"Die wirtschaftliche Lage der Wirecard AG war und ist angesichts der fehlenden Liquidität und der bekannten skandalösen Begleitumstände äußerst schwierig", sagte Insolvenzverwalter Michael Jaffe am Dienstag. Die üblichen Umbau- und Sparmaßnahmen seien nicht ausreichend, um den Konzern zu erhalten. Um eine Verwertung des Kerngeschäfts möglich zu machen, seien tiefe Einschnitte erforderlich.
Rund 730 Beschäftigte erhalten deshalb die Kündigung, wie Jaffe erklärte. 570 Arbeitnehmer - darunter 220 Beschäftigte der nicht insolventen Wirecard Bank - blieben am Standort Aschheim bei München beschäftigt. Zahlreiche Mitarbeiter haben den Konzern in den vergangenen Monaten bereits freiwillig verlassen, viele wurden von Wettbewerbern wie Adyen und HeidelPay abgeworben.
Von den Kündigungen betroffen sind auch die Verträge der verbliebenen Vorstände. Die für Produkte zuständige Vorständin Susanne Steidl und Finanzchef Alexander von Knoop sind nach der Insolvenzanmeldung im Juni an Bord geblieben. Ex-Chef Markus Braun sitzt in Haft, Asien-Vorstand Jan Marsalek ist auf der Flucht. Gegen diese vier sowie andere Manager wird unter anderem wegen Betrugs ermittelt. Auch der Amerikaner James Freis, der erst im Juni zu Wirecard kam und nach dem Rücktritt von Braun zu dessen Nachfolger ernannt wurde, geht. Insider rechnen damit, dass nun auch bald die Mitglieder des Aufsichtsrats ihre Mandate niederlegen werden. Wirecard wollte sich dazu nicht äußern.
MILLIARDENSCHWERER SCHULDENBERG
Damit ist die vor rund zwei Jahrzehnten gegründete Wirecard, die sich auf die Abwicklung von Zahlungen bei Händlern und im Internet spezialisiert hatte, so gut wie Geschichte. In wenigen Jahren hatte sie es in den Dax geschafft und war mit einem Börsenwert von rund 25 Milliarden Euro zeitweise mehr wert war als die Deutsche Bank. Im Juni meldete Wirecard Insolvenz an, nachdem Wirtschaftsprüfer 1,9 Milliarden Euro, die angeblich auf Konten in Asien liegen sollten, nicht auffinden konnten. Nach Erkenntnissen der Münchner Staatsanwaltschaft haben die Manager von Wirecard die Bilanz mit Luftbuchungen über Jahre künstlich aufgebläht und damit Verluste im Kerngeschäft kaschiert. Allein Banken und Investoren seien um mehr als drei Milliarden Euro geprellt worden. Auf den Konzern, den Prüfer EY und die Aufsichtsbehörden rollt eine Klagewelle zu. Auch Jaffe prüft mögliche Schadensersatzansprüche.
Wirecard habe Ressourcen aufgebaut für nur vermeintliches Wachstum, zahlreiche Gesellschaften erworben, diese schleppend integriert und erhebliche Überkapazitäten geschaffen, erklärte Jaffe. Dies habe zu hohen Verlusten geführt. Der Rechtsanwalt kümmert sich nun mit seinem Team um die Resteverwertung. Im Verkaufsprozess, der auch die Wirecard Bank einschließt, gebe es Gespräche mit "mehreren namhaften Interessenten". Verhandlungen über die US-Tochter seien weit fortgeschritten. Die Tochter in Brasilien wurde bereits an den Zahlungsdienstleister PagSeguro Digital verkauft.
Das Amtsgericht München eröffnete am Dienstag das Insolvenzverfahren über die Wirecard AG und sechs ihrer Töchter. Ab nun müssen die Gehälter wieder aus der Firmenkasse bezahlt werden und nicht mehr von der Arbeitsagentur. Damit steigt der Druck auf Jaffe, schnell Ergebnisse zu liefern, denn er darf keinen weiteren Verluste anhäufen, die zulasten der Gläubiger gehen. Diese können ihre Forderungen nun bis zum 20. Oktober Forderungen beim Insolvenzverwalter anmelden. Es ist allerdings unklar, wie viel sie davon je wiedersehen. Der Verkauf der einzelnen Firmenteile könnte nach Schätzungen von Insidern etwa ein Zehntel der ausstehenden Forderungen einbringen.
Die Aktionäre stehen am Ende der Schlange und dürften von dem Erlös aus der Zerschlagung gar nichts sehen. Die Wirecard-Aktie, die zu Hochzeiten bei fast 200 Euro notierte, ist längst zum Spekulationsobjekt verkommen. Am Dienstag fiel sie um mehr als sieben Prozent auf 1,16 Euro.
rtr