wohlwollend geprüft worden ist", sagt Toncar, der sich für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der Vorgänge einsetzt.
Ein solcher Ausschuss könne Zeugen vernehmen wie ein Gericht und erhalte vollständige Akteneinsicht, etwa bei der Bafin. "Der Verdacht, dass Wirecard von der Aufsicht bewusst geschont wurde, ließe sich durch genaue Sichtung von Akten der Bafin erhärten", so Toncar.
Schon jetzt gebe es dafür klare Indizien: "So richteten sich die Ermittlungen der Bafin wegen Kursmanipulation sehr lange ausschließlich gegen Journalisten der ,Financial Times‘. Wir sehen das als Zeichen, dass dahinter auch eine politische Absicht steht, einen nationalen digitalen Champion nicht anzugreifen - mit dem Risiko, dass kriminelle Vorgänge nicht entdeckt werden."