MÜNCHEN (dpa-AFX) - Der Technologiekonzern Siemens spürt die wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie. So musste das Unternehmen zuletzt erhebliche Einbußen hinnehmen. Die Talsohle soll im dritten Geschäftsquartal erreicht sein. Voran kommen die Münchner beim weiteren Umbau: der Selbstständigkeit von Siemens Energy steht nichts mehr im Wege. Was bei Siemens los ist, was Analysten sagen und was die Aktie macht.

LAGE BEI SIEMENS:

Der Konzern stellt sich wegen der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie auf eine Durststrecke ein. Nach einem Gewinneinbruch im zweiten Quartal rechnet das Management mit dem Tiefpunkt in den Monaten April bis Ende Juni. Schwächer entwickelten sich zuletzt die Geschäfte mit Kunden aus Schlüsselindustrien wie dem Maschinenbau, dem Auto- und dem Flugzeugbereich. "Wir werden eine deutliche Eintrübung sehen, insbesondere bei den kurzzyklischen Geschäften", kündigte Konzernchef Joe Kaeser im Mai ein schwaches drittes Quartal an. Dies betrifft vor allem das Geschäft mit der Digitalisierung. Die Zahlen sollen am 6. August vorgelegt werden.

Eine zügige Erholung erwartet Siemens indes nicht. "Wir gehen davon aus, dass wir eine längere Bodenbildung sehen", hatte Kaeser erklärt. Dabei kann Siemens jedoch auf eine robuste Auftragslage blicken. Insgesamt kam der Konzern Ende März auf einen Auftragsbestand ohne die vor der Abspaltung stehende Tochter Siemens Energy von 69 Milliarden Euro.

Im zweiten Geschäftsquartal sank der Auftragseingang um 8 Prozent auf 15,2 Milliarden Euro. Das lag vor allem an geringeren Großaufträgen für die Zugsparte. Der Umsatz lag stabil bei 14,2 Milliarden Euro. Ergebnisseitig bekam Siemens die Pandemie stärker zu spüren. So sank das bereinigte operative Ergebnis der Industriegeschäfte (Ebita) um 18 Prozent auf knapp 1,6 Milliarden Euro. Darin enthalten sind Kosten für den Personalabbau. Unter dem Strich belastete zudem die Ausgliederung von Siemens Energy.

Deutlich schwächere Geschäfte verzeichnete Siemens dabei in den Geschäftsfeldern Digitalisierung und Smarte Infrastruktur. Hier will Siemens nun noch stärker an der Kostenschraube drehen. Bis 2021 sollen jetzt 475 Millionen Euro eingespart werden, 165 Millionen mehr als geplant. Die Prognose für das laufende Geschäftsjahr konnte Siemens nicht mehr halten. So erwartet das Unternehmen nun anstelle eines moderaten vergleichbaren Umsatzanstiegs einen entsprechenden Rückgang um bis zu fünf Prozent. Die Ergebnisprognose zog Siemens ganz zurück. Dennoch zeigte sich der Konzern zuversichtlich, gestärkt aus der Krise gehen zu können.

Dabei sieht der künftige Siemens-Chef Roland Busch zwei Trends für die Post-Corona-Zeit. So erwartet der Manager, dass die Digitalisierung Geschäfte noch stärker durchdringen und ein Wettbewerbsvorteil sein wird. Zudem werde es "zu einer mitunter tiefgreifenden Neujustierung der Fertigungs- und der Lieferketten kommen", sagte er bei der Vorlage der Zahlen zum zweiten Quartal im Mai. Es habe sich gezeigt, wie anfällig diese seien. "Ich bin überzeugt, dass künftig auch wieder in Hochlohnländern wettbewerbsfähig produziert werden kann, und zwar durch mehr Automatisierung und IoT-Technologien, also durch die Verknüpfung der realen und der digitalen Welt." Für Siemens böten sich hier langfristig "große Chancen".

Seine Neuausrichtung hin zum Kerngeschäft Digitalisierung treibt Siemens daher weiter voran. Die geplante Abspaltung des Energiegeschäft läuft nach Plan. Seit 1. April fungiert Siemens Energy als eigenständige Einheit. In dem Geschäft ist neben der Sparte Gas and Power auch die Beteiligung am Windanlagenbauer Siemens Gamesa enthalten. Anfang Juli stimmte die Hauptversammlung dem Vorhaben zu. Jeder Siemens-Aktionär erhält pro zwei Siemens-Aktien automatisch ein Papier von Siemens Energy. Auf diese Weise werden 55 Prozent von Siemens Energy verteilt. 35,1 Prozent bleiben bei Siemens, 9,9 Prozent beim Siemens Pensionsfonds. Die Anteile will Siemens über zwölf bis 18 Monate deutlich reduzieren. Die Börsennotierung des Unternehmens mit einem Jahresumsatz von rund 29 Milliarden Euro soll am 28. September erfolgen.

Dazu schmiedet Siemens weitere Abspaltungspläne. So soll die Antriebstochter Flender ausgegliedert und an der Börse notiert werden. Die Produkte des Unternehmens werden in Windkraftanlagen sowie zahlreichen anderen Industriebereichen eingesetzt. Dabei will Siemens den Bereich Wind Energy Generation in Flender integrieren. Beide Unternehmen werden derzeit als sogenannte "Portfolio Companies" geführt. Das neue Unternehmen kommt auf einen Pro-forma-Umsatz von rund zwei Milliarden Euro. Die Aktionäre sollen auf der Hauptversammlung im Februar 2021 darüber entscheiden.

Weiter offen bleibt die strategische Überprüfung der Zugsparte. Hier nimmt sich Siemens mehr Zeit als geplant und will zum vierten Geschäftsquartal Ergebnisse vorstellen. Dabei sieht sich der Konzern, der das Zuggeschäft als "integralen Bestandteil" sieht, nicht unter Zeitdruck.

DAS SAGEN ANALYSTEN:

Analysten sind in Sachen Siemens weitgehend positiv gestimmt. Das liegt weniger an der aktuellen Geschäftslage, sondern vielmehr an dem laufenden Umbau, der bei den Marktbeobachtern auf fruchtbaren Boden fällt. Die im dpa-AFX Analyser vertretenen Analysten empfehlen die Aktie daher mehrheitlich zum Kauf. Die Abspaltung von Siemens Energy sei für alle Seiten von Vorteil - auch für die Aktionäre, schrieb Andreas Willi von JPMorgan jüngst in einer Studie. Bei Siemens sinke damit der Konglomeratsabschlag. Der Industriekonzern könne sich stärker auf Geschäftsbereiche mit Wachstumspotenzialen konzentrieren.

Die beschlossene Abspaltung des Energiesegments schärfe und vereinfache die Struktur des Konzerns, kommentierte Deutsche-Bank-Experte Gael de-Bray. Guillermo Peigneux Lojo von der UBS taxiert den Wert der neu geschaffenen Energiesparte Siemens Energy dabei auf rund 10 Milliarden Euro. Die positiven Aspekte würden noch weitgehend vernachlässigt.

Aber auch für das dritte Quartal sehen die Experten mittlerweile positive Signale. JPMorgan-Analyst Willi etwa rechnet vor einem schwierigen Hintergrund für das dritte Geschäftsquartal mit soliden Zahlen im Kerngeschäft. Vor allem der Bereich mit Industriesoftware dürfte vergleichsweise gut gelaufen sein. Nach von Siemens verbreiteten Konsensschätzungen für das dritte Geschäftsquartal rechnet er damit, dass der Konzern die Erwartungen leicht übertrifft. Siemens dürfte auch von höheren Einsparungen profitiert haben.

Daniela Costa von Goldman Sachs rechnet mit einer schneller als gedachten Erholung des Digitalgeschäfts und erwartet über alle Sparten hinweg ein höheres Wachstum aus eigener Kraft und einer höheren Profitabilität als zuvor.

In dem von Siemens zusammengestellten Konsens erwarten Analysten im Mittel ihrer Schätzungen einen Umsatz von 12,75 Milliarden Euro sowie ein bereinigtes operatives Ergebnis der Industriegeschäfte von knapp 1,2 Milliarden Euro. Dies entspricht nochmals einem Rückgang im Vergleich zum Vorquartal. Unter dem Strich dürfte ein kleiner Gewinn von 51 Millionen Euro nach Minderheiten stehen, geht aus den Schätzungen hervor. Für Siemens Energy erwarten die Experten einen Verlust.

Die Industrieproduktion kehre zu höheren Niveaus zurück, so Commerzbank-Analyst Ingo-Martin Schachel. Zwar rechnet er fürs laufende Quartal noch mit erheblichen Umsatz- und Gewinnrückgängen. Er gibt sich aber zunehmend zuversichtlich, dass sich die Ergebnisse 2020/21 erholen werden. Das impliziere auch eine Rückkehr zum Wachstum in den Kernsegmenten des Technologiekonzerns im Kalenderjahr 2021.

DAS MACHT DIE AKTIE:

Die Aktie wurde vom Corona-Crash, der die Finanzmärkte seit dem 24. Februar im Griff hat, hart getroffen. Von rund 106 Euro ging es bis Mitte März bis auf Kurse unter 60 Euro zurück. Seitdem hat sich der Kurs wieder kräftig erholt. So legte er in den vergangenen drei Monaten um ein Drittel zu. Ende Mai knackte die Aktie dabei wieder die 100-Euro-Marke. Nach einem kleinen Rücksetzer Mitte Juni stieg der Kurs - auch angetrieben von der Abspaltung von Siemens Energy - auf bis zu gut 117 Euro. Aktuell liegt der Kurs ebei rund 109 Euro.

Damit hat er die Verluste aus dem Corona-Crash wettgemacht und liegt nur noch knapp sieben Prozent unter dem Niveau zum Jahresbeginn. Über ein Jahr gesehen kommt die Aktie auf ein Plus von fast zehn Prozent. In den vergangenen fünf Jahren liegt das Wachstum bei rund 15 Prozent. Damit schnitt die Aktie immer etwas besser ab als der deutsche Leitindex. Mit einer Marktkapitalisierung von 97 Milliarden Euro gehört Siemens zu den Schwergewichten im Dax . Mehr wert ist nur SAP (172 Mrd Euro) und Linde (109 Mrd Euro) ./nas/men/stw

Quelle: dpa-Afx