BERLIN (dpa-AFX) - Die Ampel-Koalition will angesichts steigender Preise nach Angaben von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich noch vor der parlamentarischen Sommerpause über weitere Entlastungen entscheiden. Trotz der beiden, schon verabschiedeten Entlastungspakete wisse man, dass wegen steigender Energie- und Nahrungsmittelpreise insbesondere die Mitte der Gesellschaft noch weitere Entlastungen brauche, sagte Mützenich dem Nachrichtenportal t-online. Auf die Frage, ob er für den Vorschlag sei, die Energiepauschale von 300 Euro auch Rentnern zu zahlen, sagte er: "Das kann ich mir vorstellen. Aber das werden wir gemeinsam besprechen und entscheiden."
Auch Landwirtschaftsminister Cem Özdemir hält weitere Hilfen für nötig. Der "Welt am Sonntag" sagte der Grünen-Politiker: "Mir macht die aktuelle Preisentwicklung bei Lebensmitteln aufgrund des Ukraine-Kriegs Sorgen." Die Bundesregierung habe sofort Entlastungspakete geschnürt, um auf die Folgen des Krieges zu reagieren. "Und wenn es so weitergeht, dann kann ich Ihnen sagen: Nach dem Entlastungspaket ist vor dem Entlastungspaket."
Bundesfinanzminister und FDP-Chef Christian Lindner nannte die Inflation "die größte Gefahr für die wirtschaftliche Entwicklung und den sozialen Frieden" im Land: "Deshalb muss bei allen wichtigen Aufgaben ihre Bekämpfung Priorität haben", sagte Lindner der "Passauer Neuen Presse" (Samstag). Lindner könnte sich eine Steuerentlastung vorstellen. "Wir machen eine Lohn- und Einkommensteuerreform im nächsten Jahr, passen den steuerlichen Grundfreibetrag und den Steuertarif der Inflation an. Und wenn es nach mir geht, gibt es noch eine zusätzliche Entlastung für Bezieher von kleinen und mittlere Einkommen obendrauf."
Gegen einen Punkt im Entlastungspaket will der Sozialverband VdK gerichtlich vorgehen. Es geht um die Energiepauschale von 300 Euro. Die VdK-Vorsitzende Verena Bentele sagte der "Bild am Sonntag": "Arme Rentnerinnen und Rentner, aber auch pflegende Angehörige, Menschen, die Kranken- oder Elterngeld bekommen, gehen leer aus. Das verstößt gegen den Gleichheitsgrundsatz."
Der Städte- und Gemeindebund fordert, die Bürger dauerhaft von steigenden Energiepreisen zu entlasten. "Wenn man sozialen Sprengstoff vermeiden will, muss ein Schwerpunkt insbesondere bei Familien und Personen mit niedrigen Einkommen vorgesehen werden", sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg der Funke Mediengruppe. Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) forderte im "Tagesspiegel" (Sonntag): "Wir sollten nicht wieder mit der Gießkanne über die ganze Gesellschaft gehen."
Vor inflationsbedingten Mieterhöhungen will der linke Flügel der SPD Mieter mit staatlichen Eingriffen schützen. "Vonovia
Auslöser sind Äußerungen des Chefs des größten deutschen Immobilienkonzerns Vonovia, Rolf Buch. Dieser hatte dem "Handelsblatt" gesagt: "Wenn die Inflation dauerhaft bei vier Prozent liegt, müssen auch die Mieten künftig jährlich dementsprechend ansteigen." Buch hatte auf die Frage "Worauf müssen sich die Mieter der 500 000 Wohnungen von Vonovia einstellen?" geantwortet. Eine Sprecherin betonte, dass es bei den Äußerungen um die wirtschaftliche Entwicklung gehe und nicht um konkrete Ankündigungen.
SPD-Chef Lars Klingbeil nannte Mieterhöhungen wegen der Inflation unverantwortlich. "Wir sind gerade gefordert, als Land in dieser schwierigen Situation zusammenzustehen", sagte er der Funke Mediengruppe. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki warnte vor einer Intervention. "Wir brauchen mehr Wohnungen, nicht mehr staatliche Eingriffe", sagte er dem "Handelsblatt".
CDU-Chef Friedrich Merz warnte vor der Erwartung, dass der Staat alle Mehrkosten durch die Inflation kompensiert. "Nicht jede Kostenentwicklung kann durch die öffentlichen Kassen ausgeglichen werden", sagte Merz dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Die Entlastungsvorschläge der Unionsfraktion lägen auf dem Tisch. Dazu zählten die Abschaffung der Kalten Progression, eine Energiepreispauschale auch für Rentner und Studierende und die Absenkung der Stromsteuer auf den EU-Mindeststeuersatz.
Klingbeil will zudem "Krisen- und Kriegsgewinner" stärker besteuern und hat dabei Mineralölkonzerne im Visier. Es könne nicht sein, dass sich "die Mineralölkonzerne in der Krise die Taschen noch voller machen", sagte er der Funke Mediengruppe. Klingbeil zeigte sich offen für eine Übergewinnsteuer, um extreme Krisengewinne abzuschöpfen: "Eine Steuer auf Kriegs- und Krisengewinne ist ein Instrument, das auf dem Tisch liegt und das ich sehr überlegenswert finde." Grünen-Chefin Ricarda Lang hatte diese Anfang Mai vorgeschlagen./sl/DP/he
Quelle: dpa-Afx