HANNOVER (dpa-AFX) - Die Bundesregierung hält trotz steigender Zinsen und Baupreise an ihrem Ziel von 400 000 neuen Wohnungen pro Jahr fest. "Auch wenn die Zeiten gerade sehr stürmisch sind, was dieses Ziel betrifft, wir lassen davon nicht ab, auch nicht angesichts der gestiegenen Zinsen", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Mittwoch beim Deutschen Sparkassentag in Hannover. Diese machten das Vorhaben nicht leicht. Aber: "Bauen ist grundsätzlich auch bei höheren Zinssätzen möglich. Das war jahrzehntelang der Fall."
Anfang der Siebzigerjahre seien bei einem Zinsniveau von um die neun Prozent mehr als 800 000 Wohnungen gebaut worden, sagte Scholz. Zudem könnten Bund, Länder, Kommunen, Bauwirtschaft und Finanzinstitute an einigen Stellschrauben ansetzen, damit die Baukosten sinken. Scholz nannte mehr serielles und modulares Bauen, weniger Normen, die die Kosten in die Höhe trieben, schnellere Planung und Genehmigung, digitale Bauanträge sowie die Bereitstellung von mehr Bauland.
Im vergangenen Jahr wurden in Deutschland nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 295 300 Wohnungen fertiggestellt. In diesem Jahr rechnet die Baubranche mit höchstens 250 000 neuen Wohnungen.
Der Bund habe für den Zeitraum von 2022 bis 2026 eine Förderung von 14,5 Milliarden Euro für den sozialen Wohnungsbau vorgesehen. "Das ist eine Rekordsumme", sagte Scholz in Hannover. Nötig seien zugleich private Investitionen. Er sei den Sparkassen "außerordentlich dankbar" dafür, dass sie sich zur Finanzierung von Neubauten und geförderten Wohnungen bekennen würden.
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sagte in Hannover, der Inflation sei die Spitze gebrochen worden. Mit Blick auf die technische Rezession sagte er, als er den Jahreswirtschaftsbericht vorgestellt habe, sei man noch davon ausgegangen, dass es im ersten Quartal ein Nullwachstum gebe. Die Wachstumsentwicklung, der Aufschwung in diesem Jahr werde sich nun dadurch verlangsamen oder verlangsamt erst einsetzen.
Neben Scholz und Habeck war beim Sparkassentag unter anderem der frühere Bundespräsident Joachim Gauck zu Gast. Deutschland muss sich nach seiner Auffassung konsequenter gegen Bedrohungen seiner Demokratie wappnen. Das Land müsse sich "nach außen und innen entschiedener wehrhaft machen", sagte Gauck. "Abzuwarten reicht nicht aus."
Deutschland sei gut beraten, in seine Bündnisse zu investieren und ein guter und verlässlicher Partner in Nato und EU zu bleiben. "Wenn unser Land von innen angegriffen wird, muss es resistenter werden gegen illiberale, fundamentalistische und populistische Kräfte aller Art", betonte Gauck. Es müsse sich zudem dazu befähigen, den unabwendbaren Wandel der Gesellschaft so zu gestalten, dass er von einer Mehrheit getragen werde und gleichzeitig auch weitere und tiefere Risse vermeide.
Deutschland habe sich lange Zeit die Welt "schön geguckt", sagte Gauck mit Blick auf das Verhältnis zu Russland. Die Erwartung, Wandel durch Handel zu bewirken, habe sich nicht erfüllt. "Das betrifft vornehmlich die Sozialdemokratie in langen Phasen ihrer Ostpolitik. Aber nicht nur. Auch die Kanzlerin (Angela) Merkel hat maßgebliche Fehler gemacht, als sie nach 2014, Besetzung der Krim, noch an Nord Stream 2 festhielt."
Wenn ein Bundeskanzler, noch dazu ein Sozialdemokrat, dann eine Zeitenwende-Rede halte, erkenne man, dass jemand etwas begriffen und sich vom Schöngucken der Wirklichkeit verabschiedet habe. "Dann warten wir natürlich auf eine Politik der Zeitenwende. Und wenn die auf sich warten lässt, dann wird die Nation wuschig." Olaf Scholz habe dann zwar tatsächlich eine Politik der Zeitenwende folgen lassen, sagte Gauck und wies explizit auf die Berufung von Boris Pistorius (SPD) zum Verteidigungsminister hin. "Nur politische Entscheidungen und Richtungsansagen sind das Eine, ein Mentalitätswandel in der Mitte der Gesellschaft ist das Andere."/sk/DP/jha
Quelle: dpa-Afx