BERLIN (dpa-AFX) - Erst waren da Lieferando, dann kamen Wolt und Uber Eats hinzu, die zwischen Kunden und Restaurants vermitteln wollen. Mittlerweile radeln zudem in Berlin Gorillas, Flink und Getir um die Wette und gegen die Zeit, um Waren innerhalb weniger Minuten bis an die Haustür zu liefern. Und während die Luft in der Hauptstadt für das Zustellgeschäft immer dünner wird, stört der Dax-Konzern Delivery Hero mit seiner Marke Foodpanda die Party in der Hauptstadt. Dabei will das Unternehmen einiges anders und vielleicht sogar neu machen. Was Delivery Hero umtreibt, was Analysten sagen und wie sich die Aktie macht.

DAS IST LOS BEI DELIVERY HERO:

Mit dieser Nachricht hatte kaum einer gerechnet: Als einziges Dax-Unternehmen ohne Deutschlandgeschäft verkündete Delivery Hero Mitte Mai seine Rückkehr nach Deutschland. 2019 hatte der Konzern sein Geschäft hierzulande (Foodora, Lieferheld, Pizza.de) an den damaligen niederländischen Konkurrenten Takeaway.com - heute Just Eat Takeaway (Lieferando) - verkauft.

Foodpanda, so der Name der neuen Marke, solle neben Restaurantbestellungen auch die Möglichkeit bieten, Blumen, Schuhe, Zahnpasta und vieles mehr binnen sieben Minuten geliefert zu bekommen. Die Marke war bislang vor allem im asiatischen Raum stark vertreten. Nach einem mehrwöchigen Test in Berlin kündigte Delivery Hero nun an, seine Dienste ab Herbst auch in Frankfurt/Main, Hamburg und München anzubieten.

Für den Heimatmarkt hat sich Delivery-Hero-Chef Niklas Östberg keinen Unbekannten herausgesucht. Artur Schreiber verantwortet seit wenigen Wochen das Deutschland-Geschäft und war zuvor dreieinhalb Jahre lang verantwortlich für die Österreich-Tochter mjam. Er hofft, dass die Deutschen mittlerweile auch im Zuge der Corona-Pandemie anders mit Zustelldiensten umgehen. "Ich glaube schon, dass die Kunden mittlerweile auch dafür bereit sind, eine kleine Liefergebühr zu bezahlen."

Der 35-Jährige vermutet, dass diese Bereitschaft auch nach der Krise beibehalten wird. "Die Leute erkennen den Mehrwert der Lieferung." Damit meint er weniger die Lieferung von Pizza und Sushi nach Hause, sondern eher den potenziellen Komfort für Foodpanda-Kunden, die von zu Hause aus ihren Supermarkt- oder Wocheneinkauf in wenigen Minuten erledigen können.

Insgesamt erinnert das Modell Foodpanda gar nicht mehr an einen Lieferdienst nach dem Modell Lieferando, sondern einem Marketplace für allerlei à la Amazon. So will die Delivery-Hero-Tochter nicht nur Restaurantbestellungen ausliefern und Einkäufe zustellen, sondern auch lokale Geschäfte an sich binden und ihnen die digitale Infrastruktur anbieten und in der App listen. Zudem entwickelt das Unternehmen bereits Eigenmarken wie die Kaffeemarke "Everyday Roastery". "Wir wollen Tante-Emma-Läden beim Einstieg in die digitale Welt helfen", wirbt Schreiber.

Also alles wie der US-Gigant Amazon , nur schneller und effektiver mit einer besseren App samt knuddeligem Panda als Maskottchen? Tatsächlich werden die wenigsten Einzelhändler eine eigene, effiziente Logistik ohne großen Partner auf die Reihe bekommen. Schreiber spricht von möglichen Zusatzerlösen von 20 bis 30 Prozent, die kleine Geschäfte durch die Listung in der Foodpanda-App generieren könnten. So würden die Läden auch jene Kunden erreichen, die keine Lust zum Einkaufen haben oder aus Angst vor dem Coronavirus nicht mehr in die Innenstadt gehen. "Wenn man das so sieht, dann sind wir sogar eher ein Amazon-Konkurrent", sagt Schreiber.

Angst vor der Verdrossenheit der Deutschen im Umgang mit digitalen Lösungen hat der frischgebackene Foodpanda-Chef unterdessen nicht. "Der Digitalisierungsgrad im deutschen Einzelhandel im Vergleich zu Asien oder Nordeuropa ist schwach, aber die Geschäfte sind mittlerweile deutlich offener als noch vor zwei, drei Jahren." Der stationäre Einzelhandel sei sich inzwischen bewusst: "Wenn ich nicht irgendwelche Lösungen finde, dann habe ich einfach ein Problem, weil Amazon nicht zurückschrecken wird. Das wird nicht passieren und das ist jedem klar."

Natürlich lässt sich Foodpanda seine reichweitenstarke Listung in der App, die wohl vor allem bei techaffinen, jungen Menschen funktionieren wird, entsprechend vergüten. Auf Nachfrage sagte eine Unternehmenssprecherin, dass sich Foodpanda an der marktüblichen Provision von rund 30 Prozent bei einer Lieferzustellung orientiere. Das wäre in etwa so viel, wie der Platzhirsch Lieferando - eine Tochter der niederländischen Just Eat Takeaway - für die Bestellung und Lieferung durch firmeneigene Fahrer verlangt. Bestellt der Kunde allerdings bei Lieferando und holt sein Essen selbst ab, verdient das Unternehmen nach Angaben eines Sprechers nichts.

Delivery-Hero-Chef Niklas Östberg zeigte sich unterdessen zuversichtlich, dass der deutsche Markt viele Chancen offeriere. "Für uns ist das ein langfristiger Plan. Wir werden nicht in einem Jahr Marktführer sein, aber wir denken zehn Jahre voraus." An diesem Donnerstag (12. August) stehen aber zunächst erste Zahlen zum zweiten Quartal an. Analysten rechnen damit, dass der Konzern erneut deutlich auf Kurs zu seinen Jahreszielen ist.

Delivery Hero rechnet 2021 mit einem Umsatz von 6,1 bis 6,6 Milliarden Euro nach vergleichbaren rund 3,5 Milliarden im Vorjahr. Der Bruttowarenwert (GMV) soll auf 31 bis 34 Milliarden Euro steigen - das wäre ein Plus von bis zu 56 Prozent. Östberg setzt weiter voll auf Wachstum und stellt dabei einen möglichen Gewinn hinten an. Immerhin soll das Geschäft 2021 nicht mehr so unprofitabel sein wie zuletzt. So soll die Marge gemessen am bereinigten operativen Ergebnis im Verhältnis zum Bruttowarenwert bei minus 1,5 bis minus 2 Prozent liegen. Im vergangenen Jahr hatte der Wert auf vergleichbarer Basis bei minus 2,7 Prozent gelegen.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Ohne eine einzige Ausnahme sind sich alle von dpa-AFX erfassten Experten einig: Anleger sollten bei den Aktien von Delivery Hero zugreifen. Dabei sehen alle elf Analysten seit der Ankündigung von Foodpanda für die Papiere noch Luft nach oben. Am konservativsten ist dabei noch NordLB mit 130 Euro, zu der der Kurs nur noch wenige Euro benötigt. Am optimistischsten ist dagegen die Investmentbank JPMorgan, die ein Kursziel von 212 Euro ausgelobt hat. Im Schnitt kommt ein Ziel von rund 165 Euro zusammen.

Noch vorsichtig, aber mit Kaufempfehlung, gab NordLB zuletzt zu bedenken, der Einzelhandelssektor sei in den vergangenen Monaten stark von den Lockdown-Maßnahmen belastet worden. Eine Ausnahme seien dabei der Online- und Lebensmittelhandel, schrieb Analyst Alexander Zienkowicz. Er erwarte aber eine Verbesserung aufgrund der Lockerungen - doch ein Update traute er sich bislang nicht zu.

Berenberg-Analystin Sarah Simon rechnet dagegen mit stetigen Verbesserungen der Profitabilität, sofern Delivery Hero die Kosten für Essensauslieferungen reduzieren kann. Auch Andrew Wood vom US-Analysehaus Bernstein Research geht davon aus, dass der Konzern "sich in Richtung Profitabilität" bewegt und ohnehin viel Marktmacht habe.

Analystin Victoria Petrova von der schweizerischen Bank Credit Suisse ist der Meinung, dass die Aussichten für das dritte Quartal ermutigend seien, weil es für den Monat Juli bereits erste positive Signale gegeben habe. Marcus Diebel von JPMorgan rechnet damit, dass es in der Branche zu weiteren Konsolidierungen kommen könnte: Die Übernahmeaktivitäten dürften anhalten. Mit 212 Euro ist er am hoffnungsvollsten.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die Corona-Pandemie hatte die seit 2017 an der Börse notierte Aktie Anfang des Jahres bis auf das Rekordhoch von 145,50 Euro getrieben - seitdem ist aber die Luft raus. So bietet sich beim Blick auf die Gewinner und Verlierer im Dax in diesem Jahr ein zuletzt ungewohntes Bild. Das Papier von Delivery Hero gehört mit einem leichten Abschlag zu den Verlierern im deutschen Leitindex. 2020 war Delivery Hero mit einem Plus von 80 Prozent noch der größte Gewinner gewesen.

Das noch junge Berliner Unternehmen war erst im Sommer in den Kreis der 30 Dax-Konzerne aufgenommen worden. Der Aufstieg war umstritten, weil Delivery Hero zu dem Zeitpunkt gar kein Geschäft in Deutschland hatte und vor allem weil das Unternehmen tief in den roten Zahlen steckte. Die Kritik daran war einer der Gründe für die Dax-Reform der Deutschen Börse. Inzwischen können nur noch Unternehmen in den deutschen Auswahlindex aufsteigen, wenn sie operativ profitabel sind.

Für Delivery Hero selbst hat das allerdings keine Auswirkung - so lange die Marktkapitalisierung hoch genug ist, dürfen die Berliner im Dax bleiben. Mit einem Börsenwert von gut 31 Milliarden Euro liegt Delivery Hero derzeit auf dem 18. Rang im Dax und damit im soliden Mittelfeld des deutschen Leitindex. Da dieser im September zudem von 30 auf 40 Unternehmen erweitert wird, droht von dieser Seite keine Gefahr.

Das defizitäre Unternehmen lässt eine Reihe von Dax-Unternehmen hinter sich - wie zum Beispiel den Autozulieferer Continental , die Deutsche Börse oder die Deutsche Bank . Und auch im europäischen Branchenvergleich steht Delivery Hero gut da: So kommt Just Eat Takeaway , zu dem auch die deutsche Marke Lieferando gehört, auf gut 16 Milliarden Euro. Der erst vor kurzem an die Börse gegangene Lieferdienst Deliveroo aus England kommt gerade mal auf sechs Milliarden Pfund oder umgerechnet sieben Milliarden Euro.

Den Kurs von Deliveroo hatte Delivery Hero Anfang der Woche selbst nach oben getrieben. Am Montag war bekannt geworden, dass sich der deutsche Konzern mit fünf Prozent an dem britischen Unternehmen beteiligt hat. Dies befeuerte kurzfristig Fusionsspekulationen. Diesen erteilte Östberg aber via Twitter eine Absage. Zum jetzigen Zeitpunkt sei kein weiterer Kauf von Anteilen geplant, sagte er. Die Beteiligung sei eine gute Investmentmöglichkeit, nachdem der Deliveroo-Kurs nach dem Börsengang so abgestürzt sei.

Auch Delivery Hero hatte es an der Börse zu Beginn nicht leicht. Ausgehend vom Platzierungspreis von 25,50 Euro ging es zwar anders als bei Deliveroo in den ersten Handelstage nicht groß nach unten, aber bis Ende 2018 auch nicht besonders stark nach oben. Etwas mehr Schwung kam dann 2019 herein - da zog der Kurs bis zum Jahresende auf 70 Euro an. Im Corona-Crash ging es dann zunächst auf 50 Euro nach unten, bevor der Ansturm auf die Papiere einsetzte.

Größter Aktionär von Delivery Hero ist der südafrikanische Medienkonzern Naspers . Dieser hielt einer Aufstellung der Nachrichtenagentur Bloomberg zufolge zuletzt knapp 25 Prozent der Anteile, die Investmentfirma Baillie Gifford kommt demnach auf rund neun Prozent. Rund zwei Drittel der Aktien befinden sich im Streubesitz./ngu/zb/he

Quelle: dpa-Afx