WOLFSBURG (dpa-AFX) - Der Autobauer Volkswagen schien schon in den vergangenen Quartalen hin- und hergerissen: Auf der einen Seite Chipmangel und stockende Produktion, auf der anderen überraschend gute Finanzzahlen. Nun kommen mit dem geplanten Mega-Börsengang der Sportwagenedeltochter Porsche und den drohenden Verwerfungen aus dem Ukraine-Krieg zwei weitere Aspekte hinzu. Darüber hinaus steht Elektrorivale Tesla nun als direkter Nachbar vor dem Produktionsstart in Grünheide. Was bei VW los ist, was Analysten vor den Zahlen zu 2021 sagen und wie die Aktie läuft.

DAS IST IN WOLFSBURG THEMA:

Seit Jahren wird spekuliert, nun liegen die Pläne auf dem Tisch: VW peilt einen milliardenschweren Börsengang seiner Renditeperle Porsche AG an. Die Eigentümerfamilien Porsche und Piëch wollen über ihre Porsche Automobil Holding (PSE) wieder direkten Zugriff auf den Sportwagenbauer mit dem Familiennamen bekommen. Bisher halten die Wolfsburger alle Anteile an dem Autobauer aus Stuttgart-Zuffenhausen, doch dieses Jahr könnten sie insgesamt ein Viertel versilbern. Auch, um Geld für die Elektrooffensive einzunehmen, die VW-Chef Herbert Diess gegen die drohende Überrundung durch den US-Pionier Tesla ersonnen hat.

Eine Sperrminorität der Stammaktien von 25 Prozent plus einer Aktie würde an die PSE gehen, bei der die Porsches und Piëchs das Sagen haben. Bis zu einem Viertel der Vorzugsaktien will Volkswagen über einen Teilbörsengang platzieren. Legt man Bewertungsschätzungen von Analysten zwischen 80 und 100 Milliarden Euro für die Porsche AG zugrunde, könnten der Deal insgesamt bis zu gut 25 Milliarden Euro schwer sein. Vom Bruttoerlös des Börsengangs und dem Verkaufspreis der Stammaktien will VW insgesamt knapp die Hälfte als Sonderdividende an die Aktionäre ausschütten - was aber der Zustimmung der Hauptversammlung bedarf.

So zumindest die Pläne. Aber was daraus wird angesichts der Verwerfungen an den Finanzmärkten, das ist schwer abzusehen. Denn der Krieg von Russlands Präsident Wladimir Putin gegen die Ukraine sorgt für Turbulenzen, und die weitere Entwicklung ist schwer einzuschätzen.

Und auch im Tagesgeschäft bleibt es heikel für VW und seine Marken. Deutete sich gerade erst an, dass sich die Halbleiterversorgung 2022 nun endlich nach und nach bessern dürfte, kommen jetzt Probleme durch Zulieferung aus Osteuropa und von den noch rasanter anziehenden Energie- und Rohstoffpreisen hinzu.

VW-Chef Diess drückt aber auch in dieser Gemengelage weiter aufs Tempo. Jüngst gab der Aufsichtsrat dem neu geplanten Werk für das künftige Elektro-Flaggschiff namens "Trinity" grünes Licht. Es entsteht in der Nähe des Wolfsburger Stammwerkes. Diess will die Rendite in der Fertigung mit dem neuen Werk deutlich anheben, um mit der gerade ans Netz gehenden Tesla-Fabrik nahe Berlin konkurrieren zu können.

In den vergangenen Quartalen konnte sich VW trotz der Produktions- und Absatzprobleme wegen der Chipflaute über die eigenen Finanzzahlen nicht beschweren. So sorgte die eingeschränkte Verfügbarkeit bei hoher Autonachfrage für lange Lieferzeiten und hohe Preise. Wie lange sich dieser Effekt noch ins neue Jahr ziehen lässt, darauf werden Investoren die Aussagen des Managements genau abklopfen. Auch der im vergangenen Jahr von der Chipkrise belastete Hochlauf der Elektrooffensive in China wird von den Investoren weiter stark beachtet.

WAS ANALYSTEN SAGEN:

JPMorgan-Analyst Jose Asumendi ging Anfang März davon aus, dass dem Markt aktuell die Informationen dazu fehlen, wie die Porsche AG richtig bewertet werden soll. Aktuell seien die Marktwerte der VW-Marken auch von der makroökonomischen Situation stark belastet - und die Marken dürften in den kommenden Monaten noch einige schwere Verwerfungen auf der Lieferantenseite erfahren.

Daher dürfte ein Börsengang auch frühestens 2023 anstehen, wenn sich die Erwartungen bewahrheiten, dass die Autoindustrie sich im zweiten Halbjahr erholt. Ob der Markt bei einem geringen Streubesitz nicht doch noch einen Konglomeratsabschlag von der Bewertung der Porsche AG abzieht, darüber seien Investoren zudem unsicher.

So sieht es auch Patrick Hummel von der UBS. Die Marke Porsche könnte allein viel mehr wert sein als im diskutierten Szenario des Teilbörsengangs, schrieb er. Allerdings sei die geplante Sonderdividende ein positiver Punkt.

Horst Schneider von der Bank of America sieht zwar bei Porsche weniger Exklusivität als bei der an der Börse hochbewerteten Ferrari . Dafür habe Porsche aber mehr zu bieten beim Wandel zu einem Elektroautobauer.

Schneider sieht im Plan zum Börsengang aber auch einen möglichen Interessenkonflikt. VW-Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch ist auch Vorstandschef beim kontrollierenden Großaktionär Porsche SE. In letzterer Funktion müsse dem Manager an einem niedrigen Erwerbspreis der Stammaktien gelegen sein, merkte Schneider an - als VW-Oberkontrolleur sollte aber eine hohe Bewertung sein Ziel sein. Die Liquidität der Porsche SE ist seiner Meinung nach zudem begrenzt: Auch inklusive des möglichen Verkaufs von VW-Stammaktien im Umfang von 3 Prozent liege die Finanzierungsmöglichkeit bei 6,8 Milliarden Euro.

Die von Bloomberg bis Mittwoch befragten Analysten rechnen für das vergangene Jahr beim VW-Konzern mit einem Umsatzanstieg von rund elf Prozent auf 247,6 Milliarden Euro. Das operative Ergebnis vor Sondereinflüssen dürfte gegenüber dem von Corona-Lockdowns belasteten Vorjahr um drei Viertel auf 18,7 Milliarden Euro zugelegt haben. Die operative Marge dürfte mit 7,5 Prozent das obere Ende der Prognosespanne erreichen. Im neuen Jahr trauen die Fachleute VW hier 7,9 Prozent zu.

Unter dem Strich gehen die Experten 2021 von einem Gewinnanstieg von gut der Hälfte auf 13,8 Milliarden Euro aus. Die Dividende je Vorzugsaktie erwarten sie bei 6,86 Euro nach 4,86 Euro für 2020.

SO LIEF DIE AKTIE ZULETZT:

Die im Dax notierte Vorzugsaktie hat im vergangenen Jahr viel Höhenluft geschnuppert, musste dem aber wieder Tribut zollen. Mit der Euphorie um die Batterie- und Elektropläne und der damals schon kursierenden Spekulation um einen möglichen Börsengang der Porsche AG kletterte der Kurs im Frühjahr 2021 rasant auf etwas mehr als 252 Euro.

Der Börsenwert von VW - spätestens seit dem Ausbruch des Dieselskandals im Herbst 2015 unter Druck - schwoll wieder auf 150 Milliarden Euro an, nachdem er zum Höhepunkt des Corona-Crashs im März 2020 zeitweise nur bei einem Drittel davon gelegen hatte. Mit dem Höhenflug war VW im Frühjahr 2021 sogar zeitweise der wertvollste deutsche Konzern.

Doch die Euphorie ist verflogen: Aktuell ist der Kurs der Vorzugsaktie wieder unter die Marke von 150 Euro gefallen, der Börsenwert des Konzerns liegt nur noch bei rund 90 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Der Konkurrent Tesla kommt auf knapp 890 Milliarden US-Dollar, umgerechnet mit rund 800 Milliarden Euro mehr als das Achtfache von VW.

In der Rangliste der börsennotierten deutschen Unternehmen ist VW inzwischen hinter Linde, SAP und Siemens wieder auf Rang vier zurückgefallen. Damit liegen die Wolfsburger aber immerhin noch deutlich vor Mercedes-Benz (Platz 9) und BMW (Platz 14).

Die Stammaktien des VW-Konzerns liegen mehrheitlich bei der Porsche SE . Die Holding hält 53,3 Prozent der stimmberechtigten VW-Stammpapiere und 31,4 Prozent der Kapitalanteile. Weitere Großaktionäre sind das Land Niedersachsen, das 20 Prozent der Stimmrechte hält, und Katar mit einem Anteil von 17 Prozent./men/zb/jha/

Quelle: dpa-Afx