MÜNCHEN (dpa-AFX) - Der Lkw- und Zugbremsenhersteller Knorr-Bremse hat zuletzt mit Unruhe in der Führungsetage für Schlagzeilen gesorgt. Der bisherige Konzernchef Bernd Eulitz hat das Unternehmen Ende August nach Unstimmigkeiten mit Aufsichtsratschef Klaus Mangold verlassen. Es war der zweite vorzeitige Abgang eines Vorstandsvorsitzenden innerhalb kurzer Zeit. Das operative Geschäft in der Corona-Krise rückte dadurch in den Hintergrund. Was bei Knorr-Bremse los ist, wie Analysten die Perspektiven bewerten und wie sich die Aktie entwickelt hat.

DAS IST LOS IM UNTERNEHMEN:

Die Ankündigung von Eulitz' Ausscheiden war eine Überraschung. Der frühere Linde-Manager hatte seinen Posten schließlich erst im November angetreten, und der Aufsichtsrat hatte ihn zuvor mit vielen lobenden Worten bedacht. Doch all das konnte offenbar nicht über die "tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten" zwischen Eulitz und Mangold hinwegtäuschen, mit denen Knorr-Bremse die Trennung begründete.

Unterschiedliche Ansichten über "Fragen der Führung und der aktiven Gestaltung unternehmerischer Belange" hätten zu einer "wachsenden Belastung des Verhältnisses" geführt und die "Fortsetzung der Zusammenarbeit unmöglich" gemacht, hieß es. Bis ein Nachfolger gefunden ist, sollen andere Vorstandsmitglieder die Aufgaben des Managers wahrnehmen.

Bereits im Frühjahr 2019 hatte der damalige Konzernchef Klaus Deller Knall auf Fall seinen Hut genommen - ebenfalls nach internen Differenzen. Deller hatte bei seiner Arbeit eigentlich eine passable Bilanz vorzuweisen: Unter seiner Führung gelang im Jahr 2018 auch der Börsengang.

Unterdessen gab es auch bei der Besetzung des Kontrollgremiums des Münchner Konzerns wichtige Änderungen. Denn mittlerweile gehört dem Aufsichtsrat nach vier Jahren Pause wieder Heinz-Hermann Thiele an. Der nach einer Aufstellung der Nachrichtenagentur Bloomberg mit einem Vermögen von 20 Milliarden Euro zweitreichste Deutsche hält nach wie vor die Mehrheit an dem Spezialisten für Zug- und Lkw-Bremsen.

Wie viele anderer Unternehmen hatte auch Knorr-Bremse im März den Jahresausblick wegen der Corona-Unsicherheiten zunächst gestrichen. Neue Prognosen wagte der damalige Chef Eulitz bei der Bekanntgabe von Eckdaten für das zweite Quartal Mitte Juli. Die Münchner rechnen 2020 beim Umsatz und der operativen Marge mit Rückgängen.

Details könnte es am 10. September bei der Vorlage der vollständige Bilanz für das zweite Quartal geben. Bekannt ist seit den Eckdaten: Umsatz und bereinigte Gewinnmarge vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) liegen über dem Durchschnitt der damaligen Analystenschätzungen.

DAS SAGEN DIE ANALYSTEN:

Seit der Vorlage der vorläufigen Zahlen für das zweite Quartal haben sich sieben der im dpa-AFX-Analyser erfassten Experten näher mit Knorr-Bremse befasst. Dabei driften die Meinungen deutlich auseinander: Zwei Analysten sprechen sich für den Kauf aus, drei raten zum Halten und zwei empfehlen den Verkauf.

Am pessimistischsten ist Frederik Bitter von der Privatbank Hauck & Aufhäuser mit einem Kursziel von 61 Euro. Auch die besser als gedachte Geschäftsentwicklung im zweiten Quartal ändere nichts an den grundlegenden Sorgen, schrieb er in einer Studie Mitte Juli. Steigende Investitionen machten das mittelfristige Margenziel zu einer Herausforderung.

Zudem könne sich der Zugverkehr im Lichte der Corona-Krise wandeln - die Menschen weichen möglicherweise auf andere Reisemöglichkeiten aus, oder reisen insgesamt weniger.

Der Abgang eines Vorstandsvorsitzenden gibt laut Bitter zudem Anlass zur Vorsicht. Mit Blick auf die ESG-Kriterien, die für Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung stehen, hinterlasse das Personalkarussell einen bitteren Nachgeschmack. Und gerade ESG-Kritieren würden zunehmend wichtiger für Investoren.

Philippe Lorrain von der Privatbank Berenberg gibt zu bedenken, dass sich die Markterwartungen an das zweite Halbjahr bereits mit den Prognosen des Bremsenherstellers deckten.

Deutlich positiver gibt sich die Schweizer Großbank UBS, die mit 110 Euro eines der höchste Kursziele auf dem Zettel hat und für den Kauf der Aktie plädiert. Aus Sicht von UBS-Analyst Sven Weier hat Knorr-Bremse im zweiten Quartal trotz der Corona-Krise Stabilität bewiesen.

DZ-Bank-Experte Alexander Hauenstein - er errechnet sogar einen fairen Wert von 121 Euro je Aktie - spricht sogar von extrem starken Ergebnissen im zweiten Jahresviertel. Sofern sich nun auch das Lkw-Geschäft als noch widerstandsfähiger erweise, dürften die Marktschätzungen steigen, glaubt er.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Im Gegensatz zu den Papieren etlicher anderer Unternehmen hat die Knorr-Bremse-Aktie im laufenden Jahr deutlich zugelegt und erklomm dabei erst jüngst ein Rekordhoch von fast 110 Euro. Seit dem Jahreswechsel steht damit ein Kursplus von rund einem Fünftel zu Buche.

Die Corona-Delle ist längst vergessen. Die Papiere waren von Ende Februar bis Mitte März von rund 100 Euro auf fast 70 Euro abgesackt - und hatten mit weniger als die 80 Euro gekostet, die Anleger Jahr 2018 beim Börsengang auf den Tisch legen mussten. Das Plus seit dem Märztief: knapp 54 Prozent. Und auch die Enttäuschung über den Chef-Rücktritt im August haben die Anleger längst abgehakt. Da war der Kurs nur kurz zurück unter die Marke von 100 Euro gerutscht. Mehr als eine Irritation war der Schritt für das Gros der Investoren also nicht.

Insgesamt kommt Knorr-Bremse an der Börse auf eine Marktkapitalisierung von knapp 17,7 Milliarden Euro. Das bedeutet aktuell knapp den sechsten Platz im MDax. Größter Nutznießer der jüngsten Kursrally ist Mehrheitseigentümer Thiele, der über die von ihm kontrollierten Holding KB aktuell 70 Prozent der Aktien hält.

Dieses Paket ist aktuell etwas mehr als 12 Milliarden Euro wert. Der 79-jährige Thiele hatte sich vor Kurzem von einigen Knorr-Aktien getrennt, um seinen Einstieg bei der Lufthansa zu finanzieren. Dort hatte er zunächst gegen den Staatseinstieg zur finanziellen Unterstützung in der Corona-Krise rebelliert, dann aber doch zugestimmt.

Thiele hält aktuell etwas mehr als zwölf Prozent der Lufthansa-Aktien. Zudem besitzt er etwas mehr als die Hälfte der Anteile am Bahninfrastrukturunternehmen Vossloh ./eas/stw/mis/fba/zb

Quelle: dpa-Afx