BERLIN (dpa-AFX) - Die ersten schnellen Corona-Selbsttests für zu Hause sind zugelassen. Wie funktionieren sie ganz konkret? Was können sie beitragen zur Bekämpfung der Pandemie? Und wo liegen ihre Grenzen? Politiker, Virologen, Epidemiologen und Hersteller geben Antworten.
Was ist neu?
Antigen-Schnelltests gibt es schon länger. Bisher mussten sie aber von medizinischem Personal durchgeführt werden. Zum 1. Februar hat das Bundesgesundheitsministerium die Medizinprodukte-Abgabeverordnung geändert - und damit den Weg frei gemacht für Selbsttests zu Hause. Am Mittwoch hat das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) nun auch Sonderzulassungen für die ersten drei Tests erteilt.
Wo sind Selbsttests zu bekommen?
Die Tests für zu Hause sollen bald quasi überall zu kaufen sein - in Apotheken, Supermärkten, im Internet. Wie schnell Anbieter jetzt liefern können, muss sich zeigen - ebenso, wie sich die Nachfrage und die Preise entwickeln. Davon will Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auch abhängig machen, ob ein Zuschuss oder kostenlose Kontingente infrage kommen. Ob ein Test im Discounter 1,99 Euro oder 8,99 Euro koste, mache da einen Unterschied. Das Ministerium erwartet in den nächsten Wochen weitere Tests verschiedener Art auf dem Markt.
Hersteller halten sich vorerst bedeckt. Bei Siemens
Wie sollen die Selbsttests beim Eindämmen der Pandemie helfen?
Spahn schlägt für die weitere Corona-Strategie eine Kombination der zwei schnellen Testmöglichkeiten vor: Selbsttests könnten in konkreten Situationen Sicherheit geben, dass man nicht ansteckend ist - zum Beispiel, wenn man spontan eine Veranstaltung besuchen will, sich die Haare schneiden lässt oder ins Theater geht. Dagegen könnten Schnelltests durch geschultes Personal in Testzentren oder Apotheken zum Zuge kommen, wenn man auch einen bestätigten Ergebnis-Nachweis braucht - etwa bei Reisen oder Besuchen im Pflegeheim. Wie schnell solche Schnelltests aus geschulten Händen als Gratis-Angebot für alle kommen, wollen Bund und Länder am 3. März besprechen.
Was ist bei Heimtests anders?
Die bisher zugelassenen Schnelltests verlangen einen Abstrich mit einem langen Stäbchen tief in der Nase oder im Rachen. Sie sollen nur von geschultem Personal gemacht werden - auch, weil das für viele unangenehm ist. Aber es gibt Alternativen. Derzeit würden verschiedene Varianten der Probenahme erprobt und bewertet, heißt es beim Verband der Diagnostica-Industrie. "Eine Probenahme aus dem vorderen Nasenraum erscheint dem Abstrich aus dem tiefen Nasen-/Rachenraum ebenbürtig. Für Gurgel- oder Spucktests werden Ergebnisse zeitnah erwartet", sagt Geschäftsführer Martin Walger.
Wie läuft die Zulassung?
Anders als Impfstoffe müssen Medizinprodukte eigentlich gar nicht zugelassen werden. Der normale Weg läuft über sogenannte "benannte Stellen" etwa den TÜV. Sie erteilen eine CE-Kennzeichnung, mit der Hersteller ein Medizinprodukt europaweit in Verkehr bringen dürfen. Parallel können Hersteller eine Sonderzulassung beim BfArM beantragen. Sie ist dann auf Deutschland beschränkt und befristet, es geht aber möglicherweise schneller, wie ein BfArM-Sprecher erklärt.
Die Tests, die das BfArM derzeit prüft, sind keine neuen Produkte. Sie sind bereits auf dem Markt und werden nur zusätzlich auch für Laien zugelassen. Dafür gibt es eine Reihe von Anforderungen. "Die wesentliche Fragestellung ist: Ist der Laie in der Lage, den Test robust anzuwenden?", sagt BfArM-Sprecher Maik Pommer. Eine große Rolle spiele dabei eine verständliche Gebrauchsanweisung.
Welche Produkte kommen in Frage?
Laut BfArM sind aktuell 179 Antigen-Tests auf dem Markt. Das Paul-Ehrlich-Institut hat Mindestanforderungen festgelegt: Die Spezifität muss über 97 Prozent liegen, das heißt 97 von 100 Gesunden müssen als solche erkannt werden. Die Sensitivität soll größer als 80 sein, das heißt 80 von 100 Infizierten muss der Test erkennen.
Der Verband der Diagnostica-Industrie geht davon aus, dass sich viele Antigen-Schnelltests prinzipiell auch für die Eigenanwendung eignen. "Die Laientests müssen aber ihre Gebrauchstauglichkeit für den Laien gesondert unter Beweis stellen." Rund 30 Hersteller hatten schon Mitte Februar Anträge auf eine Sonderzulassung bei BfArM gestellt.
Was weisen solche Tests nach - und was nicht?
Antigen-Tests suchen in Abstrich-Proben nicht aufwendig nach dem Erbgut des Virus wie ein PCR-Test, sondern nach Molekülen, die charakteristisch für die Viren sind. Schnelltests schlagen am besten bei einer hohen Virenlast an. Das bedeutet, dass Menschen, die stark ansteckend sind, rasch erkennbar sind. Infizierte mit geringer Virenlast - etwa zu Beginn oder beim Abklingen der Erkrankung - werden möglicherweise nicht entdeckt.
Wie funktionieren die Schnelltests konkret?
Ein Beispieltest enthält folgende Bestandteile: Testkassetten, eine Flüssigkeit ("Extraktionspuffer)", Abstrichtupfer und Röhrchen plus Kappen. Der Tupfer muss nacheinander in beide Nasenlöcher eingeführt werden, dabei in einer Drehbewegung mehrmals über die Schleimhaut streichen. Dann zehn Tropfen der Flüssigkeit in ein Röhrchen geben, Tupfer im Röhrchen drehen und an der Wand ausdrücken, das Röhrchen verschließen. Die Testkassette flach hinlegen und vier Tropfen in die Vertiefung geben.
Ergebnisse liegen bei den meisten Tests nach 15 bis 20 Minuten vor. Das sieht aus wie bei einem Schwangerschaftstest. Zwei Striche auf dem Sichtfenster heißt positiv, einer bei "C" negativ, einer bei "T" ungültig.
Kriegen Laien das hin?
Die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek sieht bei der Handhabung durch Laien wenig Probleme: "Ich glaube einen Abstrich aus der vorderen Nase bekommt jeder hin, wenn er weiß wie er es machen soll, da reicht ja ein Video, um das einmal zu zeigen", sagte sie im NDR-Podcast "Coronavirus-Update". Welcher Test am besten für Laien geeignet ist - ob Abstrich aus der vorderen Nase, Speichel- oder Gurgeltest - "da fehlen uns einfach noch gute Untersuchungen".
Eine Gefahr sieht sie, wenn es viele falsch positive oder falsch negative Ergebnisse gibt. Das könne das Vertrauen in solche Tests zerstören und "im schlimmsten Fall zu chaotischen Zuständen führen". Falsch positive Tests können Ciesek zufolge zum Beispiel damit zu tun haben, dass es eine Kreuzreaktion mit einer bakteriellen Besiedlung in der Nase gibt. Es könnte also sein, dass bestimmte Menschen von vornherein nicht für solche Tests geeignet sind.
Was passiert, wenn das Ergebnis positiv ist?
Ein positives Ergebnis gilt laut Robert Koch-Institut (RKI) nur als "Verdacht" auf eine Infektion - für eine "Diagnose" muss ein PCR-Test das noch bestätigen. Wenn Laien sich selbst testen, stelle das auch hohe Anforderungen an das daraus resultierende selbstverantwortliche Handeln", schreibt das RKI. "Es ist erforderlich, dass sich die positiv getestete Person in Absonderung begibt, das heißt Kontakte konsequent reduziert, und sich telefonisch mit dem Hausarzt oder einem geeigneten Testzentrum in Verbindung setzt".
Ist ein negatives Ergebnis ein Freifahrtschein?
Nein, betont das RKI: "Ein negatives Testergebnis schließt eine SarsCoV2Infektion nicht aus!" Auch bei korrekter Durchführung sei es "lediglich weniger wahrscheinlich", ansteckend zu sein. Zudem sei die Aussagekraft zeitlich begrenzt - schon am nächsten Tag kann das Ergebnis anders sein. "(Falsch) negative Testergebnisse dürfen daher nicht als Sicherheit (etwa in der Form "Ich bin nicht infiziert und kann daher auf Schutzmaßnahmen verzichten") verstanden werden."
Welche Erfahrungen gibt es mit Selbsttests?
Für die "SAFE School Studie" haben Forscher des Frankfurter Universitätsklinikums im Auftrag des Hessischen Kultusministeriums das Potenzial am Beispiel Schulen erprobt. Sieben Wochen lang haben sich rund 700 Lehrer jeden zweiten Tag selbst getestet. Bei über 10 000 Tests wurden fünf Fälle entdeckt, "noch bevor der Lehrerin bzw. dem Lehrer die Infektion mit dem Virus bewusst war", berichteten die Forscher. In der Studie gab es 16 falsch positive Ergebnisse.
Welche Rolle sehen Wissenschaftler für Selbsttests?
Das RKI sieht sie "als ergänzende Maßnahme", wie es in einem epidemiologischen Bulletin heißt. Damit könne "eine breite und schnelle Testung vieler Menschen erfolgen". Es gebe aber auch "relevante Risiken": dass Menschen nach einem positiven Test nicht die notwendige Schritte einleiten, dass Tests falsche Ergebnisse liefern, dass sie Menschen in falscher Sicherheit wiegen. Für das RKI wie die Politik sind PCR-Tests nach wie vor der "Goldstandard". Sie sollen auch weiter bei Berechnungen zum Infektionsgeschehen zählen.
Welche Szenarien sind theoretisch denkbar?
Die "FAZ" hat kürzlich "eine bestechende Alternative zum Lockdown" durchgespielt". Bei dem Szenario "Plan B" machen alle Menschen Selbsttests, bevor sie etwa in ein Restaurant gehen. Mit einem negativen Ergebnis bekommen sie über eine Handy-App einen Code, der einige Stunden gültig ist und in dieser Zeit den Zutritt erlaubt. "Eine Strategie, die pauschale Lockdowns durch eine Verzahnung kostengünstiger Antigen-Tests, Impfung und schlanker IT-Infrastruktur vermeidet", soweit zumindest die theoretische Idee./sat/sam/DP/fba
Quelle: dpa-Afx