LONDON (dpa-AFX) - Das Kommunikationsdesaster um die Wirksamkeit seines Impfstoffs hat dem Ansehen des britisch-schwedischen Herstellers Astrazeneca geschadet. An der Börse geht es seit Monaten tendenziell abwärts, obwohl die Impfung besser ist als ihr Ruf. Übersehen wird dabei wohl auch, dass der Konzern mit einer Milliardenübernahme alle Weichen für weiteres Wachstum gestellt hat. Zur Lage des Unternehmens, was die Analysten sagen und was die Aktie macht.

DAS IST LOS BEI ASTRAZENECA:

Astrazenecas Impfung spaltet. In Großbritannien soll es Menschen geben, die den ursprünglich von der Universität Oxford entwickelten Wirkstoff fast schon als eine Art "Nationalheiligtum" betrachten. In der übrigen Welt ist die Sicht wohl etwas differenzierter. Hierzulande etwa wurde das Vakzin in der öffentlichen Wahrnehmung vom anfänglichen Hoffnungsträger schnell zum Schreckgespenst. Denn kaum ein anderer Impfstoff sorgt schon seit Monaten für so viel Verwirrung.

Man erinnere sich: Zunächst unterbrach Astrazeneca im Herbst seine Studien, da ein Teilnehmer der Tests in Großbritannien gesundheitliche Probleme bekommen hatte. Danach sorgte die Präsentation der Forschungsergebnisse im November für Konfusion. Denn die Probanden hatten in zwei Teilstudien - zunächst aus reinem Zufall - verschiedene Dosierungen erhalten, was zu höchst unterschiedlicher Wirkung führte. Dadurch errechnete sich aber ein deutlich geringerer Schutz etwa im Vergleich zum mRNA-Impfstoff von Biontech und Pfizer .

Experten bemängelten zudem die vergleichsweise geringe Zahl älterer Studienteilnehmer. Die wichtigste Nachricht ging dabei glatt unter: Dass das Vakzin zu hundert Prozent vor einem schweren Krankheitsverlauf und einer Einlieferung ins Krankenhaus schützt.

Astrazeneca hat einiges unternommen, um den Fauxpas wieder auszubügeln. Kommunikativ hat der Konzern in der Folgeberichterstattung umgesteuert. Doch der Erfolg kommt mit Verzögerung - und liegt womöglich auch im größeren Vertrauen Großbritanniens in den heimischen Anbieter begründet. Das Mittel wurde dort früher als in der EU zugelassen und wird dort auch an ältere Senioren verabreicht. Auch auf Basis der britischen Ergebnisse, die mit einem vergleichsweise langen Impfintervall von 12 Wochen auskommen, wird andernorts nun scheibchenweise nachjustiert. In Deutschland etwa sprach sich die Zuständige Impfkommission (Stiko) erst vor wenigen Tagen für eine Anwendung auch bei Menschen ab 65 Jahren aus.

Obwohl weitere Studien und die Impferfolge in Großbritannien auf eine vielversprechende Wirksamkeit deuten, halten sich hartnäckig Zweifel. In Deutschland etwa verzögert sich die Impfkampagne auch deshalb, weil Berechtigte mit dem Astrazeneca-Stoff just nicht gepikst werden wollen. Gleichzeitig haben Meldungen aus Schweden über durchaus übliche, aber gehäuft aufgetretene Nebenwirkungen wie Fieber das Negativ-Image weiter verfestigt. Viele Menschen dürften auch von der jüngsten Nachricht aus Österreich verunsichert worden sein, wo nach einem Todesfall und eher unüblichen Nebenwirkungen eine Charge aus dem Verkehr gezogen wurde.

On top kommt der Lieferstreit mit der EU, der sich an der vermeintlichen "Britain First"-Strategie des Konzerns entzündete. Dass Italien nun selbst Astrazeneca-Exporte nach Australien blockiert, lässt diese Auseinandersetzung indes mittlerweile in einem etwas anderen Licht erscheinen.

Unter der Last der Impfstoffnachrichten geraten derzeit andere wichtige Neuigkeiten zum Unternehmen ins Abseits. Etwa, dass der Konzern mit der im vergangenen Dezember angekündigten Übernahme des US-Pharmakonzerns Alexion für 39 Milliarden Dollar in das Feld seltener Krankheiten vordringt.

Alexion hat nach Einschätzung von Beobachtern einige interessante Produktkandidaten im Portfolio. Astrazeneca selbst hat bereits seit einiger Zeit das als lukrativer geltende Krebsgeschäft zu seinem Schwerpunkt erklärt. Noch recht junge Mittel wie Imfinzi, Tagrisso und Lynparza steuerten im Geschäftsjahr 2020 bereits rund die Hälfte der Konzernerlöse bei. Insgesamt konnte Astrazeneca Umsatz und Gewinn so deutlich steigern und will in diesem Jahr auch dank Alexion weiter zulegen.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Analysten ließen sich zuletzt nur wenig über Astrazenecas Rolle als Corona-Impfstoffhersteller aus. Bei den Experten spielten vor allem die Jahreszahlen, die Ziele für 2021 und die Übernahme eine große Rolle. Das sagt viel darüber aus, wie verzerrt die Wahrnehmung des Konzerns inzwischen in der Öffentlichkeit ist. Interessanterweise sind die Branchenkenner der Aktie auch viel stärker zugetan, als es der gedämpfte Kursverlauf vermuten lässt.

So sprach Ende Februar etwa die Schweizer Bank UBS eine Kaufoption aus und erhöhte ihr Kursziel auf 8000 Pence. Die Übernahme von Alexion sei weniger strategischen Zweckes, schrieb Analyst Michael Leuchten, sie markiere aber wohl einen Wendepunkt bei der Barmittelschöpfung und der Dividende. Zudem rechnet er mit höheren Margen. Die Integration von Alexion sollte Astrazeneca nach Einschätzung des Experten ein überlegenes Wachstum bringen.

Emmanuel Papadakis von der Deutschen Bank glaubt indes, dass der Aktienmarkt wohl noch eine Zeit brauchen werde, um die Vorteile der Alexion-Übernahme wirklich zu schätzen. Aber auch abseits des Zukaufs sieht der Experte Positives. So deute der Jahresausklang des Pharmakonzerns auf eine gute Entwicklung im Jahr 2021 hin. Auch Papadakis empfiehlt den Kauf der Aktie und gehört mit einem Kursziel von 10 000 Pence derzeit zu den größten Optimisten.

Ein standhafter Zweifler ist hingegen Goldman-Analyst Keyur Parekh. Er votiert bereits seit Jahren für einen Verkauf des Papiers und setzt entsprechend einen vergleichsweise niedrigen fairen Wert für die Aktie bei 6800 Pence an. Mit seinem Negativ-Votum ist Parekh derzeit aber allein. Die Nachrichtenagentur Bloomberg listet derzeit neun von zwölf Analysten mit einem Kaufvotum auf, die sich seit Ende Februar zu Astrazeneca geäußert haben. Zwei weitere stimmen für Halten.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Das Gemisch aus Hoffnung und Enttäuschung spiegelt sich auch im Börsenchart von Astrazeneca deutlich wider: Im vergangenen Jahr hatte das Papier den Corona-Crash schnell hinter sich gelassen, als die Aussicht auf einen Impfstoff offenbar wurde. Vom März-Tief bei 5871 Pence war es bis Mitte Juli auf ein Hoch bei 10 120 Pence gegangen - damals waren erste vielversprechende Studienergebnisse in einem medizinischen Fachjournal veröffentlicht worden.

Doch seitdem befindet sich die Aktie wieder auf Abwärtskurs - immer wieder nur kurzzeitig unterbrochen von Perioden mit Auftrieb. Rückenwind verschafften zwischendurch etwa die allgemein guten Nachrichten auch der Konkurrenz zu Impfstoffen sowie auch Astrazenecas eigener Zulassungsantrag. Doch insgesamt zeigt sich die Last der vermeintlichen Enttäuschung als ein erdrückender Faktor.

Seit dem Juli-Hoch hat die Aktie bis dato knapp ein Drittel an Wert eingebüßt. Seit Jahresbeginn hält sich der Verlust mit knapp zwei Prozent zwar noch in überschaubaren Bahnen; der britische FTSE 100 und der Stoxx Europe 50 , in dem das Papier gelistet ist, haben in diesem Zeitraum jedoch jeweils leicht zulegen können.

Auch auf Jahressicht bleibt das Papier mit einem Aufschlag von knapp vier Prozent deutlich hinter dem europäischen Auswahlindex oder dem Branchenindex Stoxx 600 Healthcare zurück. Mit einer Marktkapitalisierung von derzeit umgerechnet 110 Milliarden Euro gehört der Konzern zu den wertvollsten europäischen Pharmawerten./tav/eas/zb

Quelle: dpa-Afx