BERLIN (dpa-AFX) - Die Corona-Impfungen in Deutschland sollen nach viel Frust wegen bisher schleppender Fortschritte im April Fahrt aufnehmen - mit einer stärkeren Einbeziehung der Arztpraxen gleich nach Ostern. "Die Devise lautet: Impfen, impfen, impfen", sagte Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Freitag in Berlin nach einer Telefonkonferenz mit den Ministerpräsidenten. Und dafür solle die sprichwörtliche deutsche Gründlichkeit auch um mehr "deutsche Flexibilität" ergänzt werden. Sofort in großem Stil mitimpfen können die Praxen allerdings nicht, da auch die regionalen Impfzentren der Länder weiterlaufen sollen.

Die Anzahl der Impfdosen pro Praxis werde "zu Beginn erst langsam aufwachsen", formulierten Bund und Länder in ihrem Beschluss. Soll heißen, dass die Hausarztpraxen "erstmal mit etwa umgerechnet einer Impfsprechstunde pro Woche beginnen können", wie Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) schon zuvor deutlich gemacht hatte. Deswegen sei es auch sinnvoll, dass die jeweiligen Praxen ihre "besonders vulnerablen Patientinnen und Patienten" zuerst gezielt einladen, erklärten Bund und Länder. Wenn einmal mehr Impfstoffmengen verfügbar sind, sollen dann auch Fachärzte und Betriebsärzte einbezogen werden können.

Schritt für Schritt soll es im April mehr Impfungen geben. Vergangene Woche, also vor der Unterbrechung der Impfungen mit dem Vakzin des Herstellers Astrazeneca , spritzten die Länder knapp 1,8 Millionen Impfdosen. In der Woche nach Ostern sollen knapp 3,3 Millionen Dosen geliefert werden. Die niedergelassenen Ärzte sollen davon knapp eine Million bekommen. Das wären bei einer Beteiligung von 50 000 Praxen also jeweils 20 Dosen pro Woche.

Einen Schub soll es dann in der Woche vom 26. April mit insgesamt 5,4 Millionen erwarteten Dosen geben - davon 3,2 Millionen für die Praxen. Diese hätten dann auch erstmals mehr Impfstoff als die Impfzentren der Länder, die weiter vorrangig beliefert werden sollen: mit reservierten 2,25 Millionen Dosen pro Woche. Merkel sagte, es gehe nicht um ein "Entweder-Oder", sondern eine schnellstmögliche Kombination. Praxisärzte reagierten aber spontan enttäuscht. Es sei eine Chance vertan worden, erklärte die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV). "Wir müssen impfen, impfen - und das schnell." Die Länder setzten aber weiter vor allem auf die Impfzentren. "Jetzt müssen die Länder aber auch liefern." Mancherorts machen ausgewählte Praxen schon Impfungen, etwa für Krebspatienten.

EXTRA-DOSEN AUCH FÜR GEFÄHRDETE GRENZREGIONEN

Den Planungen kommt jetzt eine Sonderlieferung von 580 000 Dosen der Hersteller Biontech /Pfizer zugute. Davon sollen 250 000 dafür genutzt werden, für die Praxen schon in der Woche nach Ostern mindestens eine Million Dosen zu sichern. Die restlichen 330 000 Dosen sollen an fünf Länder gehen - als Schutz, dass Pendler ansteckendere Virusvarianten eintragen. Extra-Dosen bekommen sollen das Saarland und Rheinland-Pfalz mit Grenzen zu Frankreich sowie Bayern, Sachsen und Thüringen wegen hoher Infektionszahlen in Tschechien.

ROLLE VON ASTRAZENECA

Möglich wird der neue Impfplan auch dadurch, dass das Präparat von Astrazeneca nach einem vorsorglichen Impfstopp nun wieder eingesetzt werden kann. Die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA) hatte dies am Vortag befürwortet, es soll aber ein neuer Warnhinweis dazukommen. Dabei geht es um seltene Fälle von Blutgerinnseln in Hirnvenen. "Der Nutzen der Impfung überwiegt die gegenwärtig bekannten Risiken", urteilte auch die Ständige Impfkommission. Merkel stellte sich klar hinter die Astrazeneca-Aussetzung, die Spahn auch Kritik eingebracht hatte. Nun wisse jeder, dass man nicht etwas "hinterm Berg halte", was auffällig sein könnte, sagte Merkel. Daraus entstehe Vertrauen.

VORRANG BEI DEN IMPFUNGEN

Auch für die Praxen soll die Priorisierung gelten, die Älteren und besonders gefährdeten Menschen Vorrang bei knappem Impfstoff sichert. Ärzte sollten die Vorgaben aber "flexibel anwenden", erklärten Bund und Länder. Merkel mahnte, der Schutz für besonders Schutzbedürftige dürfe zu keiner Sekunde aus den Augen verloren werden. Spahn rief die Länder auf, auch chronisch Kranke zu schützen. "Bei allem Verständnis dafür, 30-Jährige auch in bestimmten Berufskontexten zu impfen, ist es auch mit Blick auf die Infektionsentwicklung wichtig, die Älteren zu impfen." Schwerpunktmäßig sollen die Ärzte zu Beginn auch nicht-mobile Menschen zu Hause impfen.

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sagte: "Das Risiko, bei einer Infektion an Covid zu versterben, ist für einen 80-Jährigen 600 Mal so hoch wie für einen 30-Jährigen. Daher bin ich sehr kritisch, was Vorschläge angeht, die Impfreihenfolge zu verändern." Dass etwa Lehrkräfte wie in NRW vorrangig geimpft werden, ruft Kritik hervor. Zunächst müssten Menschen mit erhöhtem Risiko für einen schweren bis tödlichen Verlauf geimpft werden, hatten die Beauftragten von Bund und Ländern für die Belange der Menschen mit Behinderung gefordert.

WARTEN BIS ZUR ZWEITEN IMPFUNG

Damit mehr Menschen bald die erste Impfung erhalten können, warten laut Spahn nahezu alle Länder mit der zweiten Dosis mittlerweile so lange wie möglich - bei den Präparaten von Biontech/Pfizer und Moderna sechs Wochen, bei Astrazeneca zwölf Wochen. Lauterbach sagte: "Wenn man die Erstimpfung bei Biontech und Astrazeneca jetzt vorzieht, dann rettet das zwischen 8000 und 14 000 Menschenleben in der dritten Welle."

PROGNOSEN ZUR IMPFAKTION

Nach dem Impfplan von Bund und Ländern sollen im April mehr als 15 Millionen Dosen zur Verfügung stehen. Und die Liefermengen sollen weiter steigen. Im zweiten Quartal sollen bisherigen Angaben zufolge insgesamt 46,6 Millionen Dosen von Biontech/Pfizer und Moderna sowie - nach einer etwas herunter korrigierten Ankündigung - 15 Millionen Astrazeneca-Dosen geliefert werden. "Bund und Länder halten an dem Ziel fest, im Sommer allen Bürgerinnen und Bürgern ein Impfangebot machen zu können", heißt es im Beschluss./bw/sam/jr/ggr/had/ctt/sk/bk/DP/fba

Quelle: dpa-Afx